Leserunde: George Eliot - Middlemarch

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Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon Hermy » Fr 27. Aug 2010, 19:59

Hallo zusammen,
hallo JMaria,

hiermit eröffne ich den Thread zur Leserunde, die morgen am 28.08.2010 offiziell startet.

Maria, ich freue mich, dass wir beide den Roman lesen und diskutieren und bin gespannt, ob noch weitere Leser_innen dazu stossen. Ich hoffe, es wird viel über dieses Buch zu schreiben geben. Wie sieht und zeichnet George Eliot das Leben in einer Stadt der Provinz zur Zeit der Frühindustrialisierung? Wie erwacht eine Gesellschaft zur Moderne?

Hier einige Links
- zur Autorin : http://de.wikipedia.org/wiki/George_Eliot
- zum Roman : http://de.wikipedia.org/wiki/Middlemarch_(Roman)

Der ungekürzte englische Originaltext findet sich beim Projekt Gutenberg
http://www.gutenberg.org/etext/145
Man kann sich den Roman auch gratis vorlesen lassen dank LibriVox
http://librivox.org/middlemarch-by-george-eliot/

Drei Verfilmungen soll es bisher von Middlemarch geben
- ein TV-Feuilleton der BBC in 7 Folgen aus dem Jahr 1968 unter der Regie von Joan Craft;
- eine TV-Mini-Serie der BBC aus dem Jahr 1994 unter der Regie von Anthony Page;
- eine demnächst erscheinende Verfilmung (2010), bei der Sam Mendes Regie führt.

Die Meinung von A.S.Byatt zu Middlemarch
http://www.guardian.co.uk/books/2007/au ... on.asbyatt

Einige Background-Informationen
http://www.victorianweb.org/authors/eli ... rchov.html

Viel Spass beim Lesen und beim Stöbern im Internet.
Beste Grüsse
Hermy


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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon JMaria » Fr 27. Aug 2010, 21:04

Hallo Hermy,

pefetto !
Danke für die informativen Links! Du versorgst mich ja sehr gut :D

Vor Jahren las ich eine Biographie über George Eliot von Elsemarie Maletzke. Sie schreibt über G. E.:


Wer sich George Eliot heute nähert, begegnet einer schwierigen und widersprüchlichen Frau, die mehr als eine Doppelrolle spielt. Freiheit, Macht und Erfolg waren nicht weiblich. Ihr Wunsch, in der männlichen Geistes-Welt anerkannt zu werden, führte sie in den haltlosen Zustand zwischen den Geschlechtern. Schon bevor sie sich George nannte, schrieb sie von einem ausdrücklich männlichen Standpunkt... S. 14 (Insel-TB it 1973)



Virginia Woolf hat ein Essay über George Eliot geschrieben, veröffentlicht im Common Reader . Überhaupt haben Virginia Woolf und George Eliot einiges gemeinsam, beide Schriftstellerinnen fieberten, wenn ein Buch zur Veröffentlichung kam. Deren Lebenspartner (George Henry Lewes // Leonard Woolf) haben beide versucht negative Kritik zu lange wie möglich von den Autorinnen fern zuhalten. Beide Männer haben sich dem Werk ihrer Frauen gewidmet und haben auch selbst veröffentlicht.

Ich werde mir das Essay von Virginia Woolf über G. E. nochmals zuführen bevor ich mit "Middlemarch" beginne. Ich kenne es zwar bereits, aber schon wieder viel vergessen.

Ich lese übrigens die Reclam Ausgabe von "Middlemarch", übersetzt von Rainer Zerbst.

Liebe Grüße
Maria
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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon Hermy » Fr 27. Aug 2010, 23:58

Hallo Maria,

da hast Du mir einiges voraus. Über George Eliot habe ich noch keine Biographie gelesen, nur was man so in Schulzeiten über sie erfährt und dem Oxford Companion to English Literature sei Dank :oops: Daher folge ich sehr interessiert Deinen Ausführungen zu ihrem Leben.
Allerdings lese ich jetzt erst einmal Middlemarch, später wende ich mich sicher wieder Biographien zu, warum dann nicht auch einer über George Eliot.

Den Roman lese ich im englischen Original als PDF-Datei am Bildschirm :) und ich habe kein schweres Buch in den Händen zu halten.

Bis bald.
Beste Grüsse
Hermy


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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon JMaria » Sa 28. Aug 2010, 10:37

Hallo Hermy,

ich habe auch schon wieder viel vergessen, doch es bleiben gewisse Eindrücke zurück, wenn eine Biographie gut geschrieben ist, die von Elsemarie Maletzke gehört sicher dazu.

Herausgesucht habe ich dir Virginia Woolfs Essay:

http://digital.library.upenn.edu/women/ ... Eliot.html

und wenn man ihren Einführungssatz liest, dann braucht man sich im Grunde keine großen Gedanken darüber zu machen, wer George Eliot war, denn.....

Wer George Eliot aufmerksam liest, begreift, wie wenig er von ihr weiß.

Zur Zeit Virginia Woolfs war die Autorin und ihr Werk in England am verblassen; eine Neubewertung ihrer Werke kam erst wieder in den 40iger Jahren des 20. Jahrhundert zustande.

Ich habe das Essay noch nicht ganz gelesen, war ich gestern abend doch sehr neugierig auf den Beginn von "Middlemarch" und habe das "Vorspiel" gelesen.

Schon das Wort "Vorspiel" lässt mich eher an ein Drama denken. Auch der Untertitel des Buches ist aufschlußreich: Eine Studie über das Leben in der Provinz.

eine Studie stelle ich mir etwas kürzer vor, als es Middlemarch ist, mit seinen knapp 1200 Seiten. Doch zeigt es bereits an, worauf es George Eliot wohl ankam, nämlich über das Zusammenleben und den Abläufen zwischenmenschlichen Beziehungen in einer ländlichen Gegend in einer Zeit des Umbruchs. Der Roman spielt, wie ich gelesen habe, in den 1830iger Jahren und es ist vielleicht auch gut zu wissen, das gleich zu Beginn 1830 Georg IV starb und sein Bruder Wilhelm III auf den Thron folgte....

Die Geschichte des Vereinigten Königreiches von Großbritannien ....

http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte ... und_Irland

"Vorspiel":
Seltsam, dass Theresa von Avila hier genannt wird. *grübel*
Weil sie ihr "Heldentum" nur in einer abgeschlossenen Gesellschaft, Konvent, ausleben konnte und es den Frauen in der Gesellschaft sonst nicht möglich oder nur schwer möglich gewesen wäre, sich zu verwirklichen?

Eine Andeutung, dass es Miss Brooke nicht gelingen wird, auch nicht in einer Provinz?

Grüße von
Maria
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Prelude; Buch I.

Beitragvon Hermy » Sa 28. Aug 2010, 11:20

Hallo Maria,
danke für den Artikel von Virginia Wolff zu George Eliot, werde ich mir gleich ausdrucken und später lesen.

Auch ich habe gestern Abend noch das Prelude und das 1. Kapitel von Buch I gelesen. Im Prelude schneidet GE gleich wichtige Themen an. Ich könnte mir denken, dass es die zentralen des Romans werden. Und der Leser wird mit dem auktorialen Erzähler konfrontiert, der alles weiss und dementsprechend dem Leser erzählt, sondern ihm auch die Protagonisten mit ihrem Charakter, ihrer Moral offenlegt. Dass ihm der Leser ja nicht auf eigene Gedanken komme! ;)

Als Hauptthema enthüllt sich mir im Prelude, was aus jugendlichem Idealismus und Ehrgeiz wird, wenn der junge Erwachsene von der Gesellschaft in Schranken gewiesen wird. Die Figur der Teresa von Avila gibt imho nicht nur eine Illustration des zentralen Themas ab, sondern zeigt auch auf die Religiosität des viktorianischen Zeitalters hin.

Im 1. Kapitel des 1. Buchs werden 2 verwaiste Schwestern im Teenyalter vorgestellt, Dorothea und Celia Brooke, die bei ihrem Onkel aufwachsen. Einige Sätze haben mich sehr hellhörig werden lassen; will GE den Leser mit der Genderfrage konfrontieren und auf die Lebensbedingungen der Frauen eingehen?
„ Women were expected to have weak opinions; but the great safeguard of society and of domestic life was, that opinions were not acted on.”
Sicher und glücklicherweise zeigt der 2. Teil des Satzes gleich auch den Humor von GE. Ich mag diesen Schreibstil.

Dorothea Brooke: sieht sich als ein uneigennütziges junges Mädchen, erscheint dabei weltfremd, Gedanken und Taten harmonieren nicht immer. Eben, nicht Fisch, nicht Fleisch. Gefühlsvoll schon, aber mit einem kleinen Hang zur Überheblichkeit. War wirklich Teresa von Avila ihr Vorbild?

Celia Brooke: entspricht die gängige Meinung über ein junges Mädchen, interessiert sich für schöne Kleidung, Schmuck. Ihre Schwester versucht diese Themen auszuklammern. Trotzdem verbindet die beiden ein tiefes Gefühl füreinander.

Heute komme ich kaum zum Lesen, da ich auf ein Bücherfest gehe.

Schönes Wochenende.
Beste Grüsse
Hermy


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Re: Prelude; Buch I.

Beitragvon JMaria » Sa 28. Aug 2010, 11:33

Hallo Hermy,

Hermy hat geschrieben: Auch ich habe gestern Abend noch das Prelude und das 1. Kapitel von Buch I gelesen. Im Prelude schneidet GE gleich wichtige Themen an. Ich könnte mir denken, dass es die zentralen des Romans werden. Und der Leser wird mit dem auktorialen Erzähler konfrontiert, der alles weiss und dementsprechend dem Leser erzählt, sondern ihm auch die Protagonisten mit ihrem Charakter, ihrer Moral offenlegt. Dass ihm der Leser ja nicht auf eigene Gedanken komme! ;)



DAS sind Dinge, die ich nicht registriere, deswegen bin ich froh, dass du mir das vorgibst. Ja, einen auktorialen Erzähler, der den Leser genau führt, so stell ich mir GEs Stil vor :-)


Die Figur der Teresa von Avila gibt imho nicht nur eine Illustration des zentralen Themas ab, sondern zeigt auch auf die Religiosität des viktorianischen Zeitalters hin.



Religiosität - ein Punkt, den man sicher nicht außer acht lassen darf.

später mehr, wenn ich das 1. Kapitel zum 1. Buch gelesen habe.


Heute komme ich kaum zum Lesen, da ich auf ein Bücherfest gehe.



da bin ich aber froh :lol:
so kann ich aufholen, jongliere ich doch derzeit mit 2 Leserunden, was ich bisher auch noch nie gemacht habe, wenn ich auch gewohnt bin, parallel zu lesen.

Bücherfest, das klingt ja toll. Hoffentlich nicht draußen? Bei uns hier im Südosten Deutschlands regnet es. Bäh.

Viel Spaß wünscht dir
Maria
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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon steffi » Sa 28. Aug 2010, 14:45

Hallo ihr zwei !

Ich habe vor einiger Zeit schon Middlemarch gelesen und mir hat es sehr gut gefallen, deshalb verfolge ich eure Leserunde gespannt. Viel Spaß wünsche ich euch !
Gruss von Steffi

:lesen:
Wolfgang Reinhard - Die Unterwerfung der Welt ( Langzeitprojekt)
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Buch I bis 5. Kapitel

Beitragvon JMaria » So 29. Aug 2010, 16:23

Hallo Hermy,

@Steffi,
ich glaube, der Roman ist eine Bereicherung und diese Lücke in der englischen Literatur wollte ich ja schon lange schließen.


Im 1. Kapitel des 1. Buchs werden 2 verwaiste Schwestern im Teenyalter vorgestellt, Dorothea und Celia Brooke, die bei ihrem Onkel aufwachsen. Einige Sätze haben mich sehr hellhörig werden lassen; will GE den Leser mit der Genderfrage konfrontieren und auf die Lebensbedingungen der Frauen eingehen?
„ Women were expected to have weak opinions; but the great safeguard of society and of domestic life was, that opinions were not acted on.”
Sicher und glücklicherweise zeigt der 2. Teil des Satzes gleich auch den Humor von GE. Ich mag diesen Schreibstil.



ich wurde auch hellhörig. Im Grunde gibt GE bereits im 1. Kapitel subtil den Weg vor; der Leser erfährt, dass Dorothea Brooke sich einen älteren Mann wünscht, der sie führt, wie ein Vater, ein Mann der ihr hebräisch beibringen könnte, was für sie ein vollkommenes Leben bedeuten würde.

Sie hat Ideale, wenn man an ihr Bauprojekt denkt, modern, zeitgemäß, ist aber vollkommen naiv. Ihr fehlt eindeutig die weibliche Hand in der Erziehung, die ihr mehr auf die praktische Seite des Lebens hinweist. Die Vernunft fehlt ihr und leider bekommt sie ihre Gefühle nicht in den Griff, sie neigt zu schwarzweiß denken. Celia ist ihr Cherub und Dorn in derselben Sekunde. So sehr schwankt sie. Doch muß man ihr junges Alter sehen, wie alt ist sie zu Beginn der Geschichte? 18 Jahre?

Es stecken soviele Hinweise in den ersten 5 Kapitel, dass ich kaum weiß wo beginnen. Dodo, wie ihre Schwester Celia sie nennt, will nicht sehen, dass Casaubons in einer Zeit stecken blieb, die nichts vom Umbruch der Zeit zeigt. Ihr Onkel weist sie darauf hin, dass in einer Ehe alles anders ist, da ist der Mann nun mal der Herr, auch unter guten Voraussetzungen.

Zum Text:
manchmal empfinde ich die Übersetzung etwas seltsam, z.B. im 3. Kapitel:

Es schien Mr. Casaubon nicht einmal bewußt zu sein, daß es Trivialitäten überhaupt gibt, und niemals reichte er das Geschwätz schwerfälliger Männer herum, das ebenso unangenehmbar ist wie altbackener Hochezitskuchen, der nach Schrank riecht.

Ich vermute, im englischen ist das ein gängiger Spruch, dass etwas nach Schrank riecht, vielleicht gibt es im deutschen kein adäquater Spruch. Mir fällt so spontan nichts ein.

ebenfalls im 3. Kapitel ist dieser Satz, den ich nicht verstehe:

..." Ich glaube, anstelle von Lazarus am Tor sollten sie die Schweinestaälle von Häusern außen am Parktor aufstellen.


Zur Geschichte:
zwischen den Zeilen bemerkt man, dass doch ein gewisser Umbruch herrschte. Die Emanzipation der Katholiken ist im Gespräch der Landbevölkerung; Mr Brooke ist wohl für eine Strafrechtreform wenn es um die Todesstrafe für Schafsdiebstahl geht; Gedanken um den Wachstum der Pflanzen um den bestmöglichen Ertrag zu erlangen usw..

Zeitgeschichtlich gibt Middlemarch doch sehr gut dosierten Einblick.

Hermy,
den Humor von GE mag ich auch, z.B. die Gedanken von Sir James, der um die Hand von Dorothea anhalten möchte und ihr ruhig eine Überlegenheit zugesteht, bleibt sie dennoch NUR eine Frau ....

Sir James hatte dieses Urteil nicht selber erfunden; doch eine gütige Vorsehung versorgt auch die schlappste Persönlichkeit mit ein wenig Stoff und Kleister in Form von Tradition. (2. Kapitel)

Die litarischen Einleitungen vor jedem Kapitel gefallen mir sehr, besonders den von Cervantes .... "Siehst du den feinen Herren, der sich uns auf einem Apfelschimmel nähert und einen goldenen Helm trägt? .... "Was ich sehe" , antwortete Sancho, "ist nichts anderes als ein Mann auf einem grauen Esel wie mein eigener....[/i]

:mrgreen:


Viele Grüße
Maria
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Re: Buch I bis 5. Kapitel

Beitragvon Hermy » So 29. Aug 2010, 23:24

Hallo Maria,

mittlerweile bin ich bei Kapitel 9 angelangt, aber werde erst in den nächsten Tagen weiterlesen, um auch darüber schreiben zu können.
JMaria hat geschrieben:Zum Text:
manchmal empfinde ich die Übersetzung etwas seltsam, z.B. im 3. Kapitel:

Es schien Mr. Casaubon nicht einmal bewußt zu sein, daß es Trivialitäten überhaupt gibt, und niemals reichte er das Geschwätz schwerfälliger Männer herum, das ebenso unangenehmbar ist wie altbackener Hochzeitskuchen, der nach Schrank riecht.

Ich vermute, im englischen ist das ein gängiger Spruch, dass etwas nach Schrank riecht, vielleicht gibt es im deutschen kein adäquater Spruch. Mir fällt so spontan nichts ein.

Im Englischen Original geht der Satz:
„Mr. Casaubon seemed even unconscious that trivialities existed, and never handed round that small-talk of heavy men which is as acceptable as stale bride-cake brought forth with an odor of cupboard.”

Für mich beinhaltet dieser Satz keinen gängigen Spruch sondern ein mir durchaus geläufiges Bild/Geruch, wenn auch aus alter Zeit. In England, wie auch in Frankreich, Italien, Spanien (Deutschland ?), wurde der Hochzeitskuchen mit einem Brautpaar aus Zuckerfäden verziert. Diese kleine Skulptur wurde – oft zusammen mit der obersten Schicht des Hochzeitskuchens - unter einer Glasglocke im Schlafzimmer aufbewahrt und zeitlebens von der (ehemaligen) Braut gehütet. Wenn man Jahre später die Glocke liftete, strömte dem Verwegenen ein ganz spezifischer Geruch entgegen :? Der kam mir spontan beim Lesen des Satzes in den Sinn, und ich dachte, der sei auch gemeint.

[Diese aus Zucker gezogenen Hochzeitspaare spielen eine wichtige Bedeutung in einem australischen Erstlingsroman, den ich vor wenigen Monaten begeisternd las, „After the Fire, A Still Small Voice“ von Evie Wyld.]

JMaria hat geschrieben:ebenfalls im 3. Kapitel ist dieser Satz, den ich nicht verstehe:

..." Ich glaube, anstelle von Lazarus am Tor sollten sie die Schweineställe von Häusern außen am Parktor aufstellen.

Im Originaltext heisst es:
„I think instead of Lazarus at the gate, we should put the pigsty cottages outside the park-gate.”
Hier spricht Dorothea zu Sir James über ihre Pläne moderner Bauernhäuser. Ganz geläufig bemüht sie die Religiöse eine Metapher aus der Bibel, der Aussässige bleibt vor der Tür des Reichen. So sollten im modernen Bauerndorf die unreinen Schweineställe auch nicht mehr nah an der Behausung der Menschen gebaut werden sondern vor dem Tor.

So habe ich diese Sätze verstanden. Jede weitere Erläuterung ist willkommen.

So viel jetzt, demnächst mehr.
Beste Grüsse
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Re: Buch I bis 5. Kapitel

Beitragvon JMaria » Mo 30. Aug 2010, 09:01

Hallo Hermy,


Hermy hat geschrieben:

Für mich beinhaltet dieser Satz keinen gängigen Spruch sondern ein mir durchaus geläufiges Bild/Geruch, wenn auch aus alter Zeit. In England, wie auch in Frankreich, Italien, Spanien (Deutschland ?), wurde der Hochzeitskuchen mit einem Brautpaar aus Zuckerfäden verziert. Diese kleine Skulptur wurde – oft zusammen mit der obersten Schicht des Hochzeitskuchens - unter einer Glasglocke im Schlafzimmer aufbewahrt und zeitlebens von der (ehemaligen) Braut gehütet. Wenn man Jahre später die Glocke liftete, strömte dem Verwegenen ein ganz spezifischer Geruch entgegen :? Der kam mir spontan beim Lesen des Satzes in den Sinn, und ich dachte, der sei auch gemeint.

[Diese aus Zucker gezogenen Hochzeitspaare spielen eine wichtige Bedeutung in einem australischen Erstlingsroman, den ich vor wenigen Monaten begeisternd las, „After the Fire, A Still Small Voice“ von Evie Wyld.]



Danke für die Info. Darauf wäre ich nicht gekommen. Ich kann mir vorstellen, dass das ganz schön riecht. Uih.



Hier spricht Dorothea zu Sir James über ihre Pläne moderner Bauernhäuser. Ganz geläufig bemüht sie die Religiöse eine Metapher aus der Bibel, der Aussässige bleibt vor der Tür des Reichen. So sollten im modernen Bauerndorf die unreinen Schweineställe auch nicht mehr nah an der Behausung der Menschen gebaut werden sondern vor dem Tor.

So habe ich diese Sätze verstanden. Jede weitere Erläuterung ist willkommen.



das ist es!
Ich dachte an den verstorbenen Freund von Jesus, der ebenfalls Lazarus hieß, und konnte dies nicht in Zusammenhang bringen, aber dieses Gleichnis mit dem Reichen und Lazarus, das passt. Danke dir ! :-)


Das 6. Kapitel war super. Soviel Humor in einem Kapitel, hätte ich nicht erwartet. Die Pfarrersfrau Mrs. Cadwallader ist ja ein Original.

Sir James:
"Was für ein Recht hat so ein alter Junggeselle wie er zu heiraten? ... Er steht mit einem Fuß im Grab".

Mrs. Cadwallader:
"Ich nehme an, er wird ihn wieder herausziehen."

ich habe einige Passagen meinem Mann vorgelesen und mich köstlich amüsiert :lol:

Grüße von
Maria
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