Gegen das Vergessen

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Josie » Do 10. Mai 2018, 14:00

Das Buch ist mir beim "Kaffeehaussitzer" auch schon aufgefallen. Sehr interessant, Kessy, das stimmt.

Ich ergänze zum Thema mal noch einen Artikel aus dem Börsenblatt. Leider ist diese Veranstaltung in Frankfurt komplett an mir vorbeigegangen. Ich hätte sie gerne besucht.

https://www.boersenblatt.net/artikel-bo ... 65820.html

In dem Zusammenhang wird übrigens ganz unten auf der Seite des Börsenvereins die Aktualität des Themas angesprochen.

Auch wenn es hier nicht speziell "Gegen das Vergessen" des Zweiten Weltkrieges geht, aber irgendwie passt es dennoch zum Thema, da es leider auch heute in so vielen Ländern immer noch und leider schon wieder zunehmend Usus ist, Bücher zu verbieten.

Auf dieser Seite stellen ab heute Buchhändler Bücher vor, die in deutscher Sprache erhältlich, aber in ihren Heimatländern verboten sind. Diese Vorstellungen werde ich auf jeden Fall weiter verfolgen.

https://www.wort-und-freiheit.de/ig-mei ... e-buecher/
Liebe Grüße
Claudia


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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » So 10. Jun 2018, 19:52

Janko Lauenberger mit Juliane von Wedemeyer: Ede und Unku - die wahre Geschichte - Das Schicksal einer Sinti-Familie von der Weimarer Republik bis heute

Das Büchlein Ede und Unku von Alex Wedding endete vor der Nazizeit. Im Mai 1933 wurde es von den Faschisten verbrannt und es gehörte damit zu den verbotenen Büchern.

Janko Lauenberger, Ur-Cousin von Unku, hat die Geschichte der Familie weitererzählt. Ein gutes Fazit kann er zum Schluss des Buches leider nicht ziehen. Der Rassismus scheint heute "in Wellen über unser Land zu schwappen". In den 90er Jahren hat er das nicht so schlimm empfunden. Wer ihn da nach seiner Herkunft fragte, tat das aus Interesse. Heute erntet er oftmals "unfreundliche und bohrende" Blicke.

In dem Buch ging es auch weniger um Unkus Familie als vielmehr um den Klassenkampf der Arbeiter. Ansonsten, davon ist Janko Lauenberger überzeugt, wäre es nie in den Schulplan mit aufgenommen worden. So haben es seit den 50er Jahren Millionen Schüler gelesen.

Nach mehr als dreißig Jahren erst erfuhr die Familie, dass es über sie ein Buch gibt. Und während es dort ein gutes Ende nimmt, war dies für Unku keinesfalls so. Sie, ihre beiden Töchter und ihre Mutter starben in Auschwitz. Nur der Vater überlebte. Das einzige was ihm von Unku blieb, sind die Bilder aus dem Büchlein.

Dieses nun vorliegende Buch hat Janko Lauenberger geschrieben, weil er, nun selbst Vater geworden, nicht will, dass seine Kinder denselben Vorurteilen gegenüberstehen. Vorurteile, die bis heute bestehen. Laut einer Umfrage aus dem Jahre 2014 stoßen die Sinti und Roma auf mehr Ablehnung, als jede andere Gruppe. "20 Prozent der Befragten würden uns nicht einmal zum Nachbarn haben wollen. Wenn ich so etwas höre, muss ich schon aus Verzweiflung etwas tun."

Mit zwölf Jahren, als sich Unku taufen lässt, erfährt sie schon eine Spur von Rassismus von ihrer Patin Frieda Zeller-Plinzner. Zu dieser Zeit ist Grete Weiskopfs Buch schon verboten und sie selbst mit ihrem Mann im Exil.

Zwischendurch erzählt der Autor Janko Lauenberger auch aus seiner Kindheit, die er in der DDR zubrachte.
Lesende Grüße, Anne

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Mo 11. Jun 2018, 10:00

Im Juli 1936, zwei Wochen vor den Olympischen Spielen, werden die Berliner Wagenplätze geräumt. Angeblich wegen der Hygiene. Nun stehen sie zwischen den Rieselfeldern der Berliner, direkt an den Bahnschienen. Dort gibt es für alle nur zwei Toilettenanlagen und regelmäßig kommen LKWs mit Jauche, die hier entsorgt wird.
Im August 1938, Unku ist mittlerweile mit Mucki verheiratet, bringt sie ihr erstes Kind zur Welt, eine Tochter. Mucki, gefangen in Buchenwald, erfährt erst einen Monat später, dass er Vater geworden ist und er wird seine Tochter nie im Arm halten.

1. September 1939 - der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Unku, die mittlerweile mit ihrer Gruppe in Magdeburg lebt, muss ein Papier unterschreiben. Kein Sinto, kein Rom darf Magdeburg verlassen. Sie dürfen nicht mehr reisen. Ihr wird übel.

Unku wird Zwangsarbeiterin in der Sack- und Planfabrik "Curt Röhrich". Die Firma stellt auch "Zelte für General Erwin Rommels Afrikafeldzug her, dessen Truppen in der libyschen Wüste gerade gegen die Briten kämpfen. Und in ihrem anderen Betrieb in der Hennigestraße Uniformen".
1941 geschieht etwas, dass Unkus Geheimnis bleiben soll, neun Monate später bringt sie ihre zweite Tochter Bärbel zur Welt.
Mucki stirbt, ohne dass er seine Familie noch einmal gesehen hat, an den medizinischen Versuchen, die ihm in Buchenwald angetan wurden.

Am 1. März 1943 werden Unku, ihre Töchter und alle anderen ihrer Gruppe mitten in der Nacht abgeholt und in geschlossene Güterwagen verfrachtet.
Lesende Grüße, Anne

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Josie » Di 19. Jun 2018, 11:07

Liebe Didonia,

vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht, wie es mit Unku weitergegangen ist. Lieb, dass du ihn erstellt hast. Ich habe ihn mir jetzt in aller Ruhe durchgelesen. Er hat mich sehr berührt und mich dazu angehalten, mich durchs Internet zu wühlen und mehr über die Geschichte der Sinti und Roma an sich und in Folge während der Nazizeit zu erfahren bis hin zu den Problemen der Gegenwart. Anders wäre das für mich sicherlich weiterhin ein Randthema geblieben.

Irgendwie tröstlich ist, wobei das sicherlich nicht das richtige Wort ist, dass sich Janko Lauenberger aktuell des Lebens von Unku nochmals angenommen und die wahre Geschichte dahinter erzählt hat. So geraten sie und die Geschichte der Sinti und Roma während der Nazizeit vielleicht nicht ganz in Vergessenheit.

Er schrieb das Buch auch, damit seine Kinder nicht den gleichen Vorurteilen gegenüber stehen, hast du ja geschrieben. Wenn ich jetzt schaue, wie aktuell das Thema gerade am heutigen Dienstag ist, wo Italien plant, eine Zählung der Sinti und Roma durchzuführen, wird mir ganz anders zu Mute. Und das vor einem angeblich so ehrenwerten Ziel, nicht den Einzelnen zu identifizieren, sondern die Kinder vor Diebstahl und mangelnder Bildung zu schützen. Da wird das Pferd von hinten aufgezäumt.
Liebe Grüße
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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Di 19. Jun 2018, 14:01

Ja, liebe Josie, das ist wirklich traurig. Aber wir brauchen gar nicht zu anderen Ländern schauen. Wenn ich da an die Kleine Anfrage der AfD im April denke, die wissen wollte,
wie sich die Zahl der Behinderten in Deutschland seit 2012 entwickelt habe, und zwar "insbesondere die durch Heirat innerhalb der Familie entstandenen". Daran schlossen sie die Frage an, wie viele dieser Fälle einen Migrationshintergrund hätten
.
Lesende Grüße, Anne

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Josie » Mi 20. Jun 2018, 11:06

Ja, das stimmt, Didonia. Die Welt spielt gerade insgesamt verrückt. Eigentlich denkt man, in unserer heutigen aufgeklärten Zeit und dem Wissen um die Vergangenheit sollten solche Ausgrenzungen und Anfragen nicht mehr vorzufinden sein. Aber sie werden gerade wieder salonfähig in alle möglichen Richtungen und nehmen eine gewisse Selbstverständlichkeit an.
Liebe Grüße
Claudia


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Kalman Lis

Beitragvon Didonia » Di 1. Okt 2019, 21:38

Kalman Lis wurde 1903 in Kowel, Wolbynien, geboren. Er besuchte das polnische Gymnasium und studierte in Wilna und Warschau. Schon während seiner Schulzeit begann er zu publizieren. Sein erstes Buch - „Straßen von Wolin“ - erschien 1930 in Warschau. Vor dem Krieg war er Mitglied unterirdischer revolutionärer Schriftstellerkreise. Eine "Erste internationale Anthologie der modernen jiddischen Poesie" sollte 1939 in Warschau erscheinen, kam aber wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs nie heraus. 1939 gewann er den IL Peretz Award für junge Dichter des Yiddish Pen Centre in Warschau.

Er spezialisierte sich auf die Betreuung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Von 1937 bis zu seinem Tod leitete er die Tsentos-Einrichtung, eine Erziehungseinrichtung für kranke Kinder in Otwosk bei Warschau. Am 1. September 1939 wurde seine Kinderklinik bombardiert und er selbst an den Füßen verletzt. Nachdem er sich in einem Warschauer Krankenhaus erholt hat, ging er zurück zur Kinderklinik, die 1942 von den Deutschen angegriffen wurde. Mit einigen Kindern lief er weg und versteckte sich, doch sie wurden gefunden und allesamt erschossen. Dabei gibt es zwei Deutungen: 1. Er wurde von Nazis getötet und 2, Er wurde von lokalen polnischen Bauern getötet.

Händchen

s ist, als ging mein Leben heut zu End -
ach, zu allen Teufeln, so ein Leben!
Waren blaugefrorne Kinderhänd
ausgestreckt, ich sollte etwas geben.

Händchen, die geschwollen sind vor Kält,
und mit weißen Flecken auf den Fingern.
Wollt ich schenken meine ganze Welt,
könnt ich ihnen geben nur das Singen.

Bitten aber Kinder mich nach Brot -
was kann da ein Dichter Kindern geben?
Bleibt nur eines: kämpfen mit der Not
bis zum letzten Blut für neues Leben.

s ist, als ging mein Leben heut zu End -
ach, zu allen Teufeln, so ein Leben!
Waren blaugefrorne Kinderhänd
ausgestreckt, ich sollte etwas geben.

aus: "Der Fiedler vom Getto - Jiddische Dichtung aus Polen", übertragen und ausgewählt von Hubert Witt, Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1966
Lesende Grüße, Anne

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