Gegen das Vergessen

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon JMaria » Fr 12. Feb 2016, 10:37

Didonia hat geschrieben:Danke, Maria. Das werde ich zeitlich nicht schaffen, da ich ja immer länger arbeiten muss. Aber ich werde mal nachforschen.


Ich sehe gerade, dass man sich den Beitrag anhören kann, sogar runterladen.
http://www.deutschlandfunk.de/biografie ... _id=340149
Schöne Grüße, Maria
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Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Fr 20. Jan 2017, 11:46

Moin, ihr Lieben,

ich dachte, ich mach mal ein eigenes Thema auf für diese Bücher. Ich möchte versuchen, wenigstens ein Buch pro Monat Gegen das Vergessen zu lesen.

Ich eröffne also mit dem Buch Abendkleid und Filzstiefel - Die Jazzpianistin und Diseuse Peggy Stone von Regine Beyer. Das Buch erschien im Verlag AvivA.

Es ist kein Buch, wie ich es bisher zu dem Thema gelesen habe. Peggy war in keinem Konzentrationslager gefangen. Sie war eine Überlebende und Zeitzeugin.

"Nach einem Glas Champagner im Restaurant wurde ich fabriziert." - Eigentlich war sie nicht mehr erwünscht. Nach zwei Mädchen sollte es genug sein. "Aber eines Tages beim Stillen, als sie mich anschaute und sagte: 'Zu schade. Wie wunderbar wäre es, wenn du ein Junge wärst', habe ich ihr mit dem Knie einen Stoß an die Brust gegeben. Da musste sie lachen und hat mich plötzlich lieb gewonnen." - Es ist doch noch ein guter Lebensstart geworden für Rosa Goldstein, die am 19. März 1907 in Berlin als Tochter von Natascha Gottlieb und Jakob Goldstein geboren wurde. Wegen des drohenden Pogroms ist die Familie hierher geflüchtet.
Rosa war ein musisches Kind. Mit vier Jahren konnte sie schon Musikstücke, die sie gerade gehört hatte, auf dem Klavier nachspielen. Dabei hat sie auch noch getanzt und gesungen. Sie war ein wissbegieriges Mädchen, stellte Fragen über Fragen. Verwöhnt wurde sie nicht. Sie hatte erstklassige Lehrer und wurde gut gekleidet. Aber Spielsachen gab es nur wenig. Sie und die Schwestern wurden spartanisch erzogen. Doch das kam ihr ihr Leben lang zugute.
1908 kehrte die Familie nach Bialystok zurück, wo der Vater sein Geschäft hatte. Während des Ersten Weltkriegs musste die Familie Soldaten bei sich aufnehmen. Im September 1914 entschließt sich die Familie, nach Moskau zu gehen. Dort kommen sie erst mal bei Bekannten unter. Februarrevolution 1917 - den Menschen geht es unter den Bolschewiki noch schlechter, als ohnehin schon. Das Geschäft der Goldsteins wurde versiegelt. Damit waren für die Familie die Pelze der Mutter, ihr Schmuck und die Tageskasse weg. "So, jetzt sind wir nackt und barfuß. Mit unserem restlichen Geld müssen wir sehr, sehr sparsam sein."
Der Bürgerkrieg beginnt und Jakob Goldstein bekommt Angst um die Sicherheit seiner Familie. Von der einen Seite droht ihnen der Tod, weil sie wohlhabend, von der anderen Seite, weil sie Juden sind. Frau und Kinder sollen wieder zurück nach Bialystok. Von hier aus schaffen sie es 1919 ohne den Vater nach Berlin. Endlich keine Angst mehr zu verhungern - obwohl Lebensmittel rationiert und teuer sind. Aber man bekommt sie noch. Und Peggy - wie Rose seit ihrem 12. Lebensjahr genannt wurde - bekommt einen privaten Klavierlehrer.

Fortsetzung folgt...
Lesende Grüße, Anne

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Do 20. Apr 2017, 12:03

Ich lese nun von meinem hochgeschätzten Autoren Reiner Engelmann:

Wir haben das KZ überlebt - Zeitzeugen berichten

Über 70 Jahre ist die Befreiung von Auschwitz her. Die Menschen, die dort eingekerkert waren, haben die Hölle auf Erden erlebt. Doch viele Überlebende gibt es mittlerweile nicht mehr. Einige hat Reiner Engelmann aufgesucht und sie befragt. Und sie waren bereit, zu erzählen. Aufgeschrieben wurden diese Erinnerungen für Jugendliche.

Niemand kann aus der Geschichte seines Volkes austreten.
Man soll und darf die Vergangenheit
nicht auf sich beruhen lassen,
weil sie sonst auferstehen
und zu neuer Gegenwärtigkeit werden könnte.


Jean Amery

Meine Großtante wurde 1911 geboren, hat also beide Weltkriege miterlebt. Im Zweiten Weltkrieg, das weiß ich von einem Onkel, hat sie jüdische Mitbürger versteckt - aber sie selbst hat nie ein Wort über diese Zeit verloren. Dabei war ich sehr interessiert und habe Fragen gestellt. Doch bis zu ihrem Tod hat sie geschwiegen.

Eine Freundin hat mir die Filmreihe Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß geschenkt, über die ich jetzt im Vorwort des Buches erfahre, dass dieser Film mit ausschlaggebend war, dass das Interesse der Öffentlichkeit an diese grausame Zeit aufflackerte. Das war Ende der 80er-, Anfang der 90er Jahre.
Lesende Grüße, Anne

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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon JMaria » Do 20. Apr 2017, 12:23

Eine Freundin hat mir die Filmreihe Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiß geschenkt, über die ich jetzt im Vorwort des Buches erfahre, dass dieser Film mit ausschlaggebend war, dass das Interesse der Öffentlichkeit an diese grausame Zeit aufflackerte. Das war Ende der 80er-, Anfang der 90er Jahre.


Das war sogar Ende der 70er Jahre. Ich kann mich noch gut erinnern, wie meine Eltern und ich vor dem Fernseher saßen, sogar in der Schule war es ein Thema.

PS
Ich habe einen Beitrag von dir (Peggy Stone..) hier her verschoben, du hattest vor ein paar Wochen einen Thread mit gleichem Thema eröffnet. Siehe weiter oben.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Do 20. Apr 2017, 13:29

Danke, Maria. Das Buch muss ich noch zu Ende lesen, stelle ich gerade fest.
Ich bin mit meiner Leserei die letzte Zeit ein bisschen ins Schleudern gekommen. Zu viele angebrochene Bücher.
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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Do 20. Apr 2017, 13:45

Ob sich denn da im Buch vertan wurde mit den Jahreszahlen? Oder ob er das nun auf Gesamtdeutschland bezieht. Seine Jahrezahlen betreffen ja gerade die Wendejahre.
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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Fr 21. Apr 2017, 13:04

Esther Bejaranos wollte sich rächen, wie, das wusste sie damals noch nicht. Es war auch kein Rachedurst gegen einzelne Personen, sondern gegen das System.
So schaut ihre Rache heute aus: singend auf der Bühne und erzählend in den Schulen - ich verneige mich.

https://youtu.be/7_JGPwqNi6c
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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Fr 21. Apr 2017, 13:04

Esther Bejaranos stammt aus einer musikalischen Familie. Als Kind lernte sie das Klavierspielen. Schon mit zehn Jahren spürte sie die politischen Veränderungen, musste eine jüdische Schule besuchen. Zwei jüngere Geschwister wurden zur Sicherheit ins Ausland geschickt, doch eigentlich glaubte der Vater, dass es nicht so schlimm werden würde und weigerte sich, mit dem Rest der Familie auszuwandern. Doch es kam schlimmer. Am 9. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen, jüdische Geschäfte wurden zerstört und geplündert und Juden verhaftet. Da nützte es dem Vater auch nichts, dass er auf sein Eisernes Kreuz 1 verweisen konnte, die höchste deutsche Kriegsauszeichnung. Er kam ins Gefängnis und wurde dann nach Breslau versetzt, während Esther in die Jugend-Aliah-Schule in Berlin kam, die ein Vorbereitungslager zur Auswanderung nach Palästina war. Doch diese Lager wurden 1941 geschlossen, die Jugendlichen in Zwangsarbeitslager gesteckt. Esther kam nach Neuendorf bei Fürstenwalde in ein Lager. Sie musste in einem Blumengeschäft 12 Stunden täglich arbeiten. Während der Besitzer manierlich mit ihr umging, waren es die Kunden, die sich nicht mehr von einer Jüdin bedienen lassen wollten.
Ende des Jahres erhielt Esther den Auftrag, die Wohnung der Eltern zu räumen. Sie sah, dass diese überhaupt nichts mitgenommen hatten und erfuhr erst später, dass die Eltern zu dem Zeitpunkt nicht mehr lebten.
Und dann kam Auschwitz.
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Re: Gegen das Vergessen

Beitragvon Didonia » Mo 24. Apr 2017, 13:32

Das Kapitel über Esther Bejarano ist überschrieben mit Ich habe viel Glück in meinem Leben gehabt. Auf jeden Fall hatte sie das Glück, den Horror zu überleben. Sie ging nach dem Krieg nach Palästina, heiratete dort und ging dann aber mit ihrem Mann nach Hamburg zurück. Und dann, wenn sie Menschen sah, die ungefähr ihr Alter hatten, kamen die Fragen: Wussten die was? Haben die geschwiegen? Waren unter ihnen sogar Täter?

Esther Bejarano wollte sich rächen, wie, das wusste sie damals noch nicht. Es war auch kein Rachedurst gegen einzelne Personen, sondern gegen das System.
Seit 1979, nach einem Schlüsselerlebnis mit der deutschen Polizei, schaut ihre Rache nun aus: singend auf der Bühne und erzählend in den Schulen – ich verneige mich.

https://youtu.be/7_JGPwqNi6c

Nicht nur Esther Bejarano kommt in diesem Buch zu Wort. Weitere Zeitzeugen berichten über ihr Leben:

Edward Paczkowski: „Wir sind alle Menschen! Wir wollen leben!“
Erna de Vries: „Ich wollte noch einmal die Sonne sehen.“
Josef Königsberg: „Erinnerung ohne Hass.“
Philomena Franz: „Wenn wir hassen, verlieren wir. Wenn wir lieben, werden wir reich.“
Heinz Hesdörffer: „Ich rede, damit ihr wisst, wie es damals war!“
Karol Tendera: „Wir Slawen haben keinen Hass in uns.“
Eva Mozes Kor: „Ich habe den Nazis vergeben.“
Tadeusz Sobolewicz: „Vergebung, Versöhnung ist wichtig! Aber wir dürfen nicht vergessen!“
Max Mannheimer: “ Versöhnung als Stärke.“

Dieses Buch ist zwar für Jugendliche aufgearbeitet worden, aber es dürfen auch gerne Erwachsene lesen, die sich noch unschlüssig sind, wem sie ihre Stimme verweigern sollen.
Lesende Grüße, Anne

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Diane Ackerman: Die Frau des Zoodirektors

Beitragvon Didonia » Mi 3. Mai 2017, 10:37

Im Polen des Zweiten Weltkriegs riskierte man schon die Todesstrafe, wenn man einem durstigen Juden einen Becher Wasser reichte.
Umso beeindruckender war der Heldenmut dieses Ehepaares: Jan und Antonina Zabinski - ein Zoodirektor und seine Frau. Sie haben mehr als dreihundert todgeweihten Menschen - zumeist Juden - das Leben gerettet. Ihre menschliche Tat ist durch das Raster gefallen. Doch sie wurden dem Vergessen entrissen und Diane Ackerman erzählt uns ihre Geschichte.
In einer Art Vorwort benennt die Autorin, die 1948 in Waukegan, Illinois geboren wurde, all diejenigen, die ihr bei ihren Recherchen geholfen haben. Und welche Quellen sie genutzt hat. Ihr standen zum Beispiel das persönliche Tagebuch von Antonina Zabinski zur Verfügung und ihre autobiografischen Kinderbücher, zum Beispiel Das Leben im Zoo.
Mit einer kleinen jüdischen Geschichte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, endet dieses Vorwort und Die Frau des Zoodirektors beginnt.

Als Antonina acht Jahre jung war, wurden ihre Eltern als Mitglieder der Intelligenzija während der Februarrevolution von den Bolschewisten umgebracht. Sie besuchte in Taschkent, Usbekistan, die Schule, bekam Klavierunterricht, verließ mit 15 Jahren die Schule und zog mit der Großmutter nach Warschau. Hier bestand sie eine Prüfung als Archivarin und sie arbeitete dann im Archiv der Landwirtschaftlichen Hochschule von Warschau, wo sie den Zoologen Jan kennenlernte - elf Jahre älter als sie. Sie nutzten eine sich ihnen bietende Chance, eine neue Art Zoo aufzubauen und unter den Tieren zu leben. 1931 wurde geheiratet und sie zogen nach Praga.
Gleich hinter der Altstadt lag das große Judenviertel. Jahrhundertelang hatte Polen Juden aufgenommen, die aus anderen Ländern vertrieben worden waren.
1939 erkannten die Polen, dass die Zeichen auf Krieg standen. Doch Antonina setzte auf die starke Allianz mit den Franzosen und ihren Verbündeten Großbritannien. Doch am 1. September fielen die Bomben. Und da der Zoo am Fluss mit seinen belebten Brücken lag, die zu den bevorzugten Zielen der Deutschen gehörten, wurde er nicht verschont. Eine Bombe traf das Eisbärgehege, sodass die verwundeten Tiere frei herumliefen und erschossen wurden. Die Soldaten beschlossen, die gefährlichsten der Zootiere, z. B. Löwen und Tiger, ebenfalls zu erschießen.
Jan wurde eingezogen und alle anderen mussten den Zoo verlassen. Bei zwei alten Damen fanden Antonina und ihr Sohn Unterschlupf. Doch der Gedanke an die Tiere ließ sie nicht los. Und so machte sie sich auf den Weg.
Lesende Grüße, Anne

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