Hallo zusammen, hallo Maria,
"unschlüssige Schlüsse" ist eine hübsche, wortspielerische Formulierung des NZZ-Rezensenten; das trifft es sehr gut. Mittlerweile habe ich schon sechs der sieben Geschichten gelesen. Den älteren Erzählband
In finsterer Nacht habe ich mir jetzt auch bestellt.
Er enthält weitere drei Geschichten, die alle nicht im Manesseband enthalten sind und die ich mir nicht entgehen lassen will. Da ist ja derselbe Übersetzer am Werke (Michael Stein) wie in der Manesse-Ausgabe, er macht seine Sache sehr gut, soweit ich das beurteilen kann, jedenfalls ist er mit Herzblut bei der Sache, wie man auch an den Anmerkungen sieht, die ich sehr hilfreich finde, weil man dadurch einen besseren Einblick in diese fremde Kultur erhält. Bestimmte Alltagsgegenstände oder Festtage oder Frisuren haben ja für Japaner eine bestimmte Konnotation, so etwas wird in den Anmerkungen erklärt, dadurch kann man sich besser in die Geschichten hineinfinden und einleben.
Aufgefallen ist mir, daß es häufig recht junge Menschen sind, die in den Geschichten im Mittelpunkt stehen, in der längsten Geschichte "Solange sie ein Kind war" geht es um zwei rivalisierende Jugendbanden, wo die Beteiligten ungefähr zwischen 13 und 15 Jahren alt sind. Diese Geschichte ist relativ handlungsreich, andere Geschichten sind das weniger, sie vermitteln eher eine Art Stimmungsbild, da geht es um die Darstellung und Verdeutlichung einer bestimmten Situtation, eines Zustandes, so wie in "Eine leere Zikadenhülle", wo alles Entscheidende schon passiert ist und sich auch nichts mehr ändern wird. Als Leser gewinnt man im Laufe der Erzählung einen Überblick und ein Verständnis für die beteiligten Personen. Die Geschichten enden eigentlich immer sehr melancholisch, Trennung und unerfüllbare Liebe sind Kernthemen, die Autorin selbst versinkt aber keineswegs in Sentimentialiät, sondern als Erzählerin hält sie Distanz zu ihren Figuren. Das Milieu wird lebensnah und mit feinem Humor geschildert.
Manchmal bekommt man beim Lesen dieser Geschichten das unheimliche Gefühl, daß die Liebe eine böse Krankheit sei, die den Menschen befällt und ihn niederdrückt, isoliert und auf sich selbst zurückwirft. Isolation und Kommunikationsunfähigkeit könnte man deshalb ebenfalls als zentrale Themen benennen. Die gesellschaftlichen Zustände, in die die geschilderten Menschen eingebettet sind, erlauben ihnen aber auch kein freies Handeln, es ist also nicht die Liebe als solche, die sie ins Unglück stürzt. Die Betonung des Unausweichlichen und Schicksalhaften wird durch melancholische Naturbilder verstärkt, etwa wenn in der Erzählung "Kirschblüten in der Finsternis" am Ende welke Kirschblätter zu Boden sinken: die Blüten sind vergangen und es bleiben nur noch tote Blätter. Die Geschichte "Solange sie ein Kind war" beginnt in der warmen heiteren Jahreszeit und endet im frostigen Winter, eine genaue Widerspiegelung des Seelenzustandes der Hauptfigur. Aber es endet nicht alles in Hoffnungslosigkeit, auf dem frostigen Boden liegt eine schöne Papierblume, die sorgfältig in eine Vase gestellt wird; und in "Kirschblüten in der Finsternis" verweist die Kranke auf den morgigen Tag, so daß keineswegs sicher ist, daß sie in Kürze wie ein "welkes Kirschblatt" vergehen muß. Das sind eben die erwähnten "unschlüssigen Schlüsse", die noch gewisse Möglichkeiten und Freiheiten offenlassen.
Schöne Grüße,
Wolf