Petra hat geschrieben:Der Diogenes Verlag übersetzt einige Lew Archer-Bände von Ross Macdonald neu.
"Wer findet das Opfer" neu übersetzt von Thomas Stegers und "Schwarzgeld" neu übersetzt von Karsten Singelmann erscheinen jeweils mit einem Nachwort von Donna Leon am 26.06.2024.
Zu "Wer findet das Opfer" ist zudem vermerkt, dass mit der Neuübersetzung erstmals eine ungekürzte Übersetzung ins Deutsche vorliegt. Sehr erfreulich!
Oh, da sind die schon länger dran, die erste Neuübersetzung war 2013 "Der blaue Hammer".
Auf Petras Wunsch hier meine Gedanken zu den Raymond Chandler-Neuübersetzungen:
2019: "Der große Schlaf"
Natürlich ist es aus kaufmännischer Sicht logisch, mit dem prestigeträchtigsten, bekanntesten und beliebtesten Titel anzufangen, doch gerade hier stellt sich die Frage nach dem Sinn, denn die bislang verwendete Übersetzung von Gunar Ortlepp aus dem Jahre 1974 ist wirklich hervorragend und der älteren Übertragung von Mary Brand aus dem Jahre 1950 haushoch überlegen. Zwar stellenweise etwas frei, aber der Grundton des Buches wird perfekt getroffen. Fairerweise muß konstatiert werden, daß Heiberts Neuinterpretation das Buch nicht verwässert, man merkt halt teilweise nur die Bemühung um Modernität. Das Buch ist in der 2019er-Auflage dennoch immer noch lesenswert und glücklicherweise nicht irgendwelchen PC-Riten unterworfen (was bei Chandler wohl auch vergebliche Liebesmühe wäre, ohne komplett umzuschreiben und stark zu kürzen). Ortlepps Übersetzung ist jedoch nicht ganz verschwunden, da sie glücklicherweise vor einigen Jahren ungekürzt von Christian Brückner als Hörbuch aufgenommen wurde und nach wie vor im Handel ist.
2020: "Die kleine Schwester"
Hier war ich von älteren Übersetzungen nicht derart geprägt wie beim Vorgänger (tatsächlich stand die Richartz-Übersetzung lange ungelesen bei mir rum, so daß ich das Buch erstmals in Robin Dietjes Version kennengelernt habe), so daß ich deutlich unbefangener an die Lektüre gehen konnte. Auch hier wird der Ton Chandlers gut getroffen, ohne auf "zeitgemäße Befindlichkeiten" Rücksicht zu nehmen. Parallel erschien auch eine ungekürzte Hörbuchausgabe, allerdings exklusiv als Download mit einem mir unbekannten Sprecher. Mancher mag sich auch noch an die überraschend werkgetreue, allerdings modernisierte Verfilmung mit James Garner (mit dem dämlichen deutschen Titel "Der Dritte im Hinterhalt") erinnern.
2021: "Die Lady im See"
Wer mit der deutschen Editionsgeschichte des Romans vertraut ist, wird Robin Dietjes Neuübersetzung mehr als begrüßen. Näheres hier:
http://www.beilharz.com/rc/verschandelt.htmlHellmuth Karasek mag ja durchaus eine Größe im deutschen Kulturwesen gewesen sein, aber als Übersetzer war er eine absolute Niete. Seine Qualifikation als Chandler-Versteher führt er übrigens höchstpersönlich in einem Artikel ad absurdum, den er anläßlich der Herausgabe einer Hörspieledition verfaßte:
https://www.welt.de/print/die_welt/verm ... chund.htmlMal abgesehen davon, daß er die Namen seiner Kollegen Ortlepp und Wollschläger (dessen Übertragung von "Der lange Abschied" allerdings auch diskussionswürdig ist) falsch schreibt und den Hörspielbearbeiter Hermann Naber in Erich umtauft - wer Chandler mehr oder weniger als "guilty pleasure" abtut, der sollte besser davon absehen, ihn zu übersetzen.
Die Neuübersetzung hat sämtliche genannten Fettnäpfchen vermieden, lediglich der "Slip" wurde beibehalten (wobei der Begriff fairerweise sowohl eine Damenunterhose als auch einen Unterrock bezeichnen kann, das ist kreative Freiheit). Ansonsten eine sehr saubere, dem Lesefluß zuträgliche Arbeit, der Roman ist ohnehin einer von Chandlers besten. Zeitgleich erschien auch wieder ein Hörbuch (leider wieder nur als Download).
2022: "Das hohe Fenster"
Der große Plotter war Chandler ja nie, aber was er hier anbietet, ist doch etwas dünn. Eine gestohlene Goldmünze ist nun wirklich nichts, was einen 300seitigen Roman am Laufen hält, auch dann nicht, wenn ihren Weg schließlich drei (bzw. vier) Leichen säumen. Aber ganz ehrlich - Chandler liest man ja auch nicht wegen der Handlung, sondern wegen der stimmungsvollen Beschreibungen, der messerscharfen Dialoge und der schrägen Charaktere, und speziell beim letzten Punkt hat der gute Raymond hier so richtig abgeliefert. Kennen will man keinen von den Spinnern, aber es ist hochinteressant (und stellenweise auch amüsant), über sie zu lesen.
Die Neuübersetzung...
Ja, sie war notwendig. Urs Widmers Version aus den 70ern war zwar kein Komplettaussetzer wie Karaseks "Tote im See", strotzte aber doch stellenweise vor unnötigen Flüchtigkeitsfehlern, die den Eindruck erwecken, daß es dem Übersetzer entweder an Kenntnis der Materie oder Interesse am Stoff fehlte. Näheres hier:
http://buchwurm.org/raymond-chandler-da ... marlowe-3/Ulrich Blumenbachs Arbeit kommt leider nicht ganz über die von seinem Vorgänger Robin Dietje sehr hoch gesteckte Messlatte (mitunter verwendet er, speziell im Schimpfwörterbereich, arg moderne Ausdrücke). Dennoch ist sie gut lesbar und - im Gegensatz zu Widmers Arbeit - sorgfältig gemacht.
Zeitgleich erschien unter dem Titel "Chillen mit Chandler" auch noch ein kleines E-Book mit Briefen, Zitaten und einer bisher nicht auf deutsch veröffentlichten Kurzgeschichte, ebenfalls von Blumenbach übersetzt. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, da ich rein elektronische Formate ablehne.
2023: "Playback"
Ein klarer Fall von Abgesang. Nachdem Chandler mit "Der lange Abschied" eigentlich schon alles zum Thema Marlowe gesagt haben wollte, ließ er ihn - offenbar auch als Teil der Trauerbewältigung über den Tod seiner Frau - doch noch einmal aufleben, allerdings ohne große Ideen. Auch ohne das Wissen, daß der gute Ray hier nur ein abgelehntes Drehbuch aus den 40ern ausschlachtete, hinterläßt der 7. und letzte Marlowe-Roman ein eher unbefriedigtes Gefühl.
Die Charaktere (sonst neben den Dialogen Chandlers Hauptstärke) bleiben trotz teilweise vielversprechender Einführungen nicht mehr als leere Chiffren. Kurioserweise ist ausgerechnet die unwichtigste Person des Romans - die Sekretärin Helen - die interessanteste, über die man gerne mehr erfahren hätte. Auch die sonst so messerscharfen Dialoge kommen über bloße Routine nicht hinaus. Und das (wie nachträglich angeklebt wirkende) letzte Kapitel, das eine Brücke zum nächsten, von Chandler nie vollendeten Roman "Poodle Springs" schlägt, reiht sich auf diesem Reigen des Mittelmaßes ein, in dem Robert B. Parker es später vor die Wand schrieb.
Die Neuübersetzung von Ulrich Blumenbach gefällt mir auch nicht so recht. Wie schon bei "Das hohe Fenster" fällt die Sprache stellenweise deutlich zu modern aus und hinterläßt einen ziemlich anachronistischen Eindruck. Exemplarisch sei hier das "Bis denne!" (sic!) genannt, mit dem Marlowe sich am Ende verabschiedet. Sollte ich das Buch noch einmal lesen, werde ich wohl eher wieder zu Wulf Teichmanns Version aus den 70ern greifen.
Es bleibt zu wünschen und zu hoffen, daß der Diogenes Verlag für die beiden noch ausstehenden Romane einen anderen (besseren) Übersetzer ranläßt.
Demnächst vielleicht auch noch was zu den Hammett-Neuübersetzungen bei Kampa und ihren Diogenes-Pendants aus den 70ern...