von Petra » Mi 11. Apr 2018, 22:00
Schweren Herzens musste ich mich von Harry Angstrom verabschieden. „Bessere Verhältnisse“ hat mir ebenso grandios gefallen, wie seinerzeit der 1. Band „Hasenherz“. Dankenswert, dass John Updike seine Figuren alle 10 Jahre besucht hat, und damit den amerikanischen Mittelstand, und die Befindlichkeiten des Landes mit so messerscharfen Blick eingefangen hat. Ich freue mich sehr auf den 4. Band, auch wenn in „Rabbit, in Ruhe“ Harry sterben wird. Auch das ist etwas, was ich begrüße: John Updike wollte ihn lieber zeitig sterben lassen, als womöglich einen nicht abgeschlossenen Zyklus zu hinterlassen, wenn er selbst stirbt. Band 4 wird von vielen am meisten geliebt; ich kann mich auf etwas freuen! Bemerkenswert auch, dass John Updike sowohl für den 3. Band, als auch später für den 4. Band mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde. Updike beschreibt seine Figur Rabbit selbst wie folgt: „Ein sehr menschlicher Held insofern, als er ein Bündel von Bedürfnissen und Hoffnungen ist, darin nicht nur mir, sondern vermutlich sehr vielen Menschen ähnlich.“ Dem kann ich absolut zustimmen!
Nun lese ich Herr Katō spielt Familie von Milena Michiko Flašar. In diese Neuerscheinung hatte ich mich letztens bei einem Bücherbummel verliebt. Schon das reinlesen nahm mich gleich für die Autorin und für Herrn Katō ein. Auch jetzt beim Lesen bin ich ganz bei Herrn Katō. Herr Katō ist gerade in Rente gegangen, und jetzt, wo er frei ist zu tun, was er will, weiß er gar nicht mit seiner Freiheit umzugehen, und mit der vielen freien Zeit. Eine zufällige Begegnung mit einer jungen Frau, einer Schauspielerin, die sich etwas Geld verdient, indem sie Familie spielt (sie lässt sich von Menschen als Familienmitglied gegen Geld engagieren – ist mal Schwester, mal Freundin, mal Kollegin für irgendwen), birgt den Schlüssel zu einem Neuanfang. Auf den bin ich schon gespannt! Denn mir fällt Herrn Katōs Traurigkeit und Leere auf. Ein anrührendes Buch, voller Denkanstöße. Ich lese es ganz langsam, weil ich von seiner Wirkung nichts versäumen möchte. Da steckt so viel über das Leben, die Menschen und unser aller Einsamkeit drin. Und an jeder Ecke lauert die Möglichkeit etwas anders zu sehen. Für das eigene Leben sind wir blind, aber am Beispiel eines anderen Lebens, sehen wir genau, was man (in diesem Fall Herr Katō) anders sehen oder denken könnte. Und glücklicher und ausgefüllter sein könnte.
Dieses Buch sagt mir auch aus einem anderen Grunde sehr viel. Durch meine Erkrankung wurde ich für eine lange Zeit aus dem normalen Leben gerissen. Erst ging es nur um die Krankheit, bzw. ums gesund werden (oder soweit genesen, dass ich wieder am Leben teilnehmen kann). Doch als der Zustand erreicht war, dass ich wieder (teilweise) am Leben teilnehmen konnte, ging es mir genauso wie Herrn Katō: Freiheit. Und nun? Ich musste mehrere Monate nicht arbeiten gehen, konnte meinen Tag ganz frei gestalten. Was sich erst mal wundervoll anhört, war ein harter Kampf! Denn wir Menschen sind offenbar fürs allzu frei sein nicht gemacht. Oder wir stecken in der Tretmühle so fest, dass wir die Freiheit gar nicht so recht schätzen und nutzen können, wenn die Tretmühle plötzlich still steht. Es bedarf einer Neuorientierung, und in dieser Phase fällt einem vieles auf: was man gemacht hat, und gar nicht wollte. Was man nicht gemacht hat, aber gerne wollte. Und vieles andere. Und von all diesen Gedanken steckt ganz viel in diesem kleinen feinen Büchlein!
Fein ist auch noch aus einem anderen Grund das richtige Wort für diese schöne Ausgabe des Verlags Wagenbach: Dieses Buch ist in ein sehr feines hellgraues Leinen gebunden, das sich wunderschön anfasst. Das Vorsatzpapier ist limettengrün, wie das Grün des Bambus auf dem Schutzumschlag. Das Buch strahlt eine ruhige Kraft aus! Äußerlich und inhaltlich.
@Sonja: Dass Ann Patchett Thomas Mann so schätzt, ist erfreulich. Das erweckt auch gleich meine Sympathie! Dass "This is the story of a happy marriage" die Chance hat ein Lieblingsbuch von dir zu werden, spricht sehr für das Buch! Scheint wirklich ganz toll zu sein, und ich bin jetzt schon gespannt, wie es dir weiter damit geht. Und auch wie die Romane von ihr auf dich wirken, wenn du mal einen liest.
Dass du John Updike vielleicht tatsächlich durch seine Rabbit-Reihe kennenlernen wirst, freut mich! Wie oben geschrieben, habe ich mich schweren Herzens von Rabbit erst mal wieder verabschiedet. Es war ein – auf eine ganz, ganz ruhige und absolut unaufgeregte Weise – sehr intensives Leseerlebnis. Und wie immer war John Updike mit Rabbit schonungslos. Er schaut in sein Innerstes, und darin geht es – wie in uns allen – eben schonungslos ehrlich zu. Wenn wir uns nicht gerade über etwas selbst belügen.
Ich musste so schmunzeln, dass du schriebst, dass du mal wieder bei Hans Castorp und Joachim vorbeischauen musst. Ja, besonders Hans Castorp läuft sonst schnell aus dem Ruder; was der so alles treibt!
Dass du mit "Our souls at night" von Kent Haruf vielleicht schon das ideale Hörbuch hast, das sich zum Wiedereinstieg eignen könnte, freut mich! Eine Wiederholungstat könnte da wirklich das richtige sein, weil man nicht so hundertprozentig aufmerksam sein muss, weil man die Geschichte schon kennt. Vielleicht ganz gut, um die Aufmerksamkeit beim Hören erst mal wieder zu schulen. Dass ich dir einen Tipp geben konnte, den du beherzigen willst, freut mich. Mir hilft es, das Hörbuch auszumachen, wenn ich von routinierten Tätigkeiten in doch andere übergehe, die meine Aufmerksamkeit mehr fordern, und mich ablenken. Auch 1 oder 2 Tracks zurück klicken habe ich schon öfter gemacht, wenn ich merkte, dass ich abgeschweift war.
@Barbara: Das ist toll, dass du die Hanser-Ausgabe von „Madama Bovary“ über deine Stadtbibliothek online ausleihen konntest, und so einen direkten Vergleich ziehen kannst. Ich habe mich übrigens für die Neuübersetzung aus dem Hanser Verlag entschieden. Ausschlag gaben die Meinungen zu der Neuausgabe im Literaturclub. Die Folge habe ich mir inzwischen noch mal angeschaut. Das Buch in dieser Ausgabe steht jetzt auf meinem Wunschzettel. Ich denke, ich werde mir dieses Jahr diesen Wunsch erfüllen.
@Didonia: „Mr. Widows Katzenverleih“ scheint wirklich ein sonderbares Buch zu sein. Aber im guten Sinne, wie mir scheint, bzw. hoffe ich, dass es so ist. Ich werde deinem Bericht weiter lauschen.