Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Petra » So 29. Jan 2012, 17:15

Hallo Barbara,

bei "Krieg und Frieden" scheue ich mich auch vor den sicherlich vorhandenen Längen durch die Kriegspassagen. Das reinlesen war aber so imposant, dass ich mich dem irgendwann stellen möchte. Und mal sehen, welche Romane von Tolstoi im Laufe der Zeit noch dringlich für mich werden.
Liebe Grüße,
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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Didonia » So 29. Jan 2012, 17:47

Hallo miteinander :)

mit solchen Längen hatte ich damals auch zu kämpfen bei Fackeln im Sturm ("Die Erben Kains", "Liebe und Krieg" und "Himmel und Hölle" von John Jakes). Die Familiengeschichte und die Freundschaft zwischen Orry und George wahnsinnsspannend. Aber die Kriegspassagen...
Lesende Grüße, Anne

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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Barbara » So 29. Jan 2012, 18:40

Liebe Didonia,

die kenne ich auch! Ich habe damals keine Folge der Serie verpasst. Danach musste ich unbedingt die Bücher haben. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich sie dann nie gelesen habe und immer von Jahr zu Jahr und von Regal zu Regal mitgeschleppt habe. Letztes Jahr habe ich sie schließlich entsorgt, da ich wusste, dass ich sie doch nicht mehr lesen werde. :oops:

Aber die Serie war klasse und die würde ich gerne mal wieder sehen.
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Liebe Grüße
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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Didonia » So 29. Jan 2012, 22:18

Hach, Barbara, ich habe sie sogar auf DVD :mrgreen:
Lesende Grüße, Anne

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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon JMaria » Mo 30. Jan 2012, 11:15

Petra hat geschrieben:Hallo Barbara,

bei "Krieg und Frieden" scheue ich mich auch vor den sicherlich vorhandenen Längen durch die Kriegspassagen. Das reinlesen war aber so imposant, dass ich mich dem irgendwann stellen möchte. Und mal sehen, welche Romane von Tolstoi im Laufe der Zeit noch dringlich für mich werden.



Petra hat geschrieben:ja, in diesem groß angelegten Panorama kann man sich richtig verlieren. Es übt auf leise Art eine gewisse Faszination auf mich aus. Und ich bin mir nun sicher, dass ich "Krieg und Frieden" auch lesen möchte. Die Urfassung hätte mich auch sehr interessiert. Aber bei mir wird es dann doch die Neuübersetzung des Hanser Verlags. Ich muss mich nur noch überwinden sie zu kaufen. Sie ist ja sehr teuer. Ich habe aber mal reingeschaut - große klasse!



Hallo zusammen,

folgender Hinweis ist vielleicht noch hilfreich. Man sollte die beiden Fassungen, die übliche und die Urfassung von Krieg und Frieden als zwei getrennte Bücher betrachten. Das wird auch empfohlen.

Es sind doch gravierende Unterschiede. Politische Ansichten, erheblich weniger Schlachtgetümmel, für manche Personen auch ein anderes "Schicksal".

Sicherlich lohnenswert beide Fassungen zu lesen. Was ich auch irgendwann nachholen werde. Ich kann die Urfassung jedenfalls seeehr empfehlen. Sollte im Grunde nicht im Bücherschrank fehlen, wenn man Tolstoi gerne liest.
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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Petra » Mo 30. Jan 2012, 12:45

Hallo Maria,

die Urfassung von "Krieg und Frieden" interessiert mich aus genau den von Dir genannten Unterschieden. Aber ob ich beide Fassungen lesen werde - ich weiß es nicht. Aber wer weiß. Man soll nie nie sagen.

Und wenn Du mal irgendwann den Vergleich ziehen kannst, und die Unterschiede (auch in den Schicksalen verschiedener Figuren) herausstellen kannst, wäre ich sehr intessiert.
Liebe Grüße,
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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Petra » Di 31. Jan 2012, 15:36

Hallo zusammen,

Seite 320: Langsam beginnt die Situation, in der sich Anna, Wronski und Annas Ehemann Alexej Alexandrowitsch befinden, mich zu beklemmen. Alle drei sind gefangen in ihrer Lage. Anna sehnt sich nach Wronski, ihre Gedanken kreisen nur noch um ihn. Und ist gefangen an der Seite des ungeliebten Mannes. Tolstoi hat sehr gut nachempfunden, wie sie nur noch seine schlechten Eigenschaften sieht, ihn verachtet und er sie mit allem was er tut anekelt. Das ist authentisch. Da hat Tolstoi ganz fein beobachtet. Überhaupt seziert er aufs Feinste diesen Ehebruch, und alle daran beteiligten. So auch Alexej Alexandrowitsch. Wie er lieber wegschaut, als sich den Tatsachen bewusst zu stellen. Wie sein Unterbewusstsein dennoch pausenlos lauert. Und seine Gesundheit unter der angespannten Situation leidet. Wie er die Demütigung unterdrückt, und sie doch verspürt.

Und nicht zuletzt Wronski. Anfangs war ich mir bei ihm nicht sicher, ob er die Liaison wirklich ernst nimmt, oder – wenn auch nicht aus böser Absicht heraus – aus einem verspielten Blickwinkel her betrachtet. Doch Anna scheint in ihm doch ganz andere Gefühle auszulösen, als er sie bisher kannte. Hatte er zunächst darauf gedrungen, dass alles so bleiben solle, wie es ist (also Anna in ihrer Ehe, und sie sich heimlich treffend), so wird die Situation für ihn nun immer unerträglicher. Er möchte ein klares Verhältnis schaffen, will den Bruch zwischen Anna und ihrem Ehemann. Will sie für sich.

Nun ist Anna auch noch schwanger von ihm. Er sieht darin den Grund, endlich Klarheit zwischen ihr und ihrem Mann zu schaffen. Sie sieht für sich und Wronski keine Möglichkeit. Sie schätzt ihren Mann wohl leider sehr richtig ein. Er würde sie nicht gehen lassen, nicht in eine Trennung einwilligen. Seine Gedanken verraten dem Leser dies. Sie war nicht gesprächsbereit, als er über die Situation reden wollte, also will er auch nicht gesprächsbereit sein, wenn sie es suchen sollte. Dabei ist das natürlich verlogen. Auch beim ersten Gesprächsversuch, der von ihm aus ging, war die einzig akzeptable Richtung für ihn, dass Anna ihren intensiven Kontakt zu Wronski einstellt. Hätte sie ihm nicht entsprochen, hätte er auch zu diesem frühen Zeitpunkt keine Einwilligung in etwas anderes gegeben.

Die Sehnsucht, die Demütigungen, die um den Geliebten (die Geliebte / die Betrügerische) kreisenden Gedanken werden spürbar.

Auch den Erzählfaden um Lewin mag ich sehr. Fast bedaure ich es, wenn Tolstoi dann wieder einen Schwenk zur Kernhandlung um Anna macht. ;-)

Als letztes las ich nun die Szene beim Pferderennen. Die geklauten Minuten zuvor bei Anna. Dann das eintreffen von Annas Mann, als sie gerade zum Rennen aufbrechen will. Diese unterkühlte, gezwungene, verlogene Atmosphäre. Das Rennen selbst war auch famos geschildert. Beim Sturz des Pferdes regte sich in mir ein lautloses Nein. Eine falsche Bewegung, und das arme Pferd ist dahin. Vom Sieg mal ganz zu schweigen. Das muss Wronski schwer zugesetzt haben. Und Annas Maske fällt, als sie ihn stürzen sieht. Ist außer Fassung. Das spitzt die Situation zwischen ihr und ihrem Mann zu. Wieviel Demütigung und öffentliche Blamage kann er sich noch gefallen lassen?

Sehr eindringlich. Ich freue mich jedes Mal aufs weiterlesen. Und die Gefühle sind – auch wenn die Konventionen heute anders sind – zeitlos und immer aktuell. Dreiecksgeschichten, die sich nicht so einfach lösen lassen, und an der alle Beteiligten leiden, bleiben wohl immer aktuell.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Petra » Sa 4. Feb 2012, 13:03

Hallo zusammen,

Seite 440: Tolstois eigenes Leben und sein Gedankengut findet sich stark in der Figur des Lewin wieder. Das wurde mir bewusst, als ich die Passage über Lewins Rückzug ins einfache Leben las. Wie er sich nach einem einfachen Leben sehnt, sich unter die Bauern mischt, und in der Landwirtschaft hilft. Nun werde ich Lewin verstärkt auch in Bezug auf Tolstoi selbst im Auge behalten. Interessant.

Auch ist an dieser Figur und ihrer Sehnsucht nach körperlicher Arbeit und einem einfachen Leben, zurückgezogen auf dem Land interessant, dass damals nicht nur die Menschen der unteren Schicht nicht aus dem für sie vorbestimmten Leben heraus konnten, sondern dass es auch der gehobenen Gesellschaft im Grunde nicht möglich war, sich für ein einfaches Leben zu entschließen. Lewin wird von den Bauern nicht wirklich ernst genommen. Er verschafft sich zwar sicher einen gewissen inneren Respekt, weil er bei der Heumahd nicht schlapp macht. Aber man wartet doch immer darauf, dass er hinter ihnen zurück bleibt, da er der körperlichen Arbeit nicht gewachsen ist. Und selbst als er es schafft, ist er nicht einer von ihnen. Man heißt es, erfährt Lewin von seinem Bruder, auch unter den Bauern nicht gut, dass er sich unter die Bauern mischt, anstatt den ihm vorbestimmten Tätigkeiten der Herrschaft nachzugehen.

Als er Kitty wiederbegegnet weiß er allerdings, dass er dieses einfache Leben nicht führen kann. Er liebt sie immer noch, und kann einzig in ihr seine Erfüllung finden.

Für Anna spitzt sich die Lage zu. Sie hat in einer ungezügelten Stunde ihrem Ehemann alles erzählt. Und er will ihr seine Entscheidung, wie es weitergehen soll, bald mitteilen. Das tut er, in Form eines Briefes, nachdem er einsam alle Möglichkeiten durchgegangen ist, die ihm bleiben. Tolstoi hat hier wieder meisterlich die Psyche eines Menschen von Alexej Alexandrowitschs Format beleuchtet, und meine Abneigung gegen ihn wächst. Ich kann Anna in ihrem Ekel vor diesem Menschen verstehen. Er ist feige (das zeigt den Gedanken an ein mögliches Duell sehr deutlich). Aber am schlimmsten fand ich, wie er die Religion für sich zu Rate zieht, und seine getroffene Entscheidung religiös untermauert, obwohl er diese Entscheidung keinesfalls wegen der Religion getroffen hat. Tolstoi zeigt hier eine Doppelmoral auf, die abstoßend aber authentisch ist. Wie viele Menschen stützen sich (gerade zu der Zeit damals) auf Gott, und rechtfertigen ihre Taten und Entscheidungen damit. Pfui! Tolstoi beeindruckt mich, dass er mit so leisen Tönen meine Abneigung derart erwecken kann vor der Natur des Menschen. Sehr richtig, wie Tolstoi aufzeigt, wie Alexej Alexandrowitsch alle Möglichkeiten durchgeht, und vor sich selbst argumentiert, warum seine Entscheidung die einzig mögliche ist. Denn sie ist natürlich nicht die einzig mögliche. Nur hatte er sie innerlich bereits getroffen, und die innere Argumentation findet nur zu dem einzigen Zweck statt, sich die eigene Entscheidung schön zu reden, und vor sich selbst in einem guten Licht dazustehen. Das ist psychologisch wieder sehr fein beobachtet. Denn die Psyche funktioniert oft so. Der Mensch muss sich bei Fehlverhalten eine Rechtfertigung einreden, um mit sich selbst im Reinen zu sein, trotz dass er im tiefsten Inneren weiß, dass er nicht recht handelt. Dazu stand mal etwas sehr interessantes in „Ausnahme“ von Christian Jungersen, als es darum ging, wie Menschen vor sich selbst rechtfertigen können, z. B. Völkermorde oder Mobbing zu begehen. Diesen Aspekt der Selbsttäuschung finde ich hier auch wieder. Ich finde das sehr interessant.

Würde Alexej sich nicht vor sich selbst so abstoßend rechtfertigen, und so selbstgerecht sein, dann würde ich ihn sogar verstehen. Es ist menschlich, dass er Anna nicht freigibt, dass er nicht als Verlierer aus der Situation hervorgehen möchte. Sie herzugeben würde heißen, sie an Wronski zu verlieren. Und dem Getuschel wäre er auch ausgesetzt, wenn die Schande auch auf Anna fiele.

Anna sorgt sich inzwischen (sie hat Alexejs Brief mit der Entscheidung noch nicht erhalten) darum, wie es mit ihr weiter gehen soll. Sie rechnet damit, dass Alexej sie verstößt und aus dem Haus jagen lässt. Für Anna ist alles, was als nächstes passieren kann, nicht erfreulich. So setzt sie sich mit dem auseinander, was jetzt für sie wahrscheinlich ist. Sie malt sich aus, wohin sie nur soll, und wie sie in Schande leben wird. Das missfällt ihr. Aber wenn sie Alexejs Entscheidung erfährt, wird er das ebenso wenig gefallen. Arme Anna. Arme Menschen, die in Konventionen so festgelegt sind. So wenig frei in ihren Entscheidungen, ihrer Lebensgestaltung, ihrer Liebe.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Petra » Do 9. Feb 2012, 14:42

Hallo zusammen,

Seite 600: Nachdem Lewin sich ausgiebig mit der Landwirtschaft beschäftigt hat, plagt ihn nun ein anderes Thema. Der Tod. Sein schwerkranker Bruder Nikolai war bei ihm zu Besuch, und seither muss Lewin sich mit dem Tod auseinandersetzen. Tolstois Umgang mit dem Thema gefällt mir sehr gut. Lewin wird plötzlich mit dem Tod konfrontiert. Ein Thema, mit dem er sich noch nie beschäftigt hat. Durch den Bruder wird das Thema auf einmal für ihn sehr präsent, und er kann sich dem Schrecken des Gedankens nicht entziehen. Irgendwann (bald) ist alles vorbei. Und alles Tun der Gegenwart verliert darüber gänzlich seine Bedeutung. Es ist so erschreckend wahr, besonders in der Form, wie Lewin das durchdenkt. So schlicht und so unumstößlich. Auch hier finden sich in Lewins Gedanken sicher auch Tolstois Gedanken wieder, so wie schon (wenn auch offensichtlicher) zuvor in der Passage, wo Lewin sich dem einfachen Leben verschreiben wollte.

Dass Lewin nun gerade Kitty wieder begegnet lenkt ihn hoffentlich von diesen trostlosen Gedanken ab, und verhilft ihm zu neuen Erkenntnissen. Z. B. wie die Zeit auf Erden am besten zu nutzen sei.

Auch bei Anna, ihrem Mann und ihrem Geliebten kam es zum Wendepunkt. Anna empfängt Wronski zu Hause, und ihr Mann bekommt das mit. Sie handelt somit gegen seine Auflage, und nun muss er Konsequenz zeigen. Er wendet sich an einen Anwalt, und unterrichtet Anna bereits darüber, dass der Sohn bei ihm bleiben wird. Annas Verzweiflung wächst.

Wronski hingegen hatte kurz zuvor zum ersten Mal Anna gegenüber das Gefühl, dass er sie nicht mehr liebt. Ein flüchtiger Moment, ausgelöst durch ihre Eifersucht, die sie in seinen Augen hässlich macht. Er erkennt jedoch auch, dass er trotzdem mit ihr stärker verbunden ist denn je, und sich nicht von ihr loslösen kann. Die Bindung ist schon zu stark geworden. Auch hier hat Tolstoi wieder psychologisch sehr genau beobachtet.
Liebe Grüße,
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Re: Tolstoi und sein Werk: Anna Karenina u.a.

Beitragvon Petra » Fr 10. Feb 2012, 15:50

Hallo zusammen,

Seite 650: Die vergangenen 50 Seiten haben allen Figuren, und mir als Leserin, sehr zugesetzt.

Auf der einen Seite nimmt man an Lewins und Kittys endlich gefundenen Glücks teil. Man freut sich mit ihnen, ist ganz ergriffen und gerührt, ob dieser scheuen und schönen Gefühle, die sie erleben.

Auf der anderen Seite spielt das Schicksal Anna, Wronski und Alexej Alexandrowitsch übel mit. Wobei, weniger das Schicksal, als diese ausweglose Situation, in der die drei feststecken. Wie ausweglos es in der damaligen Zeit war (denn keine Lösung wäre eine gute), wird immer deutlicher. Wie gut, dass man heute frei seine Gefühle ausleben kann, sich frei aus einer Beziehung lösen kann. Diese Freiheit ist Anna, Wronski und auch Alexej Alexandrowitsch nicht gegeben.

Tolstoi hat sehr komplexe Figuren geschaffen. Ich bewundere an ihm, dass er den Leser sich eine Meinung über eine Person bilden lässt, und später Anlass dazu gibt, dieses Urteil zu überdenken und vielleicht sogar zu revidieren. Besonders fällt mir das gerade an Alexej Alexandrowitsch auf. Sein Verhalten ist starr. Doch sobald einem klar ist, dass dieser Mann nicht von seinen einmal getroffenen Entscheidungen abweicht (die schon auch verständlich und menschlich sind), veranlasst ihn doch etwas zur Umkehr. Und gerade wird man für diesen unglückseligen Charakter eingenommen, so relativieren die Gedanken Alexandrowitschs dieses nun positive Urteil auch wieder, da er sich selbst eingesteht, dass er in seinem Großmut badet, und sich für ach so gut befindet.

Und Anna, im Angesicht des Todes (bei der Niederkunft ihrer und Wronskis Tochter sieht es ja sehr schlecht für sie aus), bereut und bittet um Verzeihung, und zollt Alexej Alexandrowitsch in dem Moment Respekt, Zuneigung und Dankbarkeit. So sehr, dass Wronski sie an ihren Mann verloren glaubt, und er wegen der empfundenen Scham seinem Leben ein Ende setzen will. Diese Regung Annas war zuvor nicht denkbar, und ist in der späteren Entwicklung natürlich auch haltlos.

Auch Lewin verwirft getroffene Urteile oder erworbene Meinungen. Vieles ist beim Menschen vor der persönlichen Lage abhängig, die sich ändern kann. Und vieles auch von der momentanen Gemütsverfassung. Ja, so sind die Menschen. Tolstoi versteht es wunderbar, sie zu skizzieren, und ein Panorama um sie herum zu entfalten, in dem man sich verlieren kann.

Ich habe mich noch keine Zeile lang gelangweilt. Ein tolles Buch!
Liebe Grüße,
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