von Petra » Sa 15. Apr 2017, 16:53
Begeistert hat mich "Suite française". Was für eine Komposition. Im Anhang bekommt man Einblick in die Notizen von Irène Némirovsky zu dem Roman. An einer Stelle merkt sie an, dass die einzelnen Teile sich wie in der Musik ausnehmen müssten, in der mal der Chor zu hören ist und mal ein Solist. Und genau dieses Gefühl vermitteln diese beiden fertiggestellten Teile. In "Sturm im Juni" vernimmt der Leser einen Chor (die Masse), im zweiten Teil "Dolce" verweilt sie mehr bei einzelnen Figuren.
Die Autorin sorgt sich hierbei auch darum, ob der Roman trotzdem einen in sich stimmigen Klang findet. Diese Sorge ist gut zu verstehen, und umso größer war mein Respekt, denn alles fügt sich zu einer meisterlichen Komposition!
Überhaupt beabsichtigte sie viele Motive aus der Musik in dem Roman einzubringen; so bedauerlich, dass wir nicht in den Genuss ihrer gesamten Suite kommen dürfen, um mehr davon aufzuspüren.
Spannend, im Anschluss an die beiden fertiggestellten Teile des Romans an den Gedanken der Autorin zu ihrem Werk teilhaben zu können durch die im Anhang veröffentlichten Notizen. Auch im Hinblick darauf, wie die weitere Handlung angelegt war (über einige Entwicklungen kann man sich dadurch ein Bild machen), und so auch eine Idee davon zu bekommen, wie es den Figuren im weiteren Verlauf wohl ergangen wäre (es gibt allerdings nur Tendenzen, denn sicher war sich die Autorin noch nicht, und wollte vieles auch vom weiteren Verlauf des Krieges abhängig machen, um die Wirklichkeit dadurch abzubilden). Denn diese Figuren, diese Schicksale, lassen einen nicht kalt.
Durch "Suite française" habe ich wieder etwas mehr verstanden. Verstanden, wie es damals war, aus einem weiteren Blickwinkel (dem französischen). Irène Némirovsky wirft ein Schlaglicht auf die große Masse. Und sie wirft parallel Licht auf einzelne Menschen. So stehen sich in dem Roman Volk und Volk gegenüber (die Franzosen und die Deutschen im besetzten Frankreich), aber auch Menschen stehen hier Menschen gegenüber.
Ein vielschichtiger und intensiver Roman, der mich ergriffen zurückließ. Dankbar war ich nicht alleingelassen worden zu sein nach den beiden vorliegenden Teilen, sondern durch den Anhang noch tiefer eindringen zu können. In Irène Némirovskys Notizen zu dem Roman (hochinteressant!) und ihren Gedanken zu der Zeit, in der sie selbst die Bedrohung deutlich wahrnahm, und richtig einschätzte, dass ihr womöglich nicht genügend Zeit bleiben würde, den Roman zu vollenden, da sie vielleicht das Ende des Krieges gar nicht mehr erleben wird. Im Anschluss an diese Notizen folgt Korrespondenz, die hautnah miterleben lässt wie Irène Némirovsky verhaftet und deportiert wurde. In welch bodenlose Angst und Verzweiflung das ihren Mann gestürzt hat, der schließlich später ebenfalls deportiert und getötet wurde. Es wurde alles versucht, um sie zu retten. Diese Verzweiflung schmerzt allein schon beim lesen. Wie unerträglich muss sie gewesen sein! Auch für die beiden Töchter. Darin liegt auch der Grund warum das Manuskript so lange unentdeckt blieb. Die Töchter haben nicht die Kraft gefunden zu lesen, was ihre Mutter schrieb und wo sie mitten herausgerissen wurde.
Abschließend folgt noch eine biographische Notiz von Myriam Anissimov über das Leben von Irène Némirovsky. Ebenfalls hochinteressant, und neugierig machend auf alle ihre anderen Werke.