Leserunde: George Eliot - Middlemarch

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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon Hermy » Do 23. Sep 2010, 23:42

Hallo Maria,

ich bin mittlerweile inmitten des 5. Buches angelangt, Casaubon ist verstorben, sein Testament bekannt, Dorothea hat sich vom Schock befreit und beginnt sich in ihrem Witwenleben einzurichten. Wie? so weit bin ich noch nicht gekommen.

Doch eine Frage narrt mich trotz allem Wissen um die viktorianische Epoche: George Eliot erzählt mit viel Vertrautheit von ihren Protagonisten, über deren Hoffnungen, Enttäuschungen, Wahn oder Reue. Sie breitet das ganze Seelenleben des Romanpersonals, die Qualen ihres Ehelebens vor ihrem Leser aus… Bloß niemals wird die Sinnlichkeit zwischen den Ehepartnern berührt. Da herrscht Eiseskälte. Ich will ja gar keine kleine Porno-Szene lesen, wie sie heute zu Hauf in den Romanen der Gegenwartsliteratur zu finden ist… verflixt, Dorothea, will sie oder will sie nicht Kinder mit Casaubon?

Irgendwie fehlt mir da schon eine Tageszeit. Oder habe ich doch etwas überlesen? Eine Ehe ist nicht allein durchgeistigt. Mutterschaft oder Vaterschaft kommt nie zur Sprache, außer in einem Nebenabsatz, wenn vom Ehevertrag zwischen Dorothea und Casaubon die Rede ist. Da wird der Vermögensanteil Dorotheas im Falle der Geburt eines Kindes erhöht.

Da ich mich bereits bis nach dem Begräbnis Casaubons durchgelesen habe, frage ich mich, ob dessen Ehe überhaupt vollzogen wurde? Dieser alte Geistliche scheint die geringste Regung an Sinnlichkeit zu ignorieren.

Wenn ich so an die Biographie von George Eliot denke, hatte diese Frau ein recht freies Liebesleben. Ist an diesem großen Manko im Roman allein das viktorianische Zeitalter schuld? oder verstand George Eliot einfach keine Liebesszene zu schreiben?

Ich las diesen Sommer wieder einmal einige Seiten von und über George Sand. Eine Zeitgenossin. Trotz des gemeinsamen Vornamens verstand George Sand die Sinnlichkeit in ihren Romanen darzustellen. Sie war aber auch Französin oder Franco-Schweizerin.

Hier fehlt mir eindeutig etwas in Middlemarch.
Beste Grüsse
Hermy


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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon JMaria » So 26. Sep 2010, 15:48

Hallo Hermy

Hermy hat geschrieben: Doch eine Frage narrt mich trotz allem Wissen um die viktorianische Epoche: George Eliot erzählt mit viel Vertrautheit von ihren Protagonisten, über deren Hoffnungen, Enttäuschungen, Wahn oder Reue. Sie breitet das ganze Seelenleben des Romanpersonals, die Qualen ihres Ehelebens vor ihrem Leser aus… Bloß niemals wird die Sinnlichkeit zwischen den Ehepartnern berührt. Da herrscht Eiseskälte. Ich will ja gar keine kleine Porno-Szene lesen, wie sie heute zu Hauf in den Romanen der Gegenwartsliteratur zu finden ist… verflixt, Dorothea, will sie oder will sie nicht Kinder mit Casaubon?



die Kinderfrage habe ich mir ebenfalls gestellt, auch fiel mir auf, dass keine Vertrautheit beschrieben wird zwischen Dorothea und Casaubon, Sinnlichkeit sowieso nicht. Obwohl ich die Sinnlichkeit nicht vermisse, wenn ich es mir durchdenke. Ich weiß nicht woran das liegt. Wahrscheinlich weil der "Organismus" Middlemarch eine Faszination auf mich ausübt. Die Verwebung der Personen miteinander, wie sie durch diverse Beweggründe sich ändern, nichts ist dem Zufall überlassen.


Vielleicht konnte George Eliot tatsächlich der Sinnlichkeit in ihren Büchern nicht zum Ausdruck bringen (?)

oder ihr war es nicht wichtig genug.

Interessant fand ich in ihrer Biographie, dass sie selbst für kurze Zeit eine Art Dorothea für einen 62jährigen Mann war. Dr. Brabant, verheiratet, Vater einer Freundin von George Eliot. Als die Freundin heiratete, macht Dr. Brabant ihr den Vorschlag als eine 2. Tochter bei ihnen zu leben. In seiner Bibliothek las sie ihm stundenlang vor. Auch arbeitete er an einem epochalen Werk, lt. George Eliot "noch nicht weit gediehen, eher eine umfangreich Stoffsammlung", die zuordnen es galt. Er nannte sie "Deutera" (ähnelt "Dorothea").
Nach vier Wochen reist sie ab, obwohl sie länger bleiben wollte. Es gab natürlich Probleme mit Frau und Schwägerin, die im Hause Brabant lebten.

Allerdings endet hier die Ähnlichkeit Eliot mit Dorothea, denn sie schaffte es Gelehrsamkeit und häusliches Glück zu finden.


Da ich mich bereits bis nach dem Begräbnis Casaubons durchgelesen habe, frage ich mich, ob dessen Ehe überhaupt vollzogen wurde? Dieser alte Geistliche scheint die geringste Regung an Sinnlichkeit zu ignorieren.



die Frage ist berechtigt. Im Grunde möchte man sich das Verhältnis nicht vertieft vorstellen, oder? Mir gehts so.

Es könnte aber auch sein, dass mich dieser auktoriale Narrator schon fest in der Hand hat und mich durch die Geschichte führt, ohne dass ich über Sinnlichkeit mehr wissen möchte.


Liebe Grüße
Maria
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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon JMaria » Fr 1. Okt 2010, 13:57

Hallo Hermy,

ein unheimlicher Titel für ein Kapitel "Die tote Hand" und es ist zwar nicht schaurig, was Casaubon veranlasst, diesen Zusatz in seinem Testament zu nehmen, doch weitgreifend für die Zukunft über seinen Tod hinaus !

Durch Mißverständnisse, hervorgerufen durch den Altersunterschied, konnte keine Vertrauensbasis zwischen den Eheleuten aufgebaut werden.

Dorothea versucht nun ihr Leben als Witwe einzurichten. Wenigstens hat sie nun die Möglichkeit mit ihrem Geld Gutes zu tun, den Drang hat sie nach wie vor.

Ein sehr schöner Satz von Dorothea:
...wie verschieden doch die Lehren für die Christenheit sind, und immer, wenn ich eine finde, die mehr Segen als andere bringt, halte ich an ihr als der wahrsten fest - ich meine, an der, die am meisten Gutes aller Art umfaßt und die meisten Leute daran teilhaben läßt. es ist sicherlich besser, zuviel zu verzeihen als zuviel zu verdammen...


eine Krise bahnt sich auch im Haus der Arztes an. Rosamond versteht in ihrem Egoismus ihren Mann überhaupt nicht.

Weißt du, Tertius, ich wünsche mir oft, du wärst kein Arzt"...

Nein, Rosy, sag das nicht.... Das wäre, als würdest du sagen, du wünschtest, du hättest einen anderen Mann geheiratet."


interessant ihre Antwort. Sie umgeht seine Antwort oder will sie nicht in der Art hören und antwortet, dass schon seine Familie der Ansicht ist, dass er mit seiner Berufswahl unter seinem Stand gesunken ist. Vergißt aber, dass dieser Mann auch mit der Wahl seiner Ehefrau unter seinen Stand geheiratet hat. Was ihn auch nicht schert. Ich sehe große Komplikationen.

Ich komme zum 6. Buch "Die Witwe und die Ehefrau", alles deutet auf Dorothea und Rosamond.


Hier fehlt mir eindeutig etwas in Middlemarch.



ich hoffe, dieses Fehlen an Emotionen verleidet dir nicht zu sehr das Lesen.


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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon JMaria » So 3. Okt 2010, 18:08

Hallo Hermy,

wie weit bist du?

Ich habe das 56. Kapitel beendet. Fred ist nun bei Mr Garth angestellt. Ein sympathischer Mann, dieser Caleb Garth.

Interessant fand ich die Ausführungen über die Eisenbahn. Die Streckenführung durch Middlemarch führt zu Sorgen bei den Bauern und bei der eher unwissenden Bevölkerung.

Mir gefällt es gut, wie Eliot George mit den verschiedenen Personen und Erzählsträngen jongliert.


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Re: Leserunde: George Eliot - Middlemarch

Beitragvon JMaria » Sa 16. Okt 2010, 09:42

Hallo Hermy,

ich lese noch in Middlemarch, habe allerdings gestoppt, da ich nichts von dir 'gehört' habe. Oder bist du nun bereits durch?

Grüße von
Maria
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