Orhan Pamuk

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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Fr 30. Jan 2009, 11:21

Hallo Maria, Hallo Yvonne,

nachdem was ich über Orhan Pamuk weiß, bzw. gehört habe, denke ich auch dass "Das Museum der Unschuld" ein guter Einstieg ist, liebe Yvonne.

Maria hat geschrieben:er ging eigentlich mit den falschen Vorsätzen an das Verhältnis. Er dachte ja, dass Füsun, da sie mit 16 Jahren einen Schönheitswettbewerb mitmachte, ist sie leicht zu haben. Darin haftet schon ein Vorurteil. Der Nachhilfeunterricht in Mathematik war für in eigentlich nur ein Vorwand. Doch überraschenderweise war sie noch unberührt. Natürlich will er jetzt nicht, dass sie einem anderen gehört. Ist es Liebe oder doch nur Obsession?

Sibel ist modern, kleidet sich nach westlichem Stil und hat sich ihm aber nur hingegeben, weil sie auf sein Ehrgefühl (Tradition) vertraut, sie zu heiraten. Das wußte er und möchte sich auch daran halten, eigentlich liebt er sie auch.

Eine Zwickmühle. Tradition und Moderne, in der Liebe, zerreißen ihn.


Dass sie leicht zu haben sei, weil sie bei einem Schönheitswettbewerb mitgemacht hat, meinte aber eigentlich ja Kemals Mutter. Er selbst vertritt diese Meinung ja nicht. Aber es kann schon sein, dass er unterschwellig davon beeinflusst ist. Sich eben aus diesem Gedankengut nicht wirklich befreien kann. Auch wenn der Verstand ihm sagt, dass es nicht schlimm ist und nichts heißen muss, dass Füsun bei so etwas mitgemacht hat, so sind die uralten Vorurteile doch auch irgendwo in seinem Unterbewusstsein verankert. So könnte ich es mir auch vorstellen.

Und ja, dass er Sibel heiraten wird, wird darin begründet sein, dass er nicht einfach so gegen die Traditionen handeln kann (er hat mit ihr ja schon geschlafen). Das kann ich mir auch denken. Aber dass es sich so sehr im Unterbewusstsein bei ihm abspielt, erstaunt mich noch ein wenig. Das wird vielleicht erst deutlicher in den nächsten Kapiteln (also der Verlobung und die Zeit danach). Seine Gedanken und Beweggründe werden dann vielleicht noch deutlicher.

Denn bis jetzt sieht es für mich als Leser noch so aus, als wenn er Sibel gegenüber "verpflichtet" wäre, sie schon sehr mag und sich ein Leben mit ihr gut vorstellen kann (weil sie modern ist, gut aussieht und sich vorzeigen lässt)... aber halt auch dass er Füsun richtig liebt und er schon irgendwie fühlt, dass das mehr ist als das was ihn mit Sibel verbindet. Mir scheint bis zu diesem Punkt des Buches noch, als sei er sich bewusst darüber. Aber anscheinen wird ihm sein Unterbewusstsein wohl Streiche spielen. So dass er sich trotzdem mit Sibel verlobt. Aber klar ist mir an dem Punkt des Buches noch nicht, wie er sich das dann mit Füsun vorstellt. Zumal er ja schon so in sie verliebt ist, dass er sie für sich ganz allein möchte. Wie stellt er sich vor, das zu verwirklichen wenn er Sibel heiratet? Das kapiere ich nicht recht. Aber diese Gedankengänge werden sicher mit den nächsten Kapiteln klarer. Eben dieses subtile festhalten an der Tradition und den Erwartungen der Gesellschaft, was sich mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen beißt.

Und was ich so gehört habe über die Liebe in der Türkei (ich habe ja einen persönlichen Bezug dazu durch meinen Freund), so ist das alles schon wirklich schwierig bis hin teilweise fast unmöglich. Was man will und was von einem erwartet wird, sind da oft zwei verschiedene Dinge. Und da muss man gewiss - auch als Leser - versuchen mit anderen (den dortigen) Maßstäben zu messen.

Ich bin gespannt darauf, mich in Kemals Probleme und sein zerrissenes Inneres hineinversetzen zu lassen!

Maria hat geschrieben:nochmals zum Nachhilfeunterricht:
dieser Aspekt hat mich gestört. Sie lieben sich und dann schaut er ihre Matheaufgaben durch. *grusel*
Ich kanns nicht beschreiben, aber das Bild, das sich mir dabei machte, mochte ich nicht.


Ich glaube auch das ist etwas typisches für ein Leben zwischen eigenen Wünschen und den Erwartungen der tradtionsbewussten Gesellschaft. Man muss für sich selbst vielleicht schon einen Scheingrund schaffen, weil man mit diesen Vorgaben der Tradtion zu kämpfen hat. Einfach darüber stehen und zu sich selbst sagen "ich will diese Frau - ich treffe mich jetzt einfach heimlich mit ihr", geht wohl nicht so einfach. Man fühlt sich damit wahrscheinlich irgendwie schlecht. Und braucht einen "Grund". So könnte ich es mir erklären... bzw. es deckt sich auch mit ein paar (wenn auch ganz vagen) Beobachtungen die ich selbst gemacht habe durch Dinge die mir mein Freund erzählt hat. Dort kann man einfach nicht so offen mit diesen Dingen umgehen. Auch vor sich selber nicht. Und heraus kommt bei so etwas eben so was "gruseliges" wie das Matheaufgaben nachschauen nachdem man was miteinander hatte.

Maria hat geschrieben:Jetzt ist Füsun jedenfalls weg und das Buch hat eine immer größere Sogwirkung.


Ach, der Lesesog wird noch größer? ;-)
Das erstaunt mich auch an dem Buch (schon jetzt wo Füsun noch da ist): Der Lesesog. Dass es einem Autor gelingt einen solchen Sog zu entwickeln - bei solch einem Thema. Aber er schafft es wirklich!

Freut mich sehr, dass Du mit meinen Statements zu den Gegenständen so viel anfangen konntest! Ich finde (und erlebe es so) auch wirklich, dass Gegenstände eine große Kraft entwickeln können... sie lösen lebendige Erinnerungen aus, katapultieren einen in andere Zeiten zurück. Erstaunliches Erlebnis!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon steffi » Fr 30. Jan 2009, 11:39

lalala *Augenzuhalt* - nachdem ich ja dachte, dass gerade "Museum der Unschuld" mich nicht so brennend interessieren würde, postet ihr solche interessanten Dinge ! Igitt, wie gemein ! ;) Womöglich muss ich meine interne Pamuk-Liste umstellen !
Gruss von Steffi

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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » Fr 30. Jan 2009, 11:42

steffi hat geschrieben:lalala *Augenzuhalt* - nachdem ich ja dachte, dass gerade "Museum der Unschuld" mich nicht so brennend interessieren würde, postet ihr solche interessanten Dinge ! Igitt, wie gemein ! ;) Womöglich muss ich meine interne Pamuk-Liste umstellen !


Hallo Steffi,

ich habe Sätze im Buch gefunden, da habe ich mir gedacht, die müßte ich eigentlich Steffi mal vorlesen *g*

mal sehen, vielleicht hol ich noch den einen oder anderen Satz hier her. Das Buch habe ich mir nämlich aus der Bib ausgeliehen, also theorethisch müßte ich sie dir posten, bevor ich das Buch wieder abgebe. *g*

Liebe Grüße
Maria
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon steffi » Fr 30. Jan 2009, 11:46

Hallo Maria,

na sowas, tststs ... Du hast wohl kein Mitleid mit mir :lol:
Gruss von Steffi

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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » So 1. Feb 2009, 21:23

Hallo Petra,

Petra hat geschrieben:Dass sie leicht zu haben sei, weil sie bei einem Schönheitswettbewerb mitgemacht hat, meinte aber eigentlich ja Kemals Mutter. Er selbst vertritt diese Meinung ja nicht. Aber es kann schon sein, dass er unterschwellig davon beeinflusst ist. Sich eben aus diesem Gedankengut nicht wirklich befreien kann. Auch wenn der Verstand ihm sagt, dass es nicht schlimm ist und nichts heißen muss, dass Füsun bei so etwas mitgemacht hat, so sind die uralten Vorurteile doch auch irgendwo in seinem Unterbewusstsein verankert. So könnte ich es mir auch vorstellen.


oh, er manipuliert eigentlich seine Mutter zu einer Meinung, indem er sie erinnerte, dass Füsun an einem Schönheitswettbewerb mitgemacht hat. Seine Freunde reden darüber, dass Füsun vorehelichen Geschlechtsverkehr hat und er fragt es sich ob das wohl stimmt. Hätte er sich ihr in der Art genähert, wenn er sich die Frage garnicht hätte stellen müssen?

Später in Kapitel 46 (S. 243 oben) sagt Sibel etwas und was er daraufhin denkt ist sehr ausschlaggebend, warum er in diese Obsession schlitterte. Wäre er bei Füsun geblieben, wenn er nicht der Erste gewesen wäre?

Das Buch kreist eigentlich nur um Kemal und darin liegt das Problem für den Leser. Wir erfahren ja nur soviel über seine Gedanken und Empfindungen wie er möchte und zulässt, doch ob wir ihm alles glauben können, ist zu bezweifeln! Er zimmert sich so einiges für seine Beziehung zu Füsun und Sibel zurecht, dass er zwar gerne selbst und uns glauben machen möchte, doch nicht unbedingt wahr ist. Der Leser ist verunsichert. Das ist wohl gewollt.

Liebe Grüße
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Mo 2. Feb 2009, 10:00

Hallo Maria,

vielen Dank für Deine interessanten Gedanken dazu. Und ich kann mir gut vorstellen, dass Du damit sehr richtig liegst! Im Anfang (also ohne Kenntnis des weiteren Verlaufs und der Gedanken die Kemal sich dazu macht) kann man das, denke ich, nur noch nicht so deutlich herauslesen. Denn den Anfang, fand ich, konnte man auch anders lesen. Eben dass er das zwar anspricht (mit dem Schönheitswettbewerb) und um die Meinung seiner Mutter (und anderer) darüber weiß, sie aber nicht selbst vertritt.

Ich muss auch noch mal nachblättern, wie das war. Füsun gab m. E. nach schon deutlich zu verstehen, dass sie noch Jungfrau ist. Das hat er ja mal dann mindestens vor der Verlobungsfeier gewusst. Aber das muss ich noch mal gezielt nachlesen.

Aber ich denke die Verlobungsfeier ist dann die Schlüsselszene, die dann ganz deutlich macht, was Du hier ansprichst. Ich kann mir gut vorstellen, dass man dann seine ursprünglichen Motive deutlicher sieht. Seine Gründe warum er sich Füsun überhaupt genähert hat und wie er sich das - wie Du so passend ausdrückst - zurechtzimmert (das ist es auch was ich meinte: man muss sich selbst gegenüber sicher einigen Schein, wie z. B. die Nachhilfe, aufrecht erhalten, damit man mit sich selbst im "reinen" bleibt, wenn einem solche Moralvorstellungen im Nacken sitzen).

Den Weg, den Leser durch Kemal alles miterleben und durchdenken zu lassen, ist natürlich ein sehr schlauer. Um dem westlichen Leser z. B. Kemals Verhalten zu erklären. Man steigt in seinen Kopf und versteht dadurch mehr von dieser Zerrissenheit. Interessant! Ich bin gespannt darauf!

@Steffi: Gemein, nicht wahr? Da dachtest Du, Du bist vor diesem Buch von Orhan Pamuk recht sicher, und dann sowas! ;-)
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » Mo 2. Feb 2009, 10:58

Hallo Petra,

Petra hat geschrieben: Und was ich so gehört habe über die Liebe in der Türkei (ich habe ja einen persönlichen Bezug dazu durch meinen Freund), so ist das alles schon wirklich schwierig bis hin teilweise fast unmöglich. Was man will und was von einem erwartet wird, sind da oft zwei verschiedene Dinge. Und da muss man gewiss - auch als Leser - versuchen mit anderen (den dortigen) Maßstäben zu messen.


darüber habe ich gestern nachgedacht. Du hast absolut recht und wenn man im Buch weiter liest, bemerkt man, dass Kemal im Grunde seine Wertvorstellung verloren hat oder zumindest weiß er nicht, wie er zu handeln hat. Seine Umgebung und die Gesellschaft zeigen dem Leser, wie schwierig es für diese Generation ist. Kommt mir fast schon wie eine "Lost Generation" vor, zumindest in der Großstadt Istanbul.

Liebe Grüße
Maria
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon steffi » Mo 2. Feb 2009, 11:06

Och nö, ich lese hier jetzt nicht mehr mit!

*murmel:weiße Festung-weiße Festung-weiße Festung ...*
Gruss von Steffi

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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon JMaria » Mo 2. Feb 2009, 11:25

steffi hat geschrieben:Och nö, ich lese hier jetzt nicht mehr mit!

*murmel:weiße Festung-weiße Festung-weiße Festung ...*


:D

ich glaube, auf die weiße Festung dürfen wir auch schon sehr gespannt. Dieser Orhan Pamuk trifft genau meinen Lesenerv. Das ist ein berauschendes Gefühl. Echt wahr.

Wenn Kemal durch die Straßen Istanbuls irrt, auf der Suche nach seiner Geliebten, hatte ich ein "Ulysses"-Gefühl. Seine Gedanken und Zerrissenheit erinnern mich an Marcel Proust und mir fiel ein passender Satz aus der "Wiedergefundenen Zeit" ein; ich habe ihn herausgesucht:

Hier nun hatte sich plötzlich die Wirkung dieses harten Gesetzes als neutralisiert und aufgehoben erwiesen durch einen wundervollen Kunstgriff der Natur, die eine Empfindung - Geräusch des Löffels und des Hammers, gleicher Buchtitel usw. - einmal in der Vergangenheit hatte aufschillern lassen, was meiner Imagination sie wahrzunehmen gestattete, zugleich aber auch in der Gegenwart, in der nun die wirklichen Aktivierung meiner Sinne durch das Geräusch, die Brührung mit dem Wäschestück zu den Träumen der Imagination das hinzugegeben hatte, was ihnen gewöhnlich fehlte, das heißt die Idee der Existenz; dank diesem Trick aber hatte sie meinem Wesen für die Dauer eines Blitzes erlaubt, etwas zu erlangen, zu sondern und festzuhalten, was es niemals erahnt hatte: ein kleines Quantum reiner Zeit. Das WEsen, das in mir wiedergeboren war, als ich vor Glück derart erbebend das gemeinsame Geräusch des Löffels festgestellt hatte, der den Teller berührt, und des Hammers....

Hier ein Satz aus dem Kapitel 44 "Museum der Unschuld":

Als ich so Viertel um Viertel, Straße um Straße durchkämmte, wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass mir später einmal diese Fahrten in glücklicher Erinnerung bleiben würden.... Wenn ich so mit der Zigarette in der Hand vorsichtig über das ramponierte Kopfsteinplaster enger Gassen fuhr und plötzlich wieder eine imaginäre Füsun vor mir auftauchen sah, parkte ich sogleich und empfand tiefe Zuneigung für das schöne arme, nach Rauch riechende Viertel, für die müden Kopftuchfrauen, die misstraurischen Jugendlichen, die sehen wollten, wer da hinter den Mysterien ihres Viertesl her war, die Arbeitslosen und Alten, die im Kaffeehaus dösten und Zeitung lasen. Auch wenn sich herausstellte, dass irgendein Schatten, den ich von weitem verfolgte, nicht Füsun war, verließ ich das Viertel nicht gleich, sondern spazierte noch lange ziellos herum, weil da, wo Füsuns Phantom sich herumtrieb, ja gut und gerne auch sie selbst wohnen konnte....

so ein Quantum reiner Zeit findet Kemal wohl auch in seiner Sammlung von Gegenständen, die ihn an Füsun erinnern.


Viele Grüße
Maria
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Re: Orhan Pamuk

Beitragvon Petra » Mo 2. Feb 2009, 12:20

Hallo Maria und Steffi,

Maria, Du bist ja echt gemein! :mrgreen:

Steffi versucht sich durch ihr weiße Festung-Mantra von "Das Museum der Unschuld" abzulenken und Du streust feste Salz in ihre Wunden! *g*

JMaria hat geschrieben:darüber habe ich gestern nachgedacht. Du hast absolut recht und wenn man im Buch weiter liest, bemerkt man, dass Kemal im Grunde seine Wertvorstellung verloren hat oder zumindest weiß er nicht, wie er zu handeln hat. Seine Umgebung und die Gesellschaft zeigen dem Leser, wie schwierig es für diese Generation ist. Kommt mir fast schon wie eine "Lost Generation" vor, zumindest in der Großstadt Istanbul.


Ja, und nicht nur diese Generation. Ich glaube, das zieht sich bis in die heutige Zeit! Denn man kann da nicht so einfach wie man gerne möchte... ich habe mir darüber viel von Ayhan erzählen lassen.

Kein Wunder also wenn man hin und hergerissen ist zwischen WOLLEN und SOLLEN. Und sich alles so zurechtstrickt, dass man seine Wünsche irgendwie halbwegs ausleben kann und dennoch den Moralvorstellungen standhält. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht mit Kemal. Und wie er meine Gedanken dazu noch ankurbelt.
Liebe Grüße,
Petra


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