Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon steffi » Mo 22. Jan 2024, 15:39

Wunderbare Bücher hast du schon im Januar gelesen, JMaria ! Sie klingen für mich eigentlich alle reizvoll, wie schön, dass auch etwas lustiges über Goethe dabei war !

Ich habe Von der Schönheit von Zadie Smith beendet. Der Roman war 2005 auf der shortlist des Booker-Prize. Ein Gesellschafts- und Campusroman, der nach dem Vorbild von „Wiedersehen in Howards End“ geschrieben ist. Leider kenne ich die Vorlage nicht, nur den Film, an den ich mich aber auch nur vage erinnere, daher kann ich da keine Vergleiche ziehen. Ganz schön beschrieben sind die Protagonisten, zwei Familien, die die herkömmlichen Klischees durchbrechen. Ein schwarzer, konservativer Professor und sein Gegenspieler, ein liberaler weißer Professor, der eine schwarze Frau geheiratet hat. Zadie Smith spielt mit diesen Gegensätzen und zeigt so gleichzeitig auf, wie einseitig und in welchen Mustern wir denken. Und dass wir im Kern alle einfach nur Menschen sind, was manche allzu schnell vergessen. Mir hat es sehr gut gefallen.
Gruss von Steffi

:lesen:
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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon Petra » Mo 22. Jan 2024, 15:46

“Nebenan“ habe ich sehr gerne gelesen. Kristine Bilkau verwebt darin lose das Leben dreier Frauen in einer kleinen Kreisstadt. Der Leerstand hält mehr und mehr Einzug. Und seit kurzem ist eines der Häuser verlassen, in dem vor kurzem noch eine Familie wohnte.

Das Verschwinden der Nachbarn ist nachvollziehbar. Vermutlich sind sie einfach weggezogen. Und doch mutet es etwas seltsam an. Warum haben sie sich nicht kurz von den Nachbarn verabschiedet? Und warum wurden viele Sachen zurückgelassen? Steckt doch etwas anderes hinter dem Verschwinden der Familie?

Auch das Verhalten der Nachbarn ist nachvollziehbar, und doch etwas überspannt und übergriffig. Und doch wieder überhaupt nicht, sondern einfach Teilnahme an den Mitmenschen. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass man sich umeinander sorgt. Aber selbst in einer Kleinstadt, wo der Zusammenhalt in der Nachbarschaft in den Siedlungen lange noch ein anderer war als in der Großstadt, interessiert sich kaum noch einer für den anderen. Die Stadt stirbt aus, Geschäfte stehen leer. Und über alles legt sich zunehmend eine Trostlosigkeit und damit einhergehend schleicht sich eine Gleichgültigkeit ein, auch für die Menschen "nebenan".

Alle leben ihr Leben, mit all ihren Sorgen, für sich allein. Sie leben nebeneinander
her. Durch das verlassene Haus Streifen sich die Leben dreier Frauen ganz sachte. Man merkt ihnen ihre Scheu an im Umgang mit ihren Mitmenschen. Ist Interesse gewünscht? Oder wird es als Neugierde ausgelegt und als Einmischung empfunden? Wann sind wir Menschen so geworden? In einer Großstadt erklärt es sich durch die Anonymität. Aber in einer Kleinstadt, in der Siedlung...?

Der Ort wirkt, wie so viele Orte inzwischen, gespenstisch. Die Bewohner auch. Kaum Leben ist sichtbar und spürbar. Kristine Bilkau verdichtet in "Nebenan" die Einsamkeit in der Gemeinschaft. Und so ist auch der Titel sehr treffend gewählt.

Wünschen wir selber Berührung mit unseren Mitmenschen? Oder haben wir uns nicht auch schon längst verschlossen und abgekapselt? In solch einer Umgebung geht das Zusammengehörigkeitsgefühl verloren. Dabei ist dies etwas, wonach sich die Menschen im tiefsten Inneren sehnen.

Aber auch von der Achtlosigkeit im Umgang unserer Umgebung, mit der Natur, ist hier ein Thema.

Ein leiser Roman, der viel über den Zustand mancher Orte und den Zustand der menschlichen Seele in dieser Zeit, in dieser Gesellschaft sagt. Kristine Bilkau erzählt in einer sehr schönen ruhigen Weise, ich bin den drei Frauen in ihren Leben sehr gerne gefolgt, und bin gerne mit ihnen Verbindungen eingegangen. Ganz vorsichtig und umsichtig.

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Im Anschluss habe ich “Hinter der Hecke die Welt“ gelesen. Auf dieses Buch habe ich mich sehr gefreut, da ich vor einigen Jahren den ersten Roman von Gianna Molinari sehr gerne und fasziniert gelesen habe. Und wieder konnte mich Gianna Molinari begeistern.

Erzählt wird von einem kleinen (sehr kleinen!) Dorf, das Angst hat vor dem Verschwinden. Überhaupt würde das Dorf wohl keiner mehr finden, wäre da nicht die Hecke. Die Hecke ist riesengroß, und lockt Touristen an. Und Vermessungsspezialisten, die sich für den enormen Wachstum der Hecke interessieren. Jedoch ebenso vermessen sie die beiden Kinder Pina und Lobo, die aufgehört haben zu wachsen. Woher kommt der Stillstand? Den Dorfbewohnern ist sehr am Wachsen der Kinder gelegen, denn sie sind die Zukunft des Dorfes.

Zweiter Handlungsort ist die Arktis. Dort ist Dora, Mutter von Pina, auf Expedition. Sie und das Team, dem sie angeschlossen ist, beobachten die Arktis. Auch die Arktis befindet sich im Verschwinden. Das Eis schmilzt, und damit verschieben sich Formen und Grenzen.

Toll, wie Gianna Molinari Wachstum und Stillstand auf ihre so eigene Art betrachtet und hinterfragt. Das Dorf stellt sie so reduziert dar, dass es beinahe absurd wirkt. Und doch ist alles da, was sie braucht, um anhand dessen ein Dorf, Wachstum und Stillstand aufzuzeigen, und zum Nachdenken darüber anzuregen. Gerade weil es so reduziert ist.

Ebenso intensive Gedanken löst sie durch die Episoden in der Arktis aus. Gianna Molinari hat gründlich recherchiert, und erzählt absurde Geschichten in ihrer ihr eigenen Art. Und man ahnt bereits, dass diese absurden Geschichten nicht weniger als absolut wahr sind. Und absurd sind damit nicht die Geschichten, die sie erzählt, sondern wir Menschen.

Ich liebe die ungewöhnliche Herangehensweise von Gianna Molinari. In mir hallen ihre Romane lange nach. Auch schätze ich ihre Themen sehr, die absolut relevant sind. Ich hoffe auf mehr, mehr, mehr von dieser Autorin!

Kleiner Hinweis zur Ausgabe: Die Ausgabe ihres ersten Romans „Hier ist noch alles möglich“ wurde sehr schön gestaltet. Der Schutzumschlag zeigt passend zum Inhalt einen Auszug eines Wolfsfells, und ist durch eine Prägung auch fühlbar. Schade, dass der Schutzumschlag von „Hinter der Hecke die Welt“ zwar Heckenblätter abgebildet sind, aber eine Hervorhebung/Prägung wurde hier nicht vorgenommen, so sind sie nicht erstastbar. Nur eine Kleinigkeit, aber ich hätte mir gewünscht, dass der Verlag auch diesen zweiten Roman spürbar gestaltet. Zudem ist leider die Papierqualität deutlich schlechter ausgefallen als beim ersten Roman.

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Jetzt lese ich “Solange wir schwimmen“. Wie schon in „Wovon wir träumten“ erzählte Julie Otsuka in der Wir-Form. So auch in ihrem neusten Buch über das Schwimmen, einen Riss im Schwimmbecken, und die Schwimmerin Alice, durch deren Leben eine Demenzerkrankung einen Riss zieht. Ich werde berichten.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon Trixie » Mi 24. Jan 2024, 00:11

Ich habe gestern Aunty Lee's Deadly Specials beendet, und es hat mir gut gefallen. Ein Leseerlebnis, das mir sehr gut getan hat, auch wenn der Krimi in diesem Band keine leichte Kost -im doppelten Sinn- behandelt:
Aunty Lee, die vermögende Witwe, die aus Liebe zum Kochen ein kleines Restaurant mit traditioneller Küche betreibt, soll für die Chefin der Anwaltsfirma Sung Law das Essen für eine Feier auf deren Anwesen liefern. Als im Verlauf der Party zwei Menschen unter mysteriösen Umständen zu Tode kommen, zeigen bald viele Finger auf Aunty Lee mit dem Vorwurf, dass sie eine gefährliche lokale Spezialität offenbar nicht sorgfältig genug zubereitet haben muss. Wenn Aunty Lees kleines Restaurant nicht dauerhaft geschlossen bleiben soll, muss sie aber schon selbst herausfinden, was es mit den Todesfällen tatsächlich auf sich hat: War es Mord, Selbstmord oder eine Mischung aus beidem? Denn schon bald ist klar, dass es für alle Versionen genügend Motive gibt: Eines der Opfer war sterbenskrank und nur eine Organspende hätte ihn vielleicht noch retten können. Das andere Opfer hatte für diese wage Chance den eigenen finanziellen Bankrott in Kauf genommen und sich selbst offenbar tief in den illegalen Organhandel in Singapur verstrickt. Ein zwielichtiger Arzt, ein Chirurg, der einiges zu verbergen hat, eine betrügerische Mitarbeiterin und nicht zuletzt die tief verstrittenen Mitglieder der Familie Sung - sie alle sind nicht minder gute Verdächtige für die beiden Giftmorde. Doch einer von ihnen verfügt über beste Kontakte zu den höchsten Kreisen Singapurs, und so wird offenbar alles getan, damit die Schuld an Aunty Lee haften bleibt und niemand nach weiteren Verdächtigen sucht.

Wie schon gesagt, hat mir dieser Krimi sehr gut gefallen. Ich finde die Kulisse einfach faszinierend und die wiederkehrenden Figuren sympathisch - ja, selbst die eigentlich unsympathischen, wie die überaus ehrgeizige Selina, Ehefrau von Aunty Lees Stiefsohn Mark.
Ich mag vor allem, wie Autorin Ovidia Yu das Land Singapur und seine Gesellschaft zeichnet, sowohl die guten wie die schlechten Seiten, ohne dabei zu überzeichnen. Manchmal finde ich die Darstellung sogar befremdlich nüchtern. Besonders bei einem Thema wie Organspende und Organhandel ist man doch eher schnell berührt. Da hat es mich an manchen Stellen schon betroffen gemacht, mit welcher Unberührtheit, ja, geradezu Kälte der Romanfiguren gegenüber den Lebendspendern aufgetreten wurde, die aus den ärmeren Ländern Asiens nach Singapur kommen, um mit dem Verkauf eines Organs ihre Lebensumstände in ihrer Heimat finanziell zu verbessern. Für viele bedeutet diese Spende lebenslange gesundheitliche Beeinträchtigung oder sogar bereits bei der OP den Tod. Dass offenbar viele Empfänger der Organe sich über diesen Aspekt gar keine Gedanken machen, kam mir beim Lesen stellenweise schon übel auf. Aber gerade weil Ovidia Yu bei der Behandlung solcher Themen (auch z. B. den ethnischen oder Sozialdünkel, die prekäre Stellung von Arbeitern aus anderen Ländern, Homosexualität und vieles mehr) nicht die "Moralkeule" herausholt, bin zumindest ich auch eher bereit, mich durch die Schilderungen durchzulesen, statt ein Buch irgendwann unbeendet zur Seite zur werfen.
Alles in allem: nicht nur ein verwickelter und interessanter Kriminalfall, sondern auch eine gute Lektüre, um tiefer hinter die Kulissen von Singapurs Kultur und Gesellschaft zu blicken. Einmal mehr schade, dass es diese Autorin mit ihren Büchern (bislang) nicht zu einer Veröffentlichung in deutscher Sprache gebracht hat.

Als nächstes habe ich mir einen Krimi aus den 1920ern vorgenommen: Alexander Wilson: The Mystery of Tunnel 51. Ich will dieses Jahr versuchen, wieder ein wenig mehr ins Abenteuer-Genre zu gehen, und dieses Buch scheint ein guter Wiedereinstieg zu sein, weil er offenbar neben Krimi auch eine abenteuerliche Spionagegeschichte sein könnte. Es ist das erste Buch aus einer Reihe - Wallace of the Secret Service-, in der der Autor von 1928 bis 1940 neun Bände veröffentlichte und die in vielen unterschiedlichen Interessengebieten der Briten während dieser Zeit handeln. In The Mystery of Tunnel 51 befinden wir uns gleich zu Beginn im nordindischen Simla, der Sommerresidenz der Briten während der Kolonialzeit - für mich also bereits vertrautes Lese-Land, bei dem ich mich freue, es nun wieder zu besuchen.
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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon steffi » Fr 26. Jan 2024, 10:39

@Petra: Danke für deinen ausführlichen Bericht über Nebenan. Alles spricht mich sehr an und so rückt das Buch ganz nach oben auf meiner Liste !

Auch was du über Hinter der Hecke der Welt scheibst, klingt sehr interessant. Ich finde solche Verknüpfungen auch spannend ! Schön, dass dieses Buch dich zum nachdenken anregt.Und ich finds auch schade, dass die Haptik im zweiten Buch nicht übernommen wurde.

@Trixie: Aunty Lee klingt ja auch sehr spannend. Toll, wenn es eine gute Krimihandlung gibt und man noch Einblicke in die Gesellschaft bekommt !
Gruss von Steffi

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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon steffi » Fr 26. Jan 2024, 10:43

Ich habe Das Geheimnis der Silvesternacht von Nicholas Blake gelesen. Ein feiner Krimi aus den 1960er Jahren, der aber absolut modern daherkommt. Mir gefiel, dass es Anklänge an den Kalten Krieg gibt und auch das Setting im verschneiten, dörflichen England. Hat sehr viel Spaß gemacht, diesen Krimi zu lesen.
Gruss von Steffi

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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon Kessy1 » Sa 27. Jan 2024, 21:23

Hallo Ihr lieben! Mich hat es mal zu etwas historischem hingezogen. Und so lese ich jetzt den ersten Teil (Schlacht und Blut)der Napoleon Saga von Simon Scarrow. Und das Buch hat mich gleich von Anfang an richtig gefesselt!
Herzliche Grüße aus Lübeck
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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon Trixie » Mo 29. Jan 2024, 00:35

Ich habe jetzt ein gutes Viertel von Alexander Wilson: The Mystery of Tunnel 51 hinter mir, dem ersten Band aus der Reihe um Sir Leonard Wallace, dem Leiter des britischen Geheimdienstes einige Jahre nach dem ersten Weltkrieg.

Kurz zur Handlung: In Simla trifft Major Elliot nach einer einjährigen Mission ein, bei der er Kartierungen von britischen Befestigungsanlagen entlang der Grenze Indiens angefertigt hat. Diese Pläne sollen so bald wie möglich zum gerade aus seiner Sommerresidenz in Simla abgereisten Vizekönig nach Delhi gelangen, und so machen er und der Sekretär des Vizekönigs sich mit der Bahn auf den Weg. Obwohl sich beide bewusst sind, dass der Major seit geraumer Zeit von dubiosen Gestalten verfolgt wird und zusammen mit dem Polizeichef von Simla alle Vorsichtsmaßnahmen treffen, wird der Major unterwegs ermordet. Als der Sekretär in einer halsbrecherischen Fahrt die Pläne allein doch noch zum Vizekönig befördern kann, wartet am Ende dieser Reise ein weiterer Schock auf alle. Zur Aufklärung dieses mysteriösen Falles scheint dem Vizekönig nur ein Mensch in der Lage: Sir Leonard Wallace vom britischen Geheimdienst, den er in einem verschlüsselten Telegramm umgehend nach Indien bittet. Doch dessen eigentlich geheime Ankunft fliegt auf, und nun sind Wallace und Brien gegenüber ihren unbekannten Gegnern einen Schritt hintenan...

Auch dieses Buch gefällt mir bislang ausnehmend gut, was nicht nur an der schon aus einigen Lektüren vertrauten Kulisse Indien -insbesonders Simla- und der Ära der Handlung während der britischen Kolonialzeit liegt. Denn darüber hinaus kommt dieser Krimi/ Abenteuer-/Spionageroman auch überraschend modern daher - viel moderner als es seine Veröffentlichung in 1928 vermuten lässt. So erfährt man in den meisten "klassischen" Krimis dieser Zeit (und noch Jahrzehnte später) vom privaten Hintergrund der darin auftretenden Detektive und sonstigen Ermittler eher wenig - es wird vielleicht erwähnt, dass es eine Ehefrau und KInder gibt, es wird auf skurile Hobbies, Eigenarten oder Tagesabläufe hingewiesen. Nicht so hier: In mehreren Kapiteln wird auf Sir Leonards Frau Molly, seine Familie, seinen Haushalt und seine Freundschaft zu seinem einstigen Kriegskameraden Brien (der jetzt mit ihm beim Geheimdienst ist) und dessen Frau ausgiebig eingegangen. Obwohl deutlich wird, wie wichtig ihm sein Beruf und seine Missionen sind, wird er gleichzeitig als ausgesprochen liebevoller Ehemann und Vater dargestellt, was mich beim Lesen immer wieder angenehm überraschte. Das macht die Figuren ungewöhnlich menschlich, sympathisch und -wie gesagt- eine Seltenheit unter meinen bisherigen Krimis aus der Zeit.
Ebenfalls spannend sind so manche Informationen, die man tatsächlich durch einen Autor der Zeit vermittelt bekommt, z. B. zur Technik. Dass es bereits anfangs der 1920er Jahre bzw. schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg Kabinenflugzeuge mit Platz für 12-16 Passagiere gab, war für mich völlig neu. Bislang hatte ich für diese Jahre eher nur die Doppeldecker im Kopf. Ich liebe es aber, wenn ich durch so nebenbei erwähnte Stichworte zum eigenen Nachforschen angeregt werde, und das ist ein weiterer Grund, weshalb mir das Buch so gut gefällt. Vorsorglich habe ich mir die weiteren 8 Bände der Reihe, die Wilson zwischen 1928 und 1940 verfasste, schon mal auf die Merkliste gesetzt.

Hier noch ein Link zu historischen Bildern der Kalka-Simla Railway und zu den Rail Motor Cars, die in dem Buch eine wichtige Rolle spielen: Kalka Simla Railway - ja, zu allem Überfluss ist The Mystery of Tunnel 51 auch noch ein Zug-Krimi!
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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon JMaria » Di 30. Jan 2024, 16:43

Klingt sehr verlockend, Trixie
Toller Link und Fotos .
und eine schöne ausführliche Buchbeschreibung :nicken_freudig:
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon JMaria » Mi 31. Jan 2024, 12:30

Kessy1 hat geschrieben:Hallo Ihr lieben! Mich hat es mal zu etwas historischem hingezogen. Und so lese ich jetzt den ersten Teil (Schlacht und Blut)der Napoleon Saga von Simon Scarrow. Und das Buch hat mich gleich von Anfang an richtig gefesselt!


Hallo Kessy

Napoleon war schon eine spannende Figur. :nicken_freudig:
Ich kann mir gut vorstellen, dass es eine fesselnde Reihe ist. Der Autor sagt mir vom Hörensagen etwas. Ich glaube er ist sehr erfolgreich. Viel Spannung beim weiterlesen.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leseerlebnisse 2024...ich lese gerade...

Beitragvon steffi » Sa 3. Feb 2024, 16:46

@Trixie: schöner Bericht, klingt sehr spannend !
@ Kessy: ebenfalls weiterhin viel Spaß in der Zeit von Napoleon!

Ich habe mit Kate Mosse Labyrinth begonnen, ein historischer Roman um den Katharerkreuzzug in Carcassonne Anfang des 13.Jahrhundert. Durch zwei Zeitebenen ist es sehr interessant zu lesen.

Beendet habe ich Die spürst du nicht von Daniel Glattauer. Ein berührendes und zum Nachdenken anregendes Thema um den Tod eines Flüchtlingskindes und über die eigene Wahrnehmung.
Gruss von Steffi

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