von Petra » Fr 10. Feb 2017, 15:15
Hallo ihr Lieben,
ich sagte ja letztens, dass der Moment unweigerlich kommen wird, an dem Eileen nicht mehr die Augen vor der Wahrheit verschließen kann. Ein Moment, der überdeutlich macht, dass mit Eds Gehirn etwas nicht stimmt. Der Moment ist nun erreicht. Und ich konnte das aus dem selbst erlebten heraus so gut nachvollziehen. Ja, man merkt, dass Matthew Thomas weiß, wovon der da erzählt. Das, aber auch die anderen Themen von „Wir sind nicht wir“ werden ungemein fesselnd weitergeführt. Alles nur alltägliche Sorgen und Wünsche. Und genau deshalb gehen sie so nah.
Eine Stelle hat mich besonders angerührt. Als Eileen Ed mal wieder eine Zettelbotschaft schreibt, um ihm eine Gedächtnisstütze zu geben. Er soll für seinen Sohn einen Baseballhandschuh besorgen, und sie habe ihm das schon dreimal gesagt. Da er es jedes Mal vergessen hat, und bis Weihnachten nicht mehr viel Zeit ist, erinnert sie noch mal daran, und schreibt, dass sie sich selbst kümmern würde, nur dass sie von diesen Dingen keine Ahnung habe, und dass das Aufgabe des Vaters sei. Und sie schließt mit der Frage: „Das bist Du doch immer noch, ein Vater, oder?“ Und sie erkennt, dass sie diese Frage nicht nur an Ed richtet, sondern auch an sich selbst. Und damit schließt sie in ihrer Erkenntnis auf, denn der Leser hat schon längst bemerkt, dass er vielmehr ein weiteres Kind für sie geworden ist durch die Erkrankung, die sie sich noch innerlich weigert zu erkennen (gar nicht aus Verleugnung heraus, sondern weil es wirklich schwierig ist das Offenkundige zu sehen – ich habe das selbst erlebt).
Ganz toll getroffen!
Und auch Eileens Vorstellungen von einem schönen Leben werden beim Lesen erschüttert, als sie hoch zu den Orlandos (ihren Nachbar) geht, eigentlich mit einem verächtlichen Blick auf deren (materiell) bescheidenem Leben, um sich dann eigentlich so richtig wohl dort bei ihnen zu fühlen. Das kratzt nur an ihrer Oberfläche, aber der Leser erkennt, wie viel glücklicher sie sein könnte, wenn sie nicht so viel Wert auf die falschen Dinge legen würde. Aber es ist auch klar, dass sie nicht anders kann. Sie ist gefangen in sich selbst. Und steht sich und ihrer persönlichen Entfaltung damit absolut im Weg.
@Didonia: Ja, das hast Du so treffend geschrieben! Manche Bücher spiegeln einem das selbst erlebte, und sind wie für einen höchstpersönlich geschrieben. Dass es Dir mit dem Gedicht von Sylvia Kling so ging, ist ein inniges Erlebnis, nicht wahr?
Und mit „Amy & Isabelle“ geht es auch voran, wie ich lese. Schönen Lesestoff hast Du.
@Kessy: Ja, zwei Bücher lesen, ist manchmal verwirrend. Ich habe damit mal aus einem bestimmten Grund begonnen. Ich liebe es Bücher zu lesen, die etwas in mir anregen, mich zum denken bringen. Ich hatte dann eine Zeit, da konnte ich das abends vor dem schlafen gehen nicht mehr gut vertragen, weil es mich zu sehr beschäftigt hatte. Abends vor dem schlafen gehen las ich dann aber gern um müde zu werden. Und da sollte es dann etwas unterhaltsames sein, das aber nicht wirklich beschäftigt. Und so gewöhnte ich mir an, zwei verschiedene Sachen parallel zu lesen. Und da die Bücher sehr unterschiedlich sind, komme ich auch nicht durcheinander. Aber wäre dieser Punkt nicht, würde ich lieber nur ein Buch lesen. Denn es fällt mir schon mal schwer, mein Buch, das mich über den Tag begleitet, wegzulegen, für die abendlich Lektüre, die mir beim abschalten hilft. Aber da bin ich dann zum Glück auch immer ganz schnell wieder drin, und freue mich auch daran.
@Sonja: Genauso ist es! Du hast das treffend gesagt: „Anna Karenina“ ist eine intensive Lektüre, und „Eis“ ebenso. Das eignet sich nicht fürs parallel lesen (ich habe oben an Kessy geschrieben, dass ich nur parallel lesen kann und will, wenn es ganz unterschiedliche Bücher sind, und eines mich geistig sehr fordert, das andere aber nicht). Wäre auch viel zu schade. Beide wollen volle Aufmerksamkeit!
Auch da haben wir was gemeinsam: Ich entscheide auch ganz spontan welches Buch ich als nächstes lese. Ich fasse oft eines ins Auge, während ich mit einem anderen Buch noch beschäftigt bin. Doch wenn ich das ausgelesen habe, kann sich das schon geändert haben. Es steht auch irgendwo in einem Zitat, dass eigentlich nicht wir die Bücher aussuchen, sondern sie uns. Irgendwie ist das wahr, stimmt’s?!
Für „Eis“ wird der passende Zeitpunkt kommen. Entweder bald oder später.
@Steffi: Schon lange macht Ihr mich auf Doderer neugierig. Und Du treibst diese Neugierde bei mir nun durch Deine Beschreibungen noch mal an. Wie verlockend, was Du über den der Zusammenklang zwischen Poesie, Gesellschaftskritik und Psychologie seiner Figuren schreibst! Sowas liebe ich.
Schon lange steht seine „Strudelhofstiege“ in der schönen gebundenen Ausgabe auf meinem Wunschzettel. Ich glaube ich muss das mal wieder weiter nach oben schupsen. Und mich auch in seinem übrigen Werk noch mal genauer umsehen. Zu hören, dass er gleichbleibende Qualität abgeliefert hat, macht mutig!
Freut mich, dass Ihr so eine schöne Leserunde habt, mit so tollem Lese- und Gesprächsstoff!