Hallo zusammen,
ein weiteres Buch, das in meinem Regal schon lange auf meine Aufmerksamkeit gewartet hat, lese ich nun endlich:
“Hundert Jahre Einsamkeit“ von
Gabriel García Márquez.
Es ist in vielfacher Hinsicht genau der richtige Zeitpunkt für das Buch. Ich wollte es unbedingt in einem Sommer lesen (am Montag wo ich begann war der heißeste Tag bisher in diesem Sommer) und ich ahnte dass ich dafür einen Zeitpunkt wählen sollte in dem ich ausgeruht und aufnahmefähig bin. Ideal ist der Zeitpunkt aber auch, da sich die Erstveröffentlichung des Romans, der dem kolumbianischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger zu Weltruhm verhalf, dieses Jahr zum 50. Mal jährt.
García Márquez erzählt die Geschichte der Familie Buendía, ihres Aufstiegs und Niedergangs, und von der Gründung des Dorfes Macondo zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Leser wird direkt hineingestürzt in die Handlung, die keiner Chronologie folgt, und aufmerksames Lesen erfordert. Auch weil die Namen der Figuren über Generationen hinweg mehrfach belegt sind. Es gibt den Gründer des Dorfes José Arcadio Buendía, seine Söhne José Arcadio und Aureliano, weitere hinzukommende „Kinder“, von denen einer den Namen José Arcadio erhält jedoch nur Arcadio gerufen wird, um Verwechslungen zu vermeiden, und so geht es weiter. Größte Aufmerksamkeit ist dadurch gefragt, diese Besonderheiten üben jedoch auch einen besonderen Reiz aus.
Ebenso der magische Realismus, zu dessen Prägung García Márquez in seinen Romanen beitrug. Während des Lesens nimmt man die magischen Elemente hin, stellt sie nicht in Frage. Denn für die Figuren gehören sie zum Leben dazu, und so auch für den Leser. Doch auch der unermüdliche Forschergeist des Familienoberhauptes José Arcadio Buendía greift auf den Leser über. So nimmt man vieles hin was geschieht oder scheinbar geschieht, und dann wiederum fragt man sich doch, wie viel Wahrheit in dem ein oder anderen Erlebnis steckt. So fertigt der mit Buendía befreundete Melchíades eine Daguerreotypie an, und Buendías Frau gibt den Kindern vor der fotografischen Aufnahme einen Löffel Marksaft, damit sie während der Zeit die es dauert, bis sich das Foto manifestiert, stillsitzen. In dieser Weise vermischen sich Aberglauben und wahre Entdeckungen; für die Figuren ist die Fotografie ein Akt der Magie, für den Leser nicht, doch das Verabreichen des Marksaftes ist für die Figuren etwas real wirkendes, für den Leser hingegen Aberglaube. So vermischt Márquez beides auf wunderbare Art!
Auch die Art wie die Bewohner des Dorfes Macondo der Schlafkrankheit begegnen, die offenbar ansteckend ist, und denjenigen die befallen sind jeglichen Schlafes beraubt, und schließlich auch der Erinnerung, lässt zunächst vermuten, dass hier Einbildung und Aberglaube die Oberhand haben. Spricht gleichzeitig aber auch den Forschergeist an, und veranlasste mich zum nachforschen, was genau dahinter steckt. Und ich stieß auf einen interessanten
Artikel im Spiegel.
Eine schillernde, magische Geschichte, die schwindelig macht. Der Aufbau fasziniert mich zudem. Schwer vorstellbar, wie sich Gabriel García Márquez in dieser Geschichte noch zurechtfand, und es auch dem Leser ermöglicht. Trotz der vielfach besetzten Namen, der nicht vorhandenen Chronologie der Ereignisse und der Vermischung von Realem und Surrealem. Fantastisch!
Zum Aufbau gibt es auch interessante Informationen in einem Artikel bei
Wikipedia, der Aufschluss über den biblischen Aufbau der Handlung gibt. Interessant! Weiß man darum, liest sich der Roman doppeldeutig. Und da die Geschichte des Dorfes Macondo auch die Geschichte Lateinamerikas widerspiegeln soll, sogar in einer dritten Dimension. Ich bin gespannt auf den weiteren Verlauf der Handlung, und auf die Eindrücke, die sie bei mir hinterlassen wird.
Ein biblisches Element findet sich im ersten Teil auch in dem Mord (eine Art Sündenfall), der dazu führt, dass die Familie Buendías die Heimat verlässt (das Gewissen vertreibt sie), und sich schließlich woanders niederlässt, und dort das Dorf Macando gründet. Natürlich verleitet der Roman auch dazu, mehr über das fiktive Dorf Macondo zu erfahren, das García Márquez‘ Heimatort Aracataca nachempfunden ist. Auch dazu lässt sich allerhand interessantes und wissenswertes im Netz finden, um nur ein Beispiel zu nennen setze ich hier einen Link zu einem
Artikel. Ganz frei erfunden ist der Name Macondo allerdings nicht, denn er ist einem Schild einer Bananenplantage entnommen. Das konnte ich diesem interessanten
Artikel entnehmen.
Was für ein vielschichtiges Buch!
Bald (am 08.06.2017) erscheint bei Kiepenheuer & Witsch anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Romans eine Neuübersetzung. Der Verlag schreibt, dass es sich bei der Übersetzerin Dagmar Ploetz um eine García-Márquez-Spezialistin handelt. Ich bin neugierig auf diese Neuübersetzung, und werde bei Gelegenheit interessehalber rein lesen. Ich lese die Übersetzung von Curt Meyer-Clason, mit der ich (auch) mangels Vergleich sehr zufrieden bin. Als ich vor ein paar Jahren den Roman kaufte, entschied ich mich für die gebundene Ausgabe von Kiepenheuer & Witsch in der auf dem Foto zu sehenden Ausstattung, denn ich hatte mich in diese Ausgabe verliebt. Sowohl in das Cover, das für mich den Handlungsort so passend widerspiegelt. Als auch in den Einband, den die eingeprägte Signatur des Schriftstellers ziert. Ein passendes Lesezeichen habe ich auch zu dem Buch ausgewählt. Ein kleiner Spleen von mir.