Josie hat geschrieben:Liebe Petra,
sehr berührend, die Erzähung um deinen Großvater. Und ja, man versteht erst im Erwachsenenalter, warum niemand darüber sprechen möchte. Als Kind erfasst man die Tragweite noch nicht. Tröstlich finde ich den Bericht der Frau, die mit deinem Großvater im Lager war. Gerade für die Nachkommen, die ihn nicht kennenlernen durften und die sich so ein Bild über ihn und auch über die eigene Familienidentität machen können. Wie du eben auch so treffend die äußerliche und charakterliche Verbindung zu deinem Vater herstellst.
Bei uns war der eine Großvater in russischer Gefangenschaft und kam als introvertierter, stiller, in sich gekehrter Mensch zurück, der auch nie nur ein einziges Mal ein Wort über die Erlebnisse oder gar den Krieg verlor. Mein anderer Großvater war in Rußland Sanitäter und berichtete, auch seinen Kindern, immer wieder über seine grausigen Erlebnisse auf dem Feld. Ohne böse Absicht oder sich der Tragweite bewusst zu sein, was er damit anrichtete, er war eine Seele von Mensch. Aber es war seine Art, mit dem Erlebten umzugehen. Immer wieder erlebte er die Ereignisse, auch später im Alter. Für meine Mutter und die Geschwister emotional fürchterlich. Meine Mutter gerät heute, wenn Sirenen gehen, immer noch in Panik und hatte lange Jahre bei jeder noch so kleinen politischen Konfrontation Angst vor Krieg - nur aufgrund dieser Erzählungen.
Beide Arten des Umgangs mit dem Erlebten sind so gegensätzlich und doch so intensiv. Darüber habe ich mir schon oft Gedanken gemacht und deshalb interessiert mich dieses Thema. Fürchte mich andererseits aber auch, mich damit auseinanderzusetzen.
Liebe Josie,
deine Worte haben mich sehr berührt!
Was für Erlebnisse! Wir können uns das sicher nicht vorstellen. Dass so viele schweigen, zeigt mir wie tief die Verstörung ist, die ausgelöst wurde durch solche Erlebnisse! Und ja, als junger Mensch ist einem das gar nicht bewusst. Gerade auch wenn geschwiegen wird, wie soll man in seinem unbekümmerten Leben auch eine Ahnung von diesen Schrecknissen haben?
Umso stärker ist auch bei mir das Interesse an dem Thema.
Interessant finde ich auch den Umgang deines anderen Großvaters mit dem Erlebten. Das ist selten. Und vielleicht der bessere Weg, Aber sicher auch nicht einfach es zu hören. Mein anderer Großvater (der auf Java in Kriegsgefangenschaft war, und heimkehrte) hat auch nichts erzählt. Außer dass er bei der Marine war, aber nicht schwimmen konnte. Er war deshalb einer der wenigen Überlebenden, als sein Schiff sank. Er war so besorgt, dass seine Schwimmweste platzen könnte, so dass er die Strickleiter benutzt hat. Seine Kameraden sind fast alle gesprungen in ihrer Panik, und die Schwimmwesten sind tatsächlich kaputt gegangen. Mein Opa ist zwei Tage im Meer geschwommen, in seiner Schwimmweste. Er hat darüber gesagt, dass er sich nie in seinem Leben so einsam gefühlt hat. Ein U-Boot kam, und nahm ihn auf. Wenn ich es recht erinnere, geriet er dadurch in die Gefangenschaft. Aber er blieb am Leben! Und er hatte es in der Gefangenschaft, so viel ich weiß, nicht so schlecht. Und wir lieben deshalb alle Nasi Goreng. Denn er bekam das dort zu essen, und wollte das öfter mal haben. Gab es früher in Dosen, und das haben wir dann alle gegessen. Wenn ich das jetzt so erinnere, ist das so liebenswert!
Und ich weiß, dass er Weihnachten nichts abgewinnen konnte. Er saß immer still dabei, aber hat sich nicht beteiligt. Er sagte bei der Gelegenheit öfter mal, dass es Weihnachten für ihn nicht mehr gibt. Er musste an Heiligabend zuschauen, wie Engländer ertranken, deren Schiff sie bombardiert haben. An Weihnachten.
Da fällt einem wirklich nichts mehr ein, nicht wahr?!
Mir wird das alles jetzt beim schreiben noch mal so richtig bewusst. Das kratzt mich an. Aber es freut mich! Bringt mich meinem (inzwischen verstorbenen) Großvater nahe.
So nahe, wie mich die Ähnlichkeit meines anderen Großvaters mit meinem Vater mich ihm bringt. Und diese Geschichte von der Frau, die seine Essensration bekam. Genau, du hast das so schön gesagt, liebe Josie!
Weißt du, für uns sind das Geschichten. Für die Generation unserer Großväter- und mütter war es Realität. Ich kann das manchmal gar nicht fassen.