Orhan Pamuk

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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » Mi 15. Okt 2008, 11:18

Hier seine Rede zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse im Wortlaut:

http://www.boersenblatt.net/282439/

Gruß
Maria
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Mi 15. Okt 2008, 13:50

Oh, Dankeschön Maria! :)
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Fr 17. Okt 2008, 12:36

Hallo zusammen,

ich habe soeben die Eröffnungsrede zur Frankfurter Buchmesse von Orhan Pamuk gelesen. Danke nochmal Maria!

Ich fand es sehr interessant, was er in der Rede alles hat einfließen lassen. Man bekommt eine Ahnung von Vielem durch seine Worte. Bücher die Buchwelt und wie sich ein einzelnes Land (in dem Fall die Türkei) dort einordnen will und kann. Wie unverstanden sich die Türkei fühlt und welche Auswirkungen das auch auf einen türkischen Schriftsteller hat. Und wie sich diese Einstellung wiederum nach außen hin auswirkt. Und dass diese Einstellung veränderbar ist.

Auch darüber wie ähnlich Menschen fühlen und was sie so beschäftigt, zeigt er schön auf. Und macht noch mehr Mut seiner Stimme (in seinen Büchern) zu lauschen.

Auch wie der türkische Staat auf türkische Schriftsteller teils reagiert, war sehr interessant - besonders aus seinem Mund. Wie gut, dass sich da was bessert. Das macht Hoffnung. Nicht nur auf die Bücherwelt bezogen, sondern natürlich vor allen Dingen darauf was das für das Land und die Menschen die dort leben bedeutet.

Besonders schön fand ich auch, was er über Bücher sagt, die die Stimmen der Menschen sind und deren Leben und deren Zeit überdauern. Er gibt den Büchern damit ein so schweres Gewicht - aber er hat damit auch recht. Er hat mich damit jedenfalls sehr angesprochen und hatte bei jedem Wort meine volle Aufmerksamkeit.

Ich wollte hier nur mal gerade meine Gedanken zu der eben gelesenen Eröffnungsrede schweifen lassen.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » Fr 17. Okt 2008, 15:19

Hallo zusammen,
hallo Petra,

Petra hat geschrieben:

Auch wie der türkische Staat auf türkische Schriftsteller teils reagiert, war sehr interessant - besonders aus seinem Mund. Wie gut, dass sich da was bessert. Das macht Hoffnung. Nicht nur auf die Bücherwelt bezogen, sondern natürlich vor allen Dingen darauf was das für das Land und die Menschen die dort leben bedeutet.


Dass Schriftsteller sich frei äußern dürfen, ob in der Öffentlichkeit oder in ihren Büchern, finde ich besonders wichtig. Es ist schon bedeutsam, dass sich die Türkei auf der Frankfurter Messe vorstellen durfte. Nicht zu vergessen, ihre Diversität dem Westen näher zubringen und zugleich sich auch dem Westen zu öffnen. Türkei ist ja nicht nur ein moslimisches Land, sie vereint soviele Kulturen. Daraus kann jeder etwas für sich, durch die Literatur, mitnehmen.

Trotzdem frage ich mich, wie türkisch sind die Romane von Orhan Pamuk? Verstehen wir sein Anliegen so gut, weil sein Stil, trotz Orientalischer Erzählweise, westlich anmutet?

Frau Radisch hat in der letzten Sendung etwas ähnliches anklingen lassen, als sie den Buchtipp von Murathan Mungan: "Tschador" gab. Oder meinte sie etwas ganz anderes? Dennoch scheint "Tschador" auch ein politisches Thema in sich zu tragen.

http://www.perlentaucher.de/buch/30562.html

Schöne Grüße
Maria
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Fr 17. Okt 2008, 16:04

Hallo Maria,

JMaria hat geschrieben:Es ist schon bedeutsam, dass sich die Türkei auf der Frankfurter Messe vorstellen durfte. Nicht zu vergessen, ihre Diversität dem Westen näher zubringen und zugleich sich auch dem Westen zu öffnen.


Das hast Du sehr schön zum Ausdruck gebracht! Und wahr ist es!

JMaria hat geschrieben:Trotzdem frage ich mich, wie türkisch sind die Romane von Orhan Pamuk? Verstehen wir sein Anliegen so gut, weil sein Stil, trotz Orientalischer Erzählweise, westlich anmutet?


Eine berechtigte Frage! Ich kann da in Bezug auf Orhan Pamuk noch gar nichts beisteuern, weil ich ja noch keines seiner Bücher gelesen habe. Aber aus meiner aktuellen persönlichen Situation heraus kann ich sagen, dass die Frage sowieso ist: Wie türkisch ist die Türkei überhaupt? Ich will damit sagen: Wo hören unsere Vorstellungen auf und wo fängt die Wahrheit an? Das ist, denke ich, gar nicht greifbar. Vielleicht sind wir an den Menschen und den Gedanken dieses Landes viel näher dran als wir glauben? Und sie an uns? Vielleicht denkt ein Orhan Pamuk nur, dass er vielleicht zu türkisch (mit seinen Büchern) sein könnte für die westliche Bevölkerung und findet das durch den ein oder anderen Verleger-Spruch untermauert? Vielleicht fragst Du (stellvertretend für viele - so auch für mich) Dich nur, ob Orhan Pamuks Stil so westlich anmutet, weil er Dir viel zu wenig türkisch vorkommt.

Dieser Gedanke kommt mir aus Deiner Fragestellung heraus, aber auch aus einer persönlichen Erfahrung: Mein Freund ist ja Türke. Aber ich hätte mir das Leben mit einem türkischen Mann viel türkischer vorgestellt! Zumal gerade DIESER Mann ein "echter" Türke ist. Er hat 3/4 seines Lebens (besonders auch die prägenden Kinder- und Jugendjahre) in der Türkei verbracht (jahrelang in zwei verschiedenen Dörfern in der Nähe von Anatolien, bestimmt 20 Jahre in einer türkischen Großstadt und ein halbes Jahr in Istanbul - somit auch noch eine Rundherum-Mischung) und nur 1/4 seines Lebens in Deutschland. Gerade IHN hätte ich mir türkischer vorgestellt. Doch er kocht Bratkartoffeln und Champignons (er kann auch türkische Gerichte kochen, aber er ist viel weniger versessen darauf, als ich denken würde), hat keinen Gebetsteppich (wäre auch nicht schlimm wenn, aber ich möchte mit diesem flappsigen Spruch ausdrücken, dass er seine Religion ähnlich aktiv oder eben passiv auslebt wie ich meine), mag an Frauen keine Kopftücher... ich könnte noch mehr Klischees und Vorurteile aufführen, die er nicht bedient. Aber auch fern dieser plumpen Klischees kommt er mir so gar nicht türkisch vor. Und mein Umfeld (Familie, Freunde) sieht das meistenteils auch so. Spricht mich sogar darauf an.

Und hier bin ich wieder bei dem Gedanken, der mich während meines Urlaubs in dem türkischen Dorf (in der Großstadt, in der er gelebt hat, waren wir auch gewesen) aus dem er stammt beschlich (die Menschen dort waren auch ganz anders als ich erwartet hatte - viel weniger türkisch als in meiner Vorstellung): Sind die Menschen in der Türkei gar nicht so weit von uns entfernt?

Vielleicht ist es auch das, was andersherum Orhan Pamuk (und sicher auch andere Türken, die mit Deutschland oder anderen Ländern in Berührung kommen) wahrnimmt, aber nicht wahrhaben will: Die Türkische Literatur kann bei uns ankommen. Weil sie gar nicht so viel anders ist als unsere.

Nochmal in Kürze: In dem Dorf waren die Menschen natürlich anders als hier (manchmal stößt man auch an einen Punkt... unsanft. Weil deren Traditionen anders sind als unsere oder deren Moralempfinden an anderen Stellen empfindlich ist als unseres). Aber eben auch oft anders als in meiner Vorstellung. Und ich werde sicher nicht die einzige sein, deren VORSTELLUNG nicht ganz im Einklang mit den Tatsachen ist. Deswegen (ich bin gespannt wie Orhan Pamuks Bücher auf mich wirken): Ich bin mir nicht mehr so ganz sicher, ob ich bei einem Buch von Orhan Pamuk etwas so wahnsinnig Türkisches lese.

Aber meine Erfahrungen in dem Dorf - hiermit möchte ich das ganze nochmal etwas relativieren - machen ja nur einen Teil der Türkei aus. Du schriebst schon ganz richtig, Maria, sie vereint viele verschiedene Kulturen. Und in verschiedenen Landstrichen könnte ich vielleicht schon wieder ganz andere Eindrücke sammeln. Und ähnlich sehe ich es auch wieder in der Literatur: Der eine Autor ist von uns Westlichen vielleicht etwas weniger entfernt als ein anderer (hier könnte der von Dir erwähnte Murathan Mungan z. B. eventuell drunter zählen - ich WEIß es nicht, könnte es mir aufgrund der Rezensionsnotiz der Frankfurter Rundschau vage vorstellen). Das gilt es zu entdecken. Und vielleicht kann man dann die Frage ein bisschen weniger vage beantworten: Wie weit sind wir Westlichen von den Türken entfernt? Vielleicht nicht so weit, wie wir meinen.

Außerdem, das will ich zum Schluss noch anführen, darf man auch ganz sicher nicht vergessen, das ja auch allein schon ein Mensch sich vom anderen unterscheiden kann. Also Orhan Pamuk z. B. ganz anders (westlicher – oder einfach vielleicht nur aus unserer Sicht offen oder was auch immer und DESHALB erscheint er uns westlicher... weil wir z. B. mit dem Wörtchen "offen" den Gegriff "westlich" beschreiben würden) sein kann, als z. B. ein Autor, der nicht nur aus demselben Land, sondern sogar aus der gleichen Ecke stammt wie Orhan Pamuk. Das liegt zwar auf der Hand, wird aber (auch von mir) oft vergessen, da man durch einen Orhan Pamuk (oder einen anderen Autor) gleich das ganze Land sieht. Das ist natürlich auch nicht richtig so.

Ich habe keine Ahnung, ob hier jemand ansatzweise versteht, was ich meine. Denn all das beruht auf ersten Empfindungen und Annäherungen durch meinen noch jungen persönlichen Kontakt zu diesem Land und seinen Leuten. Und wollte diese nicht ganz greifbaren Empfindungen hier mit Euch teilen - weil Marias Frage und Orhan Pamuks Eröffnungsrede mich darüber intensiver nachsinnen ließen. Und mir schien es wichtig - auch mir selbst - noch mal bewusst zu machen, dass man von einem Buch eines türkischen Autors sicher nicht einzig erwarten sollte und darf, dass dadurch das Land widergespiegelt wird. Das wird zwar AUCH passieren. Aber sicher erhalten wir nur immer EINE Facette von VIELEN.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon steffi » Mo 20. Okt 2008, 09:23

Hallo Petra !

Ich finde das sehr interessant, was du geschrieben hast und auch JMarias Frage. Ich glaube auch nicht, dass man diese Frage so einfach beantworten kann und du bist ja auch sozusagen näher dran an der Türkei als z.B. ich. Vermutlich gibt es sehr viele Vorurteile und ich kann mir auch vorstellen, dass diese aus verschiedenen Gründen auch von der Presse und Politiker bestärkt werden. Deshalb finde ich es so wichtig, sich diesem Thema über einen/mehrere Schriftsteller zu nähern.

Und dazu stellt Pamuk ja immer wieder die These auf, dass Westen und Osten sich nicht so stark unterscheiden, weil es eben kulturelle gemeinsame Wurzeln gibt und die Unterscheidungen eben auch gleichwertig sind. Inwieweit er damit eher westlich oder eher türkisch argumentiert, kann ich gar nicht einschätzen, abgesehen von den radikalen Ansichten von Menschen beider Länder/Kulturkreise wird und kann sich aber doch jeder vernünftig Denkende anschließen. Für mich interessant ist aber, dass mir im westlichen Kulturkreis keine Schriftsteller bekannt sind (vielleicht gibt es welche ?) die ein ähnliches Thema haben. Also ist dieser Kulturverlust für die Türkei vielleicht ausgeprägter als bei uns ?

Zum Stil denke ich, dass zumindest in den beiden Büchern, die ich von ihm kenne, ein durchaus östlicher Stil - durch die Metaphern und durch den Aufbau - erkennbar ist.
Gruss von Steffi

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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Mo 20. Okt 2008, 10:08

Liebe Steffi,

ich werde in meiner Antwort viel aus Deinem Beitrag zitieren. Denn dieses Thema ist so wenig greif- und beantwortbar, dass ich die einzelnen - wie ich finde sehr wichtigen - Fäden Deines Postings kurz mit eigenen Gedanken dazu kommentieren möchte.

steffi hat geschrieben:Ich finde das sehr interessant, was du geschrieben hast und auch JMarias Frage. Ich glaube auch nicht, dass man diese Frage so einfach beantworten kann und du bist ja auch sozusagen näher dran an der Türkei als z.B. ich. Vermutlich gibt es sehr viele Vorurteile und ich kann mir auch vorstellen, dass diese aus verschiedenen Gründen auch von der Presse und Politiker bestärkt werden.


Ja, die (Vorurteile) gibt es! Manche seiner Vorstellungen bekommt man bei einem Besuch fernab der Touristengebiete bestätigt. Aber die meisten lösen sich vollkommen in Luft auf! Mich hat das verwundert, oder sagen wir besser: erstaunt. Denn es hat mir aufgezeigt, wie weit wir mit unserer Vorstellung oft von der Wahrheit entfernt sind. Ebenso sicher auch die Türken in ihren Vorstellungen über uns (vielleicht sind sie aber dichter dran, weil viele von ihnen mitten unter uns leben - wir hingegen doch sehr selten mitten unter ihnen, also in der Türkei). Oder jedes x-beliebige Land über ein x-beliebiges anderes.

Und Ayhan sagt auch oft, dass er sieht (er hat da einen anderen Blick drauf, weil er SEIN Land halt auch kennt) dass die Presse und die Politiker gern gewisse Vorstellungen bestärken. Obwohl sie es besser wissen müssten! Und in einigen Punkten kann ich es bereits - aus meinem noch frischem persönlichen Bezug zu diesem Land und seinen Menschen heraus - selbst entdecken.

steffi hat geschrieben:Deshalb finde ich es so wichtig, sich diesem Thema über einen/mehrere Schriftsteller zu nähern.


Das finde ich auch! Denn die Türkei sollte uns interessieren! Wegen der EU (Aufnahme oder nicht), weil viele von ihnen hier leben, wegen des Glaubens (der in der Politik ja auch oft eine Rolle spielt, auch wenn er dort gar nicht hingehören sollte)... wegen so vieler Dinge.

steffi hat geschrieben:Und dazu stellt Pamuk ja immer wieder die These auf, dass Westen und Osten sich nicht so stark unterscheiden, weil es eben kulturelle gemeinsame Wurzeln gibt und die Unterscheidungen eben auch gleichwertig sind.


Zu Pamuks These kann ich zwar noch nichts sagen (da ich von Pamuk auch noch kein Buch gelesen habe), aber auch hier kann ich sagen: Meine ersten zarten Eindrücke über das Land und seine Leute sagt mir dasselbe: So große Unterschiede sind da gar nicht. Bzw. ich hätte sie viel, VIEL größer vermutet. Und die Menschen mit denen ich mich darüber unterhalte (Freunde z. B. die sich damit auseinandersetzen müssen, dass ich einen türkischen Freund habe und auch in sein Land reise), vermuten auch viel größere Unterschiede. Auch bei denen baut sich das langsam etwas ab. Verständlicher Weise nicht so schnell wie bei mir, denn ich erfahre es ja auch Tag für Tag und das hautnah. Aber eben auch hier weichen sich Vorstellungen auf, die beim 100sten Mal hinsehen keine Bestätigung finden.

steffi hat geschrieben:...weil es eben kulturelle gemeinsame Wurzeln gibt und die Unterscheidungen eben auch gleichwertig sind. Inwieweit er damit eher westlich oder eher türkisch argumentiert, kann ich gar nicht einschätzen, abgesehen von den radikalen Ansichten von Menschen beider Länder/Kulturkreise wird und kann sich aber doch jeder vernünftig Denkende anschließen.


Sehe ich auch so!

Und inwieweit er eher westlich oder türkisch argumentiert kann ich auch nicht einschätzen. Dazu sind meine Eindrücke von seinem Land noch viel zu klein. Aber auf jeden Fall ist für mich nicht mehr ausgeschlossen, dass er eben nicht so westlich sondern durchaus türkisch argumentiert. Oder aber beides, weil sich beides eben nicht so sehr unterscheidet (in vielen Dingen), wie wir meinen.

steffi hat geschrieben:Für mich interessant ist aber, dass mir im westlichen Kulturkreis keine Schriftsteller bekannt sind (vielleicht gibt es welche ?) die ein ähnliches Thema haben. Also ist dieser Kulturverlust für die Türkei vielleicht ausgeprägter als bei uns ?


Diese Beobachtung teile ich mit Dir! Interesant Deine Gedanken darüber, warum das so ist. Wenn ich von Orhan Pamuk was gelesen habe, werde ich sicherlich mit meinem Freund darüber diskutieren. Und ihn auch um seine Meinung zu dieser Frage bitten.

Vielleicht ist es einfach so, dass man "verlangt", dass die Türkei sich an die westlichen Länder anpasst. Da haben sie halt schon noch was "aufzugeben" (oder fürchten das zumindest, auch sicher zu Recht, weil es auch gefordert wird - wie ich anfange zu sehen aber nicht völlig zu Recht. Die Türkei würde auch ganz gut zum Westen passen, wenn sie ihre Kultur und auch Traditionen beibehält. Hier und da gehört es vielleicht nur entschärft...?), im Gegensatz zu den westlichen Ländern. Von uns fordert doch keiner was aufzugeben um dazu zu gehören. Aber ich kann dazu nur ganz vage was sagen. Denn dazu müsste ich selbst erst mal aufspüren, wie Orhan Pamuk den befürchteten Kulturverlust bearbeitet. (Kannst Du dazu schon was sagen, Steffi? Eindrücke, die Du beim lesen gewonnen hast?)

steffi hat geschrieben:Zum Stil denke ich, dass zumindest in den beiden Büchern, die ich von ihm kenne, ein durchaus östlicher Stil - durch die Metaphern und durch den Aufbau - erkennbar ist.


Da bin ich gespannt, welche Eindrücke ich dazu sammeln werde. Ich habe gestern (aber nur 2 Seiten - ich habe meine Leseabsichten dazu im Thema "Gerade auf dem Nachttisch - Ich lese gerade" geäußert) "Das Museum der Unschuld" begonnen. Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Roman westlicher anmutet als viele seiner anderen Bücher (z. B. "Die weiße Festung" und "Rot ist mein Name"). Denn soweit ich das durch die Inhaltsangaben und kurzes reinlesen sagen kann, sind die surrealistischer und auch in einer vergangenen Zeit angesiedelt. Sie werden daher (besonders durch das etwas Unwirkliche) sicherlich märchenhafter erzählt. Und da kann sich die orientalische Erzählweise sicher stärker entfalten - schon ganz automatisch. Vielleicht ist "Das Museum der Unschuld" da etwas anders/westlicher in seiner Erzählweise. Wäre interessant... hast Du vor es bald zu lesen? Du hättest dann ja schon zu zwei anderen Büchern einen Vergleich.

steffi hat geschrieben:Ich finde das sehr interessant, was du geschrieben hast und auch JMarias Frage.


Es freut mich, dass damit (zumindest schon mal für Dich) damit was anzufangen war! Denn es sind wirklich vage Gefühle, Beobachtungen, Empfindungen, die sich mit dem Bild beißen, das ich vor meinen persönlichen Erfahrungen von dem Land und seinen Leuten hatte. Es ist eine Facette hinzugekommen: Durch meinen Freund und durch die Orte in denen er lange Zeit gelebt hat und die Menschen dort. Aber auch hier gilt: Es ist nur ein Landstrich von vielen in der Türkei. Und mein Freund ist EIN Mensch, EIN Türke unter vielen. Andere können auch wieder anders sein. Aber er und sein Dorf (und die Großstadt, in der er gelebt hat und der Badeort für Einheimische, den wir auch besuchten) haben mein Bild ordentlich erschüttert! Im positiven Sinne! Und ich denke und hoffe Orhan Pamuk und einige andere Schriftsteller können ebenfalls helfen, dass ich mir ein anderes Bild machen kann, das nicht aus meinen eigenen Vorstellungen zusammengesetzt ist. Sondern aus hingucken und zuhören entsteht. Nicht nur einer Stimme, sondern möglichst vielen. Somit: Das Thema Türkische Literatur wird für mich längere Zeit interessant bleiben. Und ich werde hier sehr offen sein für Buchempfehlungen!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » Mo 20. Okt 2008, 19:55

Hallo Petra und Steffi,

Petra, ich finde deinen Beitrag auch sehr offen und dein Hinterfragen zeigt, dass du dich gedanklich viel damit beschäftigst und deine Eindrücke aus dem Urlaub verarbeitest.

steffi hat geschrieben: Für mich interessant ist aber, dass mir im westlichen Kulturkreis keine Schriftsteller bekannt sind (vielleicht gibt es welche ?) die ein ähnliches Thema haben. Also ist dieser Kulturverlust für die Türkei vielleicht ausgeprägter als bei uns ?


Petra hat geschrieben:Wie türkisch ist die Türkei überhaupt? Ich will damit sagen: Wo hören unsere Vorstellungen auf und wo fängt die Wahrheit an? Das ist, denke ich, gar nicht greifbar.


Darüber lohnt sich nachzudenken. Mir ist im westlichen Kulturkreis auch kein Schriftsteller bekannt, der ein ähnliches Thema verarbeitet.

Bei uns in Deutschland wurden die Kriege und die Nachkriegszeit literarisch viel verarbeitet. Aber das ist auch nicht dasselbe.

Die Schriftsteller der "Lost Generation", die aus Amerika nach Europa kamen um frei schreiben zu können? mmh - ich weiß nicht, so gut kenne ich mich in dieser Geschichte auch nicht aus.

Die Angst vor Kulturverlust ist bestimmt vorhanden, vielleicht geht das Ganze bereits in die Identitätskrise. Das merkt man in "Schnee" deutlich. Der Staat sorgt dafür, dass Religion vom Staatswesen getrennt ist. Der Staat möchte säkular bleiben. Dadurch greift er tief ins religiöse Geschehen ein, aus Angst ein Gottesstaat zu werden. Vielleicht zu tief? Zuviele religiöse Einschränkungen können zu fundamentalistische Reaktionen führen. Ein Balancieren auf Messers Schneide.


Steffi hat geschrieben:Zum Stil denke ich, dass zumindest in den beiden Büchern, die ich von ihm kenne, ein durchaus östlicher Stil - durch die Metaphern und durch den Aufbau - erkennbar ist.


Du hast recht. Das setzt mein Bild über die Romane von Orhan Pamuk wieder zurecht. Auch die Dialoge zwischen Mann und Frau finde ich sehr orientalisch (türkisch?).


Petra hat geschrieben:Denn dazu müsste ich selbst erst mal aufspüren, wie Orhan Pamuk den befürchteten Kulturverlust bearbeitet. (Kannst Du dazu schon was sagen, Steffi? Eindrücke, die Du beim lesen gewonnen hast?)


vielleicht hat Steffi auch noch Eindrücke beizutragen.
Ich empfinde besonders in "Schnee" die Gefahr des Identitätsverlust. Die daraus empfundene Traurigkeit, aber auch eine Agressivität ist in "Schnee" zu spüren. (ich bin jedoch noch nicht mit dem Buch durch, es sind meine Eindrücke nach der Hälfte des Buches).

Petra hat geschrieben:"Das Museum der Unschuld" begonnen


ohh, viel Freude beim Lesen :)
Fevvers liest das Buch ja auch gerade.

Schöne Grüße
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Mi 22. Okt 2008, 09:22

Hallo zusammen,

was Du über den Identitätsverlust schreibst, Maria, ist interessant. Und ich kann mir auch hierzu - aufgrund meiner eigenen persönlichen Beobachtungen - vage etwas erfühlen. Das Wort (Identitätsverlust) halte ich mir mal zum Thema Türkei (und besonders Orhan Pamuk) im Hinterkopf. Ebenso das Wort Kulturverlust. Ich hoffe, ich kann auch auf literarischem Wege noch viele Eindrücke dazu gewinnen.

Ach wirklich? Fevvers liest auch gerade "Das Museum der Unschuld"? Ist es ihr erstes Buch von Pamuk?

Ich habe gestern auch wieder eine Mini-Zeit zum lesen gehabt. Und dann was anderes von Pamuk anzufangen (ich überlege das, weil ich mir denke, dass dieser neuste Roman von Pamuk der am wenigsten typische Pamuk ist. Bzw. denke ich, dass er hier das Thema Türkei am wenigsten durchleuchtet, worauf ich aber so neugierig bin) schien mir sinnlos. So las ich hierin erneut - wenn auch nur 1 Seite (wie gesagt, mir war klar, dass ich nur ganz kurz Zeit habe).

Somit bin ich wahrlich noch nicht weit. Aber es fällt mir bereits schwer, das Buch erst mal zur Seite zu legen, zugunsten eines anderen Pamuks. Das ist doch ein großes Kompliment an ihn! Denn wenn es ein Autor schafft den Leser direkt auf den ersten (inzwischen 3 Seiten) so zu fesseln, dann hat er da was ganz richtig gemacht!

Mir ist an seinem Erzählstil etwas sehr positiv aufgefallen. Ich kann das kaum beschreiben. Ich versuche es mal mit einem Vergleich:

Visuelle Bilder können unterschiedlich scharf sein. Entweder liegt das am vorhandenen Material (Papier und Können des Fotografen) oder es wird absichtlich weichgezeichnet.

Woran es bei Pamuk bei seinen (nicht visuell) gezeichneten Bildern liegt, weiß ich nicht. Aber das Gelesene wirkt auch mich so scharf. Und ich verstehe gar nicht so ganz warum. Denn er beschreibt die beiden Szenen, die ich bisher gelesen habe, nicht mal besonders plastisch oder detailiert. Es ist einfach ein Gefühl hier ein gestochen scharfes Bild zu bekommen.

Ich habe keine Ahnung ob Ihr versteht was ich meine und ob sich das mit Eindrücken deckt, die Ihr selbst gewonnen habt. Es würde mich interessieren, ob Ihr das ähnlich empfindet oder ob es eine ganz individuelle Wirkung bei mir ist. Könnt Ihr dazu was sagen? Es würde mich sehr interessieren, da mich meine Wahrnehmung selbst ein wenig überrascht. Denn wie gesagt: Ich finde nicht mal, dass Pamuk in den Szenen, auf die ich mich berufen kann, besonders genau beschreibt. Und ich kann diesen Eindruck, den ich habe, mir selbst nicht erklären. Vielleicht verflüchtigt er sich ja auch wieder. Aber ich denke, es war vielleicht genau das, was mich beim reinlesen in seine verschiedenen Bücher direkt so gepackt hat und würde das gern ergründen.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon steffi » Do 23. Okt 2008, 09:37

Petra hat geschrieben:Ich habe keine Ahnung ob Ihr versteht was ich meine und ob sich das mit Eindrücken deckt, die Ihr selbst gewonnen habt. Es würde mich interessieren, ob Ihr das ähnlich empfindet oder ob es eine ganz individuelle Wirkung bei mir ist. Könnt Ihr dazu was sagen?


Das ist für mich eben auch ein stilistisches Mittel des orientalischen Stils - die Beiläufigkeit und damit trotzdem die Schärfe der Bilder erinnern mich an die mündlichen Erzähler im Kaffeehaus, die "nur mit Worten" wunderbare Geschichten erzählen. Pamuk thematisiert das in "Rot ist mein Name" - eben auch die Entstehung der Bilder im Kopf - und nimmt gleichzeitig zu den Worten noch die Bilder der Maler hinzu.

JMaria hat geschrieben:Die Angst vor Kulturverlust ist bestimmt vorhanden, vielleicht geht das Ganze bereits in die Identitätskrise.

Identitätskrise ist ein gutes Stichwort - in "Das schwarze Buch" gibt es auch viel Aggression und Angst, unter diesem Gesichtspunkt habe ich es noch gar nicht betrachtet. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube nicht, dass Pamuk einen Lösungsvorschlag in den beiden Büchern anbietet, die ich kenne.

JMaria hat geschrieben:Der Staat möchte säkular bleiben. Dadurch greift er tief ins religiöse Geschehen ein, aus Angst ein Gottesstaat zu werden. Vielleicht zu tief? Zuviele religiöse Einschränkungen können zu fundamentalistische Reaktionen führen. Ein Balancieren auf Messers Schneide.

Ein beängstigendes Szenario - und wohl so nah an der Realität.

Petra hat geschrieben:Vielleicht ist "Das Museum der Unschuld" da etwas anders/westlicher in seiner Erzählweise. Wäre interessant... hast Du vor es bald zu lesen?

Ich glaube nicht, mich interessiert am meisten "Die weiße Festung", aber ob das dieses Jahr noch was wird ? Naja, wenn dieser thread hier weiter so interessant läuft, vielleicht ;)
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
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