Hallo Barbara,
Du ahnst es sicher: Mit den letzten 100 Seiten hast Du nun noch viel Schönes vor Dir. Ich wünsche Dir viel Spaß dabei!
Die schlechtere Lesbarkeit wegen der engbedruckten Seiten, kann ich gut nachvollziehen. Das hemmt mich in meinem Lesetempo ja auch immer.
Die Gesellschaft entlarvt sie in „Emma“ sehr schön, das finde ich auch. Aber in gleichem Maße konnte ich persönlich das tatsächlich auch in „Stolz und Vorurteil“ finden.
Barbara hat geschrieben:… und die Damen ihre eigenen kleinen Nischen brauchten um sich zu entfalten und zu behaupten oder gar zu rebellieren. So offensichtlich, wie Emma dies tut, geschah es in den seltensten Fällen.
Elizabeth widersetzt sich gegen den Willen ihrer Mutter einer Heirat mit Mr. Collins. Darin sehe ich eine sehr starke Rebellion und Widerstand. Ebenso darin, sich zu Anfang nicht von Mr. Darcy einfangen zu lassen. Sehr offen wird auch rebelliert, als Elizabeth sich Lady Catherine de Bourghs Willen so frech (für diese Zeit) widersetzt. Oder im Kleinen: Auch mal zu Fuß zu gehen, und sich dem Spott der hohen Damen auszusetzen, ist ein Widerstand. Eine Entsprechung der Mrs. Elton finde ich in „Stolz und Vorurteil“ in den Schwestern Mr. Bingleys. Und in Lady Catherine de Bourgh. Im Grunde lehnt sich Elizabeth mehr gegen die Zwänge ihrer Zeit auf, als Emma.
Worin genau siehst Du Emmas Rebellion? Für mich ist sie eine verwöhnte Tochter aus gutem Hause, die zu viel Zeit hat. Und es gut meint, sich somit in das Glück anderer Menschen einmischt, und über ihre Anmaßung stolpert und daran reift. Rebellion gegen die Konventionen sehe ich in der Figur der Emma nicht. Im Gegenteil sogar, ist sie ja sehr standesbewusst.
Trotzdem verstehe ich, dass Dir persönlich „Emma“ mehr liegt. In ihrer unbeherrschteren Art sorgt sie für ein sehr schwungvolles Lesevergnügen. Und die Läuterung Emmas als Thema gefällt mir auch sehr gut. Erfrischend anders unter den Austen-Romanen. Wenn auch das Thema der Läuterung nicht ganz neu ist, denn auch das findet sich z. B. in "Stolz und Vorurteil". Denn auch hier muss Elizabeth sich von ihren Vorurteilen befreien. Ebenso auch Mr. Darcy, der die Werte der gesellschaftlich unterlegenen Elizabeth erst nicht anerkennen will.
Barbara hat geschrieben:Alle Personen sind so vielschichtig und deutlich und dennoch liebevoll gezeichnet mit all ihren Schwächen und Kanten. Man denke nur an die schreckliche Mrs. Elton.
Vielschichtig finde ich Emma. Den Rest gar nicht – wie aber auch in ihren anderen Romanen. Gerade Mrs. Elton ist ja durch und durch überheblich, eingebildet, anmaßend, unverschämt, ohne Benehmen, dumm-dreist. Es ist keine einzige gute Facette an ihr. Mr. Knightley ist sehr korrekt, reif, durchschaut deshalb auch die Menschen wesentlich besser, als es der ungestümen, unreifen Emma gelingt. Auch die anderen Figuren finde ich recht einseitig geschildert. ABER das meine ich nicht negativ. Das muss so sein. Jane Austen überzeichnet ihre Figuren immer leicht. Da gibt es für mich keinen Unterschied zwischen „Emma“ und den anderen Romanen, die ich bisher von ihr gelesen habe. Außer in der Figur der Emma. Und ich denke, das ist es auch was Du meinst, richtig? Das kann ich bestätigen. Hier hat sie eine Figur entworfen, die Ecken und Kanten hat. Nicht durch und durch gut oder böse, klug oder dumm ist. Sie hat ein gutes Herz, meint es gut, ist gleichzeitig aber auch eitel und von sich selbst überzeugt und eingenommen. Vorlaut zuweilen (durch ihre ungestüme Art verletzt sie damit auch schon mal jemanden unbedacht). Und Fehlurteile unterlaufen ihr zu Hauf. Dennoch erfährt sie eine Läuterung. Und genau in dem Punkt, liegt hier für mich der besondere Reiz. Dass sie von ihrem hohen Ross herunter kommt, und das Glück und Leben der anderen Menschen lernt zu respektieren und sich nicht einzumischen.
Barbara hat geschrieben:Aber "Emma" ist für mich mehr, die Personen sind "ehrlicher", mag sein, direkter und weniger scheu im Umgang mit ihren Worten und Taten. Durch die besondere Form der Überzeichnung kommt die Jane Austen für mich deutlich zum Vorschein, die ich in „Northanger Abbey“ zu erkennen glaubte und in Emma nun tatsächlich gefunden zu haben scheine.
Ja, damit verstehe ich, was Dir an „Emma“ so besonders liegt. Das finde ich auch sehr reizvoll. Die Figuren sind schwungvoller, unbedachter (Emma, Frank Churchill, Harriet). Das hat einen besonderen Reiz, stimmt!
Barbara hat geschrieben:Die Gesellschaft kann Jane Austen in ihren Büchern schließlich nicht neu erfinden oder so umgestalten, dass alles gänzlich verändert wird. Dazu fehlt es ihr an „Weltmännigkeit“ und Erfahrungen außerhalb ihres Lebens. Dazu war sie zu sehr in ihrer „kleinen Welt“ verhaftet.
Dass es ihr dafür an Weltgewandtheit fehlt, da sie viel zu sehr in ihrer eigenen kleinen Welt verhaftet war, ist ganz sicher richtig. Dass sie die Gesellschaft nicht umgestaltet hat, schätze ich sehr an ihr. Denn Jane Austen hat uns so wundervolle Porträts ihrer kleinen Welt gezeichnet, dass ich es auch schade fände, wenn sie über anderes hätte schreiben wollen. Wie sagt man so schön? Schuster, bleib bei deinen Leisten.
Barbara hat geschrieben:Aber das ist auch gar nicht schlimm, denn wie Emma zeigt kann sie dennoch den Makel "dieser Welt" erkennen.
Und wie – auf eine ganz einzigartige, feine Art. Ich liebe sie dafür!