Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

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Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Mi 25. Nov 2009, 17:31

Hallo Wolf (und Maria – auch wenn Du wahrscheinlich nur mitliest),

hiermit eröffne ich den Thread zu den Stories von Lydia Davis aus dem Band „Fast keine Erinnerung“.

Ich beginne mit der Erzählung „Der Professor“, da wir uns über die ersten Geschichten ja schon im Forum ausgetauscht hatten.

Zunächst einmal frage ich mich nun, wo ich den Titel der Story aufschreibe, wieso die Erzählung überhaupt „Der Professor“ heißt? Welche Ideen hast Du dazu, Wolf? Auf Anhieb würde mir der Titel „Der Cowboy“ ja viel treffender erscheinen. Aber dadurch, dass sie sich eben des Mannes aus dem tatsächlichen Leben der Protagonistin zur Titelgebung bedient, wird mir auch deutlicher – nachdem ich die Geschichte zu Ende gelesen habe – wie weit sich ihre Träume von ihrem tatsächlichen Leben unterscheiden. Somit finde ich: Sehr gut gewählter Titel, der die Aussage noch unterstreicht.

Denn was ich aus der Geschichte herausempfunden habe, war, dass die Erzählerin von einem einfacheren Leben träumt. Cowboys simbolisieren das für sie: Einfachheit, Unkompliziertheit, Naturverbundenheit (also Natürlichkeit und keine künstlichen Denkprozesse)… im Grunde sehnt sie sich ja nicht nach dieser Art Mann, sondern nach dieser Art Leben. Einen Ausgleich zu ihrem eigenen Leben erträumt sie sich. Vielleicht träumt sie sich nicht selbst in die Rolle eines Cowgirls, weil sie weiß, dass sie so nie sein kann?

Interessant! Lydia Davis gelingt es, dass ich selbst Gedanken hin- und herwälze. :-)

Und noch etwas habe ich bei der Geschichte empfunden: Verbundenheit! Denn die Träume, dass mein Leben weniger kompliziert sein könnte, hege ich durchaus auch. Nur bin ich da nicht so passiv. Es bleibt bei mir nicht nur beim träumen, sondern ich versuche daran etwas zu ändern. Das fehlt der Protagonistin, meine ich.

Ich bin überaus gespannt, wie Du es siehst, Wolf! Oder falls noch andere Lust dazu haben sich dazu zu äußern, sind sie natürlich herzlich dazu eingeladen!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Wolf » Mi 25. Nov 2009, 22:10

Hallo Petra,

danke für die Eröffnung dieser kleinen Leserunde, ich habe momentan leider auch einiges um die Ohren, aber so eine Diskussion ist eine schöne Ablenkung und die Erzählungen kann ich wegen ihrer Kürze gut zwischendurch einschieben. :-)

Petra hat geschrieben:Zunächst einmal frage ich mich nun, wo ich den Titel der Story aufschreibe, wieso die Erzählung überhaupt „Der Professor“ heißt? Welche Ideen hast Du dazu, Wolf? Auf Anhieb würde mir der Titel „Der Cowboy“ ja viel treffender erscheinen.

Stimmt, "Der Cowboy" wäre auf den ersten Blick passender. Es entsteht da ein gewisses Überraschungsmoment, daß da erstmal von einem Cowboy die Rede ist, obwohl der Titel "Der Professor" etwas anderes erwarten ließe. Beim Titel muß man beachten, daß er sich im Englischen auch auf die Ich-Erzählerin selbst beziehen kann, die ist nämlich ein "professor":

But what would a cowboy want with a woman like me--an English professor, the daughter of another English professor, not very easygoing? (Zitat im Web gefunden).

Im Deutschen wird im Text zwischen Professorin und Professor unterschieden, im Englischen heißt es durchgehend "professor" (vermute ich jedenfalls, ich habe nicht den kompletten englischen Text, sondern nur Ausschnitte aus dem Web). Der Titel bezieht sich also wohl (auch) auf die Ich-Erzählerin oder eben generell auf den Typus des nachgrübelnden, theoretisierenden Professors, zu dem der einfachere (im positiven Sinn) Cowboy einen Gegensatz bildet. Diesen "Cowboy-Typus" hast Du ja auch schon in diesem Sinne charakterisiert:

Petra hat geschrieben:Einfachheit, Unkompliziertheit, Naturverbundenheit (also Natürlichkeit und keine künstlichen Denkprozesse)… im Grunde sehnt sie sich ja nicht nach dieser Art Mann, sondern nach dieser Art Leben.

Den letzten Punkt finde ich auch sehr wichtig: sie sehnt sich eben nicht nach einem bestimmten Mann (den sie vielleicht mal gesehen hat und der eben zufälligerweise Cowboy war), sondern nach demjenigen Leben, das sie mit einem Cowboy in Verbindung bringt. Sie schreibt ja auch, daß sie genau weiß, daß bestimmte Dinge für zeitgenössische Cowboys nicht mehr zum täglichen Leben gehören (Sättel, Pferdehaar). Aber sie stellt sich ihren Cowboy eben so vor.

Ironischerweise entsteht dieser Cowboy erst durch ihr Nachdenken in ihrem Kopf, es ist also im Grunde ein theoretischer Cowboy, der durch dieselben künstlichen Denkprozesse entsteht, denen sie eigentlich entkommen will.

Witzig fand ich die Stelle gegen Ende, wo die Ich-Erzählerin schreibt, daß sie sich inzwischen so an die Gesellschaft ihres Mannes gewöhnt habe, daß sie ihn wohl mitnehmen würde, wenn sie tatsächlich mal einen Cowboy heiraten sollte. :-)

Schöne Grüße,
Wolf
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon JMaria » Mi 25. Nov 2009, 22:29

Hallo Petra, hallo Wolf

Petra hat geschrieben:Hallo Wolf (und Maria – auch wenn Du wahrscheinlich nur mitliest)


Wolf hat von Ablenkung geschrieben, die ich auch gut gebrauchen kann. Eure Diskussionen werde ich mit verfolgen und mich mit kleinen Gedanken einbringen, denn ich glaube, zu ausführliche Gespräche schaffe ich es zur Zeit nicht.

was mir auffiel ist dieser Satz....

"....würde mich ein Cowboy davon abbringen können, so viel zu denken." (S. 18)

und wie die Autorin zuvor ihre Gedanken hin und her dreht, bis sie zu diesem Satz kommt.

Doch was sagt mir diese Aussage über die Professorin?

mal davon abgesehen, dass sie über den Cowboy stereotyp denkt.

Liebe Grüße
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Wolf » Mi 25. Nov 2009, 23:53

Hallo Maria,

freut mich sehr, daß Du nun auch schreibenderweise in der Runde mit dabei bist. :-) Kurze Beiträge sind völlig okay, gerade Einzelbeobachtungen können sehr interessant sein, es muß nicht immer eine Gesamtbetrachtung sein.

JMaria hat geschrieben:was mir auffiel ist dieser Satz....

"....würde mich ein Cowboy davon abbringen können, so viel zu denken." (S. 18)

Das ist wohl der Wunsch nach dem unmittelbaren Leben: die Dinge einfach zu genießen, ohne andauernd darüber reflektieren zu müssen. Durch ständiges Reflektieren werden Dinge und Gefühle relativiert und in Frage gestellt, wodurch sie an Bedeutung und Wert verlieren können. Ein "Professor" kann die Dinge nicht so nehmen wie sie sind, er ist eben kein "Cowboy". Durch das Nachdenken und durch (ironische) Betrachtungen erhebt sich der "Professor" ja gewissermaßen über die Welt, wodurch er ihr vielleicht nicht ganz gerecht wird. Der "Professor" kann seine Defizite zwar erkennen, sie aber nicht überwinden, ein "Professor" kann nie mehr zu einem "Cowboy" werden, er könnte höchstens einen heiraten - oder nein, er kann ihn nicht einmal heiraten, sondern nur darüber nachdenken, einen ausgedachten Cowboy zu heiraten.

Schöne Grüße,
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Do 26. Nov 2009, 10:15

Hallo Wolf und Maria,

vorab: Maria - ich finde es klasse, dass Du auch kurze Gedanken hier anbringen magst! Und ich kann es total verstehen, dass es für mehr nicht reicht! Ich hatte in meinem Leben ja auch Phasen (Du hast sehr nah auch eine dieser Phasen bei mir mitbekommen), wo einfach - so sehr ich es auch wollte - kein Platz im Kopf war! Ich kenne das! Also: Nur dann wenn Dir danach ist und auch in dem Umfang wie es Dir gerade behagt und es Dir zur Ablenkung förderlich ist (Ablenkung ist auch oft MEIN Mittel)! Ich freue mich über Deine Teilnahme! Und schließe mich Wolf (der es mal wieder so treffend ausgedrückt hat!): Einzelbeobachtungen sind manchmal intensiver/hilfreicher als ein Gesamteindruck. Das gibt interessante Aspekte! So z. B. schon den ersten:

JMaria hat geschrieben:"....würde mich ein Cowboy davon abbringen können, so viel zu denken." (S. 18)

und wie die Autorin zuvor ihre Gedanken hin und her dreht, bis sie zu diesem Satz kommt.

Doch was sagt mir diese Aussage über die Professorin?


Auch hier hat es Wolf schon so passend erklärt - ich empfand es ganz genauso: Sie wünscht sich ihre ständigen Gedanken abzuschalten. Einfach mal nur zu leben - so wie es ein Cowboy (in ihrer Vorstellung zumindest und auch in dem Allgemeinbild das wir alle von einem Cowboy haben dürften) tut. Denn das viele Denken kann einen auch vom tatsächlichen Leben fernhalten und sogar gänzlich entfernen. Ich selber denke definitiv auch zu viel! Konnte mir das schon ein Stückweit abgewöhnen, aber immer noch: viel zu viel! Und in meinem Leben gab es auch eine Zeit, wo ich von dem vielen Denken weg wollte, hin zum einfach drauflos leben. Einfach sein. Einfach fühlen. Nicht denken - oder nur über die elementaren Dinge. Nicht über die theoretischen. Und einfache Arbeit verrichten. Einfach am leben sein. Körperlicher als es ein Professor tut. Wobei hier der Professor ebenso ein Bild für einen Typus sein könnte. Cowboy = einfach leben. Professor = mehr durch die Gedanken leben.

Da ich diesen Wunsch nach Flucht vor der "Verkopfung" kenne, fand ich es umso schöner und erstaunlicher, wie es jemanden (Lydia Davis) gelingt, diesen Wunsch so abstrakt in Worte zu fassen. Eben durch eine Professorin, die davon träumt einen Cowboy zu heiraten, aber eben nicht weil sie solch einen Mann toll findet, sondern weil sie sich nach einem einfacheren Leben sehnt, in dem sie endlich mal aufhören kann ständig zu denken.

Und der von Dir herausgestellte Satz zeigt auch, dass die Professorin selbst schon erkennt, dass auch ein Cowboy sie nicht abhalten könnte. Oder nur sehr bedingt. Das bloße heiraten eines Cowboys macht ja auch IHR (!) keinen anderen Menschen. Sie müsste sich schon was von einem Cowboy abgucken! Das ginge ja sogar ohne heiraten. Dann könnte sie daran arbeiten, weniger zu denken. Mal bewusst abzuschalten. Und einen Kontrast zu leben, z. B. indem sie sich in der Natur aufhält und körperliche, einfache Dinge arbeitet.

Noch absurder wird das Ganze natürlich, wie Wolf so schön sagte, dadurch, dass es hier wiederum um einen ERDACHTEN Cowboy geht! Das ist ja genau ihr Problem: sie denkt zuviel. Und selbst den Cowboy erdenkt sie sich. Schöne Beobachtung!

Und weil ich es so treffend formuliert finde, hier noch ein Zitat von Wolf. Denn genau so habe ich es beim lesen auch empfunden, sicher weil ich selbst schon öfters über das Thema "zu viel denken - zu wenig wirklich leben" nachgedacht habe:

Wolf hat geschrieben:Durch ständiges Reflektieren werden Dinge und Gefühle relativiert und in Frage gestellt, wodurch sie an Bedeutung und Wert verlieren können.


Ganz genau! Danke für die tolle Formulierung!

Wolf hat geschrieben:Ein "Professor" kann die Dinge nicht so nehmen wie sie sind, er ist eben kein "Cowboy".


Ebenfalls: Vollste Zustimmung! Es wird was erlebt und man zerdenkt es! Es verändert sich. Die ursprünglichen Emotionen werden relativiert. Und überhaupt: Man kann als zu viel denkender Mensch Momente gar nicht mehr bewusst genießen und empfinden. Ich will für mich selbst auf jeden Fall immer versuchen da ein bisschen gegenzusteuern! Denn ich merke das, was Lydia Davis hier beschreibt, selbst oft! Und finde es auch störend und bedauerlich!

Sehr interessant fand ich auch Deine Idee zur Titelgebung, Wolf! Richtig... da bin ich gar nicht drauf gekommen! Aber Du hast Recht: Im Original wird sicher sie selbst mit "Der Professor" gemeint sein. Schade, dass man das nicht gründlicher hinterfragen kann. Denn wäre ja interessant, wie Lydia Davis den Titel gemeint hat. Und ob er dann vielleicht nicht so ganz richtig übersetzt ist.

Wolf hat geschrieben:Witzig fand ich die Stelle gegen Ende, wo die Ich-Erzählerin schreibt, daß sie sich inzwischen so an die Gesellschaft ihres Mannes gewöhnt habe, daß sie ihn wohl mitnehmen würde, wenn sie tatsächlich mal einen Cowboy heiraten sollte. :-)


Ja, zumal es der Erzählung auch einen schönen Abschluss gibt. Einen Abschluss der besagt, dass sie zwar von diesem Leben (Cowboy) träumt, aber dass es nicht mehr so absolut ist. Es ist keine tief empfundene Verzweiflung, sondern ein gelegentliches Bedauern. So ganz aufgeben würde sie ihre Lebensweise (eben viel auf geistiger Ebene) nicht mehr wollen. So wacht man - mit der Professorin gemeinsam - aus diesen Träumen auf und findet sich in ihrer Realität wieder, die nicht so schlimm ist. :)

Ich merke jetzt schon, wie sehr mir der Austausch zu Lydia Davis mit Euch gefällt! Denn alleine verarbeitet man (ich zumindest) die Geschichten sonst doch flüchtiger.

Und da wir alle im Moment viel um die Ohren haben, sei noch mal gesagt: Wenn mal jemand von uns grad nicht dazu kommt, dann ist es ja nicht schlimm. Dann läuft die Diskussion mal etwas zeitversetzt. Wenn also mal eine Antwort zu einer Erzählung etwas länger auf sich warten lässt, dann wissen wir alle woran es liegt! :-)
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon JMaria » Fr 27. Nov 2009, 11:38

Hallo Wolf, hallo Petra,

Wolf hat geschrieben: Durch ständiges Reflektieren werden Dinge und Gefühle relativiert und in Frage gestellt, wodurch sie an Bedeutung und Wert verlieren können.


eine starker Satz !
und durchaus wahr in manchen Situationen.

Es ist ihr Traum von einem anderen Leben, jedoch nur in ihrem Traum erfüllt sie ihre Sehnsucht.

Liebe Grüße
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Sa 28. Nov 2009, 13:52

Hallo zusammen,

ich habe mir bereits die nächste Erzählung vorgenommen: "Zedernbäume". Und da ist dann wieder eine der Erzählungen, wegen den ich nachgefragt habe, ob Interesse an einer Leserunde besteht. Denn damit lässt sie mich dann wieder ratlos zurück.

Umso gespannter bin ich, was Ihr zu dieser Erzählung sagt. Wie Ihr sie versteht, was Ihr ihr entnehmt.

Das einzige, was ich - aus dem Schluss - entnehme (aber nur flüchtig), ist dass Männer ihre Frauen oft lieben obwohl sie hart und kalt zu ihnen sind. Und je mehr sie sie darben lassen, umso mehr nehmen sie hin... Hauptsache die Frauen sind wieder bei ihnen, für sie da...

Aber selbst diese "Erkenntnis" (wenn die überhaupt standhält wenn Ihr erzählt was Ihr aus der Geschichte herauslest) ist mir ziemlich zweifelhaft. Denn was will mir das wiederum sagen? Es entstand also ein flüchtiges Gefühl beim lesen eben dieser oben geschilderten "Erkenntnis".

Ich bin gespannt, was Ihr herausgelesen habt. Beeilt Euch nicht, ich komme wohl erst wieder am Dienstag dazu hier reinzuschauen.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon JMaria » Di 1. Dez 2009, 12:15

Hallo Petra, hallo Wolf,

[Zedernbäume]
ich habe der Geschichte entnommen, dass das Gleichgewicht der Schöpfung/Natur/Menschheit (?) aus den Fugen gerät, wenn es das weibliche Element darin nicht (mehr) gibt.

Wir erfahren, dass es häufiger Streit gab, es war ein Jahr der Stürme. Noch nie hatte es so einen Aufruhr im Dorf gegeben. Die Spatzen konnten nicht abheben (seltsame Ausdrucksweise, findet ihr nicht?)...

Nacht um Nacht tranken wir bis zur Bewusstlosigkeit und wiegten uns gegenseitig in den Schlaf.

zeigt mir, dass es keinen Trost gab.

Der Baum ist auch ein Symbol für Fruchtbarkeit; die Zeder im besondern ist ein sehr edler Baum.

Auf der anderen Seite fiel mir auch der Schöpfungsbericht in der Bibel ein; der Baum des Lebens (zu dem der Mensch keinen Zugang mehr hatte, nach dem Vertreiben aus dem Garten Eden) und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (das Essen dieser Frucht verursachte die Vertreibung aus dem Paradies).

zumindest für diese Männer in der Geschichte ging es verhältnismäßig gut aus; ihre Frauen bekamen sie wieder.

Doch irritiert mich die Beschreibung ihrer bösen Lippen und harten Augen...

Liebe Grüße,
Maria
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Wolf » Di 1. Dez 2009, 20:50

Hallo Petra und Maria,

die Erzählung Zedernbäume finde ich auch ziemlich seltsam, und ich weiß nicht so recht damit etwas anzufangen. Geschrieben ist sie offenbar aus Sicht der (Ehe-)Männer, eine Erzählung aus einer Wir-Perspektive ist ja eher etwas seltenes. Die Männer wurde von ihren Frauen verlassen, die sich in Zedernbäume verwandelt haben, worauf sich in der Folge das Leben der Männer verschlechtert, bis sie schließlich am Ende wieder mit ihren zurückkehrenden Frauen vereint werden.

Warum eigentlich ausgerechnet eine Zeder? Dazu hat Maria dankenswerterweise schon einiges herausgefunden und hier geschrieben:

JMaria hat geschrieben:Der Baum ist auch ein Symbol für Fruchtbarkeit; die Zeder im besondern ist ein sehr edler Baum.

Auf der anderen Seite fiel mir auch der Schöpfungsbericht in der Bibel ein; der Baum des Lebens (zu dem der Mensch keinen Zugang mehr hatte, nach dem Vertreiben aus dem Garten Eden) und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (das Essen dieser Frucht verursachte die Vertreibung aus dem Paradies).


Auffällig ist die eher negative Beschreibung der Frauen am Ende der Geschichte:

JMaria hat geschrieben:Doch irritiert mich die Beschreibung ihrer bösen Lippen und harten Augen...

Dazu kommen dann auch noch ihre "schrillen Stimmen", das ganze ist ja aus der Perspektive der Männer geschrieben, es klingt so, als seien die Frauen den Männern ziemlich auf die Nerven gegangen. Trotzdem freuen sich die Männer über die Rückkehr der Frauen. Auch wenn das Zusammenleben nicht immer voller Harmonie war, gibt es dazu anscheinend keine Alternative, denn während der Trennung entwickelte sich das Leben immer mehr zum Schlechteren hin.

Die Frauen (Zedern) litten unter der Trennung offenbar gar nicht, sie kamen damit eigentlich ganz gut zurecht. Interessant ist, daß den Männern offenbar die Möglichkeit einer Verwandlung nicht zur Verfügung stand; sie verhielten sich außerdem ziemlich passiv. Der Entschluß zur Trennung und zur Rückkehr ging allein von den Frauen aus. Sie waren es, die gehandelt haben. Die Männer mußten dann damit zurechtkommen, sie konnten selbst ihr Leben und ihre Situation nicht ändern.

Schöne Grüße,
Wolf
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Re: Lydia Davis: Fast keine Erinnerung. Stories

Beitragvon Petra » Fr 4. Dez 2009, 12:29

Hallo Maria und Wolf,

ich fand ausgesprochen interessant, was Ihr zu der Erzählung schreibt! Wertvolle Gedanken, die sich bei mir von selbst nicht eingestellt haben!

Und ich finde, Maria Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen: Natur aus dem Gleichgewicht, nachdem die Weiblichkeit daraus verschwunden ist. Und dass es keinen Trost mehr gab (Frauen können sicherlich trostspendend wirken. Das könnte man ihnen sicher eher zuschreiben als Männern). Das hätte ich glatt so für mich stehen lassen können...

... wenn - was Ihr beide ansprecht - am Ende nicht die harten Lippen wären. Und die schrillen Stimmen. Überhaupt das negative weibliche Bild.

Somit kann ich mir keinen endgültigen Reim darauf machen. Ihr auch nicht, wie ich sehe. Denn auch Ihr hakt an dieser seltsam negativen Schilderung der Frauen.

Dennoch: Ich fand Eure Gedanken sehr bereichernd und die Richtung scheint mir auch richtig! Mir haben Eure Gedanken somit schon sehr geholfen, wenn ich die Geschichte auch nicht endgültig verstehe.

Auf den Gedanken warum gerade Bäume und warum dann ganz speziell Zedern, wäre ich ohne Euch auch nicht gekommen! Auch der Gedanke sehr wertvoll (Symbol der Fruchtbarkeit). Ich danke Euch!

Ich fand den aufgegriffenen Gedanken - warum gerade Zedern - so interessant, dass ich mich auch mal ein bisschen auf die Suche begeben habe und folgendes gefunden habe: Biblische Pflanzen (Palme, Zeder und Granatapfel). Demnach wird die Zeder im Alten Testament als Symbol der Schönheit, der Jugend und Macht beschrieben. Und das passt ja hier wieder: Die Frauen haben in der Erzählung ja eine große Macht auf die Männer. Auf jeden Fall ein interessanter Gedanke.
Liebe Grüße,
Petra


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