nachdem was ich über Orhan Pamuk weiß, bzw. gehört habe, denke ich auch dass "Das Museum der Unschuld" ein guter Einstieg ist, liebe Yvonne.
Maria hat geschrieben:er ging eigentlich mit den falschen Vorsätzen an das Verhältnis. Er dachte ja, dass Füsun, da sie mit 16 Jahren einen Schönheitswettbewerb mitmachte, ist sie leicht zu haben. Darin haftet schon ein Vorurteil. Der Nachhilfeunterricht in Mathematik war für in eigentlich nur ein Vorwand. Doch überraschenderweise war sie noch unberührt. Natürlich will er jetzt nicht, dass sie einem anderen gehört. Ist es Liebe oder doch nur Obsession?
Sibel ist modern, kleidet sich nach westlichem Stil und hat sich ihm aber nur hingegeben, weil sie auf sein Ehrgefühl (Tradition) vertraut, sie zu heiraten. Das wußte er und möchte sich auch daran halten, eigentlich liebt er sie auch.
Eine Zwickmühle. Tradition und Moderne, in der Liebe, zerreißen ihn.
Dass sie leicht zu haben sei, weil sie bei einem Schönheitswettbewerb mitgemacht hat, meinte aber eigentlich ja Kemals Mutter. Er selbst vertritt diese Meinung ja nicht. Aber es kann schon sein, dass er unterschwellig davon beeinflusst ist. Sich eben aus diesem Gedankengut nicht wirklich befreien kann. Auch wenn der Verstand ihm sagt, dass es nicht schlimm ist und nichts heißen muss, dass Füsun bei so etwas mitgemacht hat, so sind die uralten Vorurteile doch auch irgendwo in seinem Unterbewusstsein verankert. So könnte ich es mir auch vorstellen.
Und ja, dass er Sibel heiraten wird, wird darin begründet sein, dass er nicht einfach so gegen die Traditionen handeln kann (er hat mit ihr ja schon geschlafen). Das kann ich mir auch denken. Aber dass es sich so sehr im Unterbewusstsein bei ihm abspielt, erstaunt mich noch ein wenig. Das wird vielleicht erst deutlicher in den nächsten Kapiteln (also der Verlobung und die Zeit danach). Seine Gedanken und Beweggründe werden dann vielleicht noch deutlicher.
Denn bis jetzt sieht es für mich als Leser noch so aus, als wenn er Sibel gegenüber "verpflichtet" wäre, sie schon sehr mag und sich ein Leben mit ihr gut vorstellen kann (weil sie modern ist, gut aussieht und sich vorzeigen lässt)... aber halt auch dass er Füsun richtig liebt und er schon irgendwie fühlt, dass das mehr ist als das was ihn mit Sibel verbindet. Mir scheint bis zu diesem Punkt des Buches noch, als sei er sich bewusst darüber. Aber anscheinen wird ihm sein Unterbewusstsein wohl Streiche spielen. So dass er sich trotzdem mit Sibel verlobt. Aber klar ist mir an dem Punkt des Buches noch nicht, wie er sich das dann mit Füsun vorstellt. Zumal er ja schon so in sie verliebt ist, dass er sie für sich ganz allein möchte. Wie stellt er sich vor, das zu verwirklichen wenn er Sibel heiratet? Das kapiere ich nicht recht. Aber diese Gedankengänge werden sicher mit den nächsten Kapiteln klarer. Eben dieses subtile festhalten an der Tradition und den Erwartungen der Gesellschaft, was sich mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen beißt.
Und was ich so gehört habe über die Liebe in der Türkei (ich habe ja einen persönlichen Bezug dazu durch meinen Freund), so ist das alles schon wirklich schwierig bis hin teilweise fast unmöglich. Was man will und was von einem erwartet wird, sind da oft zwei verschiedene Dinge. Und da muss man gewiss - auch als Leser - versuchen mit anderen (den dortigen) Maßstäben zu messen.
Ich bin gespannt darauf, mich in Kemals Probleme und sein zerrissenes Inneres hineinversetzen zu lassen!
Maria hat geschrieben:nochmals zum Nachhilfeunterricht:
dieser Aspekt hat mich gestört. Sie lieben sich und dann schaut er ihre Matheaufgaben durch. *grusel*
Ich kanns nicht beschreiben, aber das Bild, das sich mir dabei machte, mochte ich nicht.
Ich glaube auch das ist etwas typisches für ein Leben zwischen eigenen Wünschen und den Erwartungen der tradtionsbewussten Gesellschaft. Man muss für sich selbst vielleicht schon einen Scheingrund schaffen, weil man mit diesen Vorgaben der Tradtion zu kämpfen hat. Einfach darüber stehen und zu sich selbst sagen "ich will diese Frau - ich treffe mich jetzt einfach heimlich mit ihr", geht wohl nicht so einfach. Man fühlt sich damit wahrscheinlich irgendwie schlecht. Und braucht einen "Grund". So könnte ich es mir erklären... bzw. es deckt sich auch mit ein paar (wenn auch ganz vagen) Beobachtungen die ich selbst gemacht habe durch Dinge die mir mein Freund erzählt hat. Dort kann man einfach nicht so offen mit diesen Dingen umgehen. Auch vor sich selber nicht. Und heraus kommt bei so etwas eben so was "gruseliges" wie das Matheaufgaben nachschauen nachdem man was miteinander hatte.
Maria hat geschrieben:Jetzt ist Füsun jedenfalls weg und das Buch hat eine immer größere Sogwirkung.
Ach, der Lesesog wird noch größer?
Das erstaunt mich auch an dem Buch (schon jetzt wo Füsun noch da ist): Der Lesesog. Dass es einem Autor gelingt einen solchen Sog zu entwickeln - bei solch einem Thema. Aber er schafft es wirklich!
Freut mich sehr, dass Du mit meinen Statements zu den Gegenständen so viel anfangen konntest! Ich finde (und erlebe es so) auch wirklich, dass Gegenstände eine große Kraft entwickeln können... sie lösen lebendige Erinnerungen aus, katapultieren einen in andere Zeiten zurück. Erstaunliches Erlebnis!