von Petra » So 2. Apr 2017, 12:14
Hallo zusammen,
Julie Otsuka erzählt in manchem Satz eine ganze Geschichte. Ab und an wird ein Name ein paar Seiten später noch mal in einem Satz erwähnt, man erfährt wie sich ein Schicksal weiterentwickelt hat. In manchem Absatz erzählt sie vom gesammelten Leid der Frauen, die mit trügerischen Träumen in die USA kamen, und wie es ihnen dann tatsächlich erging. Und in manchem Absatz erzählt sie vom gesammelten Leid der Frauen, als sie und ihre Familien (nachdem sie endlich Fuß gefasst haben) deportiert werden. In Nebensätzen erfährt man von der Kultur der Menschen.
Als die Japaner fort sind erfährt man durch einen Perspektivwechsel wie das von den Nachbarn aufgenommen wurde. Sehr geschickt gemacht.
Gestern habe ich "Wovon wir träumten" beendet.
Beeindruckend! Berührend!
Nun lese ich "Suite française" von Irène Némirovsky, und bedaure schon jetzt, dass nur zwei Teile des auf fünf Teile ausgelegten Romans vollendet waren, als Irène Némirovsky nach Auschwitz deportiert wurde. Diese Unvollendetheit ist bedrückend, wird dadurch doch so klar, wie Menschen einfach aus ihrem Leben herausgerissen wurden. Auch literarisch sehr bedauerlich! Dass Irène Némirovskys Töchter das Manuskript in einem Koffer fanden, und es 60 Jahre nachdem es geschrieben wurde, dank der Töchter veröffentlicht wurde, versetzt jedoch in die glückliche Lage die ersten beiden Teile zu lesen, und so in die Stimmung hineinversetzt zu werden, die über Paris lag, als die Deutschen kurz vor der Stadt waren, und die Menschen - ganz plötzlich - aufbrechen mussten. Gespenstisch! Man kann sich gut hineindenken. Die alltäglichen Sorgen noch im Kopf, beschleicht die Realität die Menschen. Zwingt sie, sich der Bedrohung zu stellen, und macht alles andere unwichtig. Und das alles inmitten des Spätfrühlings, der über der Stadt liegt. Das macht alles so unwirklich. Eine Beklemmung legt sich über die Figuren. Und man beginnt so langsam um sie zu bangen. Wie wird es ihnen ergehen.
Ich bin froh über den Aufschluss, den der Anhang darüber noch geben kann. Wenn sicher auch nicht in allen Punkten, aber soweit die Notizen von Irène Némirovsky Einblick gegeben haben.
Auch auf den zweiten Teil bin ich jetzt schon neugierig. Da richtet sich der Blick dann auf den kleinen Ort Bussy, und wie sich die Menschen dort mit den Besetzern arrangieren.
Um der Beklemmung hin und wieder ein wenig zu entkommen, habe ich mich parallel für "Der Knochenmann", dem 2. Teil der Brenner-Krimi-Reihe von Wolf Haas entschieden. Die Handlung spielt in der Steiermark, beim Löschenkohl, einer bekannten Backhendl-Grillstation, in der man in den Abfallbergen aus Hühnerknochen auch menschliche Knochen entdeckt. Im Moment isst Brenner ein Backhendl, doch gleich wird er den Auftrag annehmen, in dem Fall zu ermitteln. Denn hier war die Gesundheitsbehörde (die die menschlichen Knochen beanstandet) gründlicher als die Kripo, die den Knochen keinen Toten zuordnen kann.
Den ersten Krimi der Brenner-Reihe habe ich vor einigen Jahren mit größtem Vergnügen gelesen. Sprachlich anders, und sehr witzig. So geht es auch hier gleich wieder los.