Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

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Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Do 14. Apr 2011, 23:25

Hallo zusammen,

morgen startet unsere Leserunde, weshalb ich sie nun hier eröffne. Ich freue mich sehr auf einen regen Austausch mit Euch, Maria und Steffi.

Zunächst einmal möchte ich auf die Ausgabe eingehen, die ich habe. Es wäre schön, wenn Ihr das auch macht. Zumindest Du, Maria, hast eine andere, nicht wahr?

Das Buch umfasst 704 Seiten. Der Roman selbst darin 668 Seiten. Enthalten sind dahinter ein Glossar, Biographische Daten, Abbildungen, Nachwort, Infos zu dieser Ausgabe, Bildnachweis.

Interessant wäre ein Abgleich der Seitenzahl, besonders aber der Kapitelzahl, da ja mindestens ein Kapitel fast komplett in den ursprünglichen Ausgaben fehlen soll. Ich gehe zwar davon aus, dass wir gleich viele Kapitel vorliegen haben, aber um Missverständnisse auszuschließen, wäre ich an einem Vergleich interessiert. Meine Ausgabe enthält 73 Kapitel.

Da ich mir ungern etwas vorwegnehmen lasse, wäre ich Euch sehr dankbar, wenn Ihr Euren Postings immer voran stellt, über welche Kapitel Ihr Euch gerade austauschen oder mitteilen wollt. Ich werde das auch immer machen.

Soviel erst mal zum allgemeinen. Vielleicht gleich (oder morgen) noch etwas ausführlicher zu einigen Details der mir vorliegenden Ausgabe.

Einen guten Start in die Leserunde, in Vorfreude auf den Austausch mit Euch!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Do 14. Apr 2011, 23:46

Hallo zusammen,

hier ein paar Infos zu dem Buch, der wunderbaren Neuausgabe des Aufbau Verlags entnommen, da ich denke, dass sie für alle interessant sind, die hier mitlesen (bzw. besonders auch für Dich, Maria), und selbst eine andere Ausgabe haben:

Erst einmal eine Pressestimme, die auf dem Schutzumschlag abgedruckt ist, und auf das Buch einstimmt: „Der Erfolg von >Jeder stirbt für sich allein< zeigt, dass das Schwarzweißbild der Hitlerjahre endlich einer nuancierten Wahrnehmung weicht.“ F. A. Z.

Die Idee zu dem Roman kam Hans Fallada ja durch eine wahre Begebenheit. Vorbild für sein Ehepaar Quangel waren ja die Eheleute Elise und Otto Hampel. Sehr schön finde ich, dass hinten bei den Abbildungen Fotos von den beiden enthalten sind, ebenso Karten, die das Ehepaar ausgelegt hatte, und die von der Gestapo mit dem jeweiligen Fundort gekennzeichnet waren. Auch eine Abbildung mit einem Auszug aus der Prozessakte ist zu sehen.

An Abbildungen ist zudem eine Typoskriptseite (die 1. Seite des 1. Kapitels) enthalten, und eine Abbildung aus dem Satztyposkript aus dem ersten Teil, Ende des 17. Kapitels. Das 17. Kapitel ist das Kapitel, das in der ursprünglich erschienenen Fassung fast komplett weggefallen sein soll. Auf dieses Kapitel kommen wir bestimmt innerhalb unseres Austauschs noch genauer zu sprechen.

Briefe von Hans Fallada an den Verlagsleiter Kurt Wilhelm (und ein Brief des Verlagsleiters an Fallada) sind auch abgebildet. Ebenso ein Foto des Brandenburger Tors, mit einer Autokolonne mit dem japanischen Außenminister Matsuoka (26.03.1941). Dieses Foto wird sicher mit dem Roman in irgendeiner Verbindung stehen.

Die Abbildungen geben, wie auch das Glossar, spannende Einblicke und lassen das Geschehen von damals in Deutschland näher rücken. Und die Hintergründe zu der Geschichte, die Hans Fallada mit dem Roman erzählt. In den Buch-Innendeckeln ist übrigens auch eine Karte von Berlin in der damaligen Zeit abgedruckt, in der für den Roman wichtige Punkte gekennzeichnet sind. Sehr schön gemacht.

Ich denke, dass ich hier eine Ausnahme mache, und das Nachwort zu Anfang lese. Denn es scheinen viele wichtige Hintergründe enthalten zu sein zu Hans Fallada, dem Buch, und dieser Neuausgabe. Ebenso die Infos zu der Ausgabe werde ich zuvor lesen. Und auch die biografischen Daten zum Autor.

Damit werde ich mich erneut melden, bevor ich mit dem eigentlichen Roman loslege.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Fr 15. Apr 2011, 00:55

Hallo zusammen,

das Nachwort von Almut Giesecke ist sehr interessant und aufschlussreich. Es geht auf die Neuausgabe ein, bzw. das Wunder, dass ein Autor 60 Jahre nach seinem Tod neu entdeckt wird. Zudem im Ausland. Die Wiederentdeckung begann wohl mit der Faszination eines Verlegers des französischen Verlags Denoël. Dann folgte wohl Begeisterung bei Penguin, und schließlich folgte eine Kampagne des amerikanischen Verlags Melville House (was für ein schöner Verlagsname). Seither erreicht Fallada mit diesem Roman Leser von New York bis Amsterdam, von London bis Tel Aviv. So steht es im Nachwort. In groben Zügen war uns das ja schon bekannt. Trotzdem beeindruckend, es noch mal zu lesen.

Wie gut, dass der Aufbau Verlag durch diesen Erfolg veranlasst sah, eine Neuausgabe, mit der unzensierten Fassung herauszubringen.

Der derzeitige Erfolg des Romans lässt sich wohl übrigens laut Nachwort auch durch das weltweite Interesse an der Metropole Berlin begründen. In den übersetzten Ausgaben ist Berlin übrigens auch titelgebend. Interessant, wie ich finde, denn ich hätte nicht gewusst, dass der Titel in den Übersetzungen „Alone in Berlin“ heißt. Schön, dass das Nachwort darüber Aufschluss gibt!

Im Nachwort wird auch über die Entstehung des Romane ausführlich berichtet. Fallada wurde gefragt, ob er einen Roman schreiben wollte, der sich an den authentischen Fall anlehnt, bzw. ihn aufgreift. Fallada zögerte zunächst, da er sich selbst als Mitläufer in der NS-Zeit sah. Er habe sich auch nicht gegen das Regime erhoben. Doch man machte ihm klar, dass es bei den Hampels nicht um Menschen geht, die aus politischem Engagement Widerstand geleistet haben. Und eben das ist ja die faszinierende Grundidee an „Jeder stirbt für sich allein“, wie ich finde. Schön, dass Fallada das anscheinend dann auch so gesehen hatte, und den Roman geschrieben hat. Zunächst jedoch hat er ein Essay über das Thema verfasst, nachdem er die Akten der Hampels eingesehen hatte. Auch interessant.

Fallada tat sich dann aber wohl mit der Niederschrift des Romans doch sehr schwer. Das Thema behagte ihm nicht. Als er es dann endlich anging, schrieb er 866 Typoskriptseiten in nur 4 Wochen herunter. Erstaunlich! Und so wenig ihm zunächst das Thema behagte, so zufrieden war er selbst dann jedoch mit dem Roman, und befand: „Endlich wieder ein richtiger Fallada!“

Interessant sind im Nachwort auch Hinweise darauf, wo die Prozessakten der Hampels einzusehen sind, und dass es ein Buch darüber gibt, welche Details unverfälscht wiedergeben, was die Hampels getan haben, und dem, was Fallada hinzugedichtet hat.

Das Nachwort vermittelt den Eindruck, dass Fallada gut daran getan hat, Dinge hinzuzudichten. Es wäre sicher sonst doch sehr trocken geworden. So aber ist wohl ein Bild der kleinen Leute und deren Alltag in der NS-Zeit entstanden. Ich bin sehr gespannt darauf!

Die Bearbeitung des Romans durch den Lektor Paul Wiegler beinhaltet wohl insbesondere Frau Quangels Verehrung für den Führer und ihrem Posten in der Frauenschaft. Dies sind wohl insbesondere die Punkte, die aus Falladas Manuskript herausgestrichen wurden. Besonders im 17. Kapitel, wenn ich es recht verstehe, ist von dem 17. Kapitel so wenig übrig geblieben, dass man es dem ursprünglich 18. Kapitel zugeschlagen hat. Maria, Deine Ausgabe dürfte somit nur 72 Kapitel haben? Ist das richtig?

Fallada sollte zu den zunächst nur kritisierten Punkten Stellung beziehen. Durch seinen Gesundheitszustand (und Klinikaufenthalte) kam es jedoch nicht mehr dazu. Und die Streichungen wurden vorgenommen. Aus Falladas Vision eines Romans über eben nicht typische Widerständler, sondern ursprüngliche Mitläufer, wurde somit ein Roman, der doch wieder nur aufzeigt, dass es auch gute Menschen gab, die sich Hitler widersetzt haben. Das entspricht aber nicht den Hampels, und nicht den Quangels, und somit nicht dem, was Fallada erzählen wollte. Die Gründe für die Streichungen werden wohl in der gewünschten Entnazifizierung der Zeit, zu der Fallada den Roman schrieb, gesehen. Die Quangels passten da nicht rein, mit ihrer ursprünglichen Regimetreue. Falladas Roman wurde auch wegen anderer Punkte (Ungenauigkeiten) kritisiert, und wohl auch zum Teil überarbeitet. In der mir vorliegenden Neuausgabe sind fast alle Korrekturen und Änderungen zurückgenommen, und somit der Originaltext wiederhergestellt worden. Von kleinen logischen Fehlern, Satzzeichen und ausgelassenen Wörtern abgesehen. Ich denke, wir werden einiges zu entdecken haben. Das Nachwort hat mir ein wenig Aufschluss darüber gegeben, an welchen Stellen man diese Stellen suchen kann. Man sagt, der Roman sei dadurch rauer geworden, aber auch authentischer.

Zu Fallads Klinikaufenthalten möchte ich noch erwähnen, dass ich mich zur Zeit ja hörend mit seinem Roman „Der Trinker“ befasse. In dem Zusammenhang waren in Falladas biografischen Daten, die in dieser Ausgabe enthalten sind, ein paar kleine Punkte, die mir aufzeigten, welche Ereignisse aus seinem eigenen Leben er in „Der Trinker“ wohl auch verarbeitet hat. Nebenbei auch sehr interessant.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Fr 15. Apr 2011, 00:57

Hallo zusammen,

sehr sympathisch führt Hans Fallada mit seinem kleinen Vorwort in den Roman ein, und entschuldigt sich auf so liebenswerte Weise dafür, dass in dem Roman soviel gestorben wird, aber dass das in der Zeit damals leider so war, zumal bei den Menschen, die Widerstand verübt haben. Maria, ist das Vorwort bei Dir auch enthalten? Ich vermute schon? Denn Hans Fallada gibt da ja auch bereits Auskunft darüber, dass der Roman auf einem wahren Fall beruht, die Quangels aber ausschließlich Figuren sind, die ihm vor seinem geistigen Auge standen und er sich absichtlich nicht über das Privatleben der Hampels informiert hat. Schön finde ich dabei, dass er selbst jedoch an die innere Wahrheit des Erzählten glaubt, und das den Leser wissen lässt. Ich schätze solche Informationen bei Büchern, die sich auf wahre Begebenheiten stützen. Ich möchte ganz gern in etwa wissen, wo die Fantasie und wo die Tatsachen überwiegen. Die Gelegenheit gibt er mir mit kurzen Worten damit.

Ich gehe jetzt ins Bett und werde das erste Kapitel beginnen. Weit komme ich aber sicher nicht, dazu bin ich jetzt zu müde. ;-)
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Fr 15. Apr 2011, 01:26

Hallo zusammen,

Kapitel 1 - erste Seite:

Bereits im ersten Kapitel auf der ersten Seite stoßen wir auf eine vorgenommene Änderung, wie ich aus dem Nachwort weiß und wie ich wunderbar in der Abbildung im Anhang der 1. Typoskriptseite erkennen kann. Die Postbotin Eva Kluge ist Parteimitglied. Diese Information wurde wohl herausgestrichen. Es steht im Originaltext: „Persicke ist Amtswalter oder Politischer Leiter oder sonst was in der Partei - obwohl Eva Kluge, seit sie bei der Post arbeitet, auch Parteimitglied ist, bringt sie alle diese Ämter doch immer durcheinander.“

So hat man bereits auf der ersten Seite einer Figur eine weißere Weste verpasst, als angedacht. Dabei finde ich, gerade dass sie über die verschiedenen Ämter nicht so genau bescheid weiß, zeigt auch auf, dass sie etwas unbedarft ist und wahrscheinlich nicht aus großem Engagement Parteimitglied geworden ist, sondern aus einer Notwendigkeit heraus, oder weil sie ihre Lage damit verbessert hat. Etwas später steht auch, dass sie gar nicht politisch interessiert ist. So ging es sicher vielen Menschen. Schade und unnötig, dieses kleine aber aufschlussreiche Detail über Menschen wie Eva Kluge herauszustreichen, nicht wahr?!

Das Eva Kluge entweder völlig unbedarft oder aus Notwendigkeit der Partei beigetreten ist, zeigt auch ihr Ausspruch, dass sie zwar unpolitisch sei, aber als Frau finde, dass man keine Kinder in die Welt setzt, damit sie totgeschlagen würden. Und das
sie ihre Söhne und ihren Mann derzeit entbehren muss, und selbst die Klappe zu halten habe, unterstreicht diesen Widerspruch noch. Ohne die Info dass Eva Kluge Parteimitlied ist, entfällt viel von dem tieferen Sinn dieser ersten Seite. Findet Ihr auch?
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon steffi » Fr 15. Apr 2011, 12:07

Hallo Petra,

eine fulminante Eröffnung unserer Leserunde, vielen Dank !

Ich lese dieselbe Ausgabe wie du, nämlich auch die neue Ausgabe des Aufbau-Verlages. Ich hatte ja schon als ich das Buch kaufte das Nachwort gelesen und das habe ich heute ebenfalls nochmal getan. Es gibt, wie du sehr schön zusammengefassst hast, einen gute Einblick in den Roman und dessen Entstehnungsgeschichte.

Kapitel 1

Natürlich habe ich auch gleich noch das 1. Kapitel gelesen. Sehr raffiniert, wie Fallada das anlegt. Zuerst die etwas unbeholfene, naive Postbotin und die Familie, die sich über die Kapitulation Frankreichs freut. Wir befinden uns also im Juni 1940. In diesem Sommer war Hitler auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Während unten ein, von Fallada ziemlich ironisiertes, dabei aber durchaus fröhliches Fest stattfindet, schlägt oben bei den stillen und wohl angepassten Quandts das Schicksal zu. Neben dem Schmerz, den man als Leser fast körperlich spüren kann, tritt die Hilflosigkeit und das Verstummen. Schon jetzt hat Fallada mit sehr leichter Hand den Grundstein für den Fortgang der Geschichte gelegt und sehr schön die Atmosphäre eingefangen.
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon steffi » Fr 15. Apr 2011, 12:14

Hier noch ein interessanter link zum Zweiten Weltkrieg, es gibt auch Zeitzeugenberichte usw.

:arrow: http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/index.html
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Fr 15. Apr 2011, 12:35

Hallo zusammen,

schön, dass Dir meine Eröffnung gefällt! Ich habe etwas weiter ausgeholt, als ich es sonst tun würde. Aber da wir unterschiedliche Ausgaben lesen (Du und ich die Neuausgabe, Maria eine alte Ausgabe), und es da gravierende Unterschiede gibt, fand ich das sinnvoll. So weiß Maria (und andere, die die Leserunde vielleicht mal nachverfolgen) welche Infos es im Nachwort zur Neuausgabe gibt, und zur Entstehung des Romans überhaupt, wo darauf im Nachwort schon so schön eingegangen wird. Maria wird aber bestimmt bei Gelegenheit in Dein Buch mal reinlesen, richtig?

1. Kapitel:

Falladas leichte Hand - die mir auch beim reinlesen schon ausgesprochen positiv auffiel (gerade bei dem Thema, das der Autor hier aufgreift) - führt den Leser wirklich auf raffinierte und leichte Weise ins Geschehen ein und vermittelt bereits die Gesinnung der einzelnen Figuren und Familien. Besonders nahe ging mir die kurze Erwähnung der Frau Rosenthal, deren Mann man sang- und klanglos abgeholt hat. Besonders diese beiläufige Erwähnung tut weh. Denn genauso ist es gewiss passiert: beiläufig. Für die einen völlig unwichtig und hinnehmbar. Für die Betroffenen selbst ein ALPTRAUM, den man sich nicht ausmalen kann und will! Was muss die arme verängstigte Frau oben in ihrer Wohnung denken und fühlen?

Die Persickes, die sich über den Triumph über Frankreich (Danke für die genaue Zeitliche Einsortierung des Ereignisses, Steffi - hier in der Leserunde auch schön erwähnt zu wissen) freuen, und sich bei der Frau Rosenthal mal zu Kaffee und Kuchen einladen wollen (so wissend, dass sie in der Jüdin ein wehrloses Opfer haben - was für kranke Menschen, die es aber ja leider nun mal gibt, und in der Zeit auch gab).

Und die Quangels. Du hast recht Steffi. Ihr Schmerz und ihre Sprachlosigkeit kommt so gut herübe! Und optisch hat Fallada Herrn Quangel so beschrieben, wie auch Hampel aussah (wie man von dem Foto weiß). Er wirkt da auf mich auch ein wenig vogelähnlich.

Eine wahrlich gute Einführung in die Geschichte.

Kapitel 2:

Hier geht es direkt weiter. Wir bekommen nähere Einblicke in die Gesinnung der Persickes. Das flößt jetzt schon Furcht ein, auch um die arme Frau Rosenthal!

Die Entlarvung des Fotos durch Baldur (und die damit verbundene Bloßstellung der doch recht dümmlichen Eltern) fand ich gelungen. Und mir fällt auch in diesem Kapitel auf, dass man sofort mitten drin ist, im Geschehen der Zeit damals. Und den verschiedenen Empfindungen der verschiedenen Menschen. Dass Anlass zur allgemeinen Vorsicht geboten ist, wissen sowohl Menschen wie die Persickes (besonders Baldur), als auch Menschen wie die Quangels. Da zeigt sich Frau Quangel als doch recht naiv, dass sie darauf vertraut, dass das Sprichwort noch (oder überhaupt) gilt, dass ein reines Gewissen ein gutes Ruhekissen sei.

Auch die Berliner Atmosphäre kommt durch das Berlinerische in den Dialogen gut herüber. Fallada beschwört die Zeit und das Alltagsleben im Berlin zu der Zeit sehr gekonnt herauf.

Wow - sehe ich jetzt gerade: Was für ein toller Link, Steffi! Danke!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon Petra » Fr 15. Apr 2011, 15:50

Hallo zusammen,

3. Kapitel:

Zu Anfang eine Kleinigkeit. Maria, bei Dir dürfte die Figur, die im ersten Satz des 3. Kapitels erwähnt wird, Borkhausen heißen. Bei Steffi und mir heißt er (Emil) Barkhausen. Im Nachwort wurde erwähnt, dass nicht nachvollziehbar ist, warum dieser Name geringfügig abgeändert wurde. Also nur nicht wundern, wenn wir beharrlich Barkhausen schreiben, anstatt Borkhausen.

Quangel geht durch den Kopf, warum Anna gesagt hat „Dein Führer“, wo sie sich doch beide einig waren, dass es ihm zu verdanken war, das Quangel nach 4 Jahren Arbeitslosigkeit endlich wieder Arbeit bekommen hat. Hierin liegt ein Punkt, den man ja immer wieder hört (ich kenne das erschreckender Weise sogar von einem Familienmitglied!): Den Menschen ging es unter Hitler gut. Er sorgte für Arbeit. Damit hat er so viele Menschen auf seine Seite gezogen. So raffiniert und doch so simpel. Interessant diesen Punkt hier am Beispiel der Quangels wiederzufinden.

Auch die Gründe, warum Anna der Frauenschaft beigetreten war, sind so einfach und erklären sich mit simpler menschlicher Psychologie. Was wir heute gern für so unbegreiflich halten (warum hat man mitgemacht? In welcher Form auch immer – es gibt da so viele Formen), wird nicht hochgepuscht. Sondern es wird klar, dass es alles nur allzu menschlich und nachvollziehbar ist. Im Grunde schreckt das mehr, als die Geschichten über die ganz bösen Menschen, denen der Krieg als Deckmäntelchen für ihre Missetaten diente.

Wobei wir in Barkhausen auch solch einen finden. Aber auch hier eine feinere Nuancierung: Er ist ein kleiner Tunichtgut. Er zieht seinen Vorteil heraus, egal wo er sich ihm bietet. Er ist viel zu simpel gestrickt, als dass er sich selbst hinterfragen wollte und könnte.

Schlimm auch wie Barkhausen, völlig ohne Mitgefühl, die Frau Rosenthal um ihre Habseligkeiten erleichtern will. Als sei ihr Schicksal nicht schon schlimm genug, so macht jemand wie Barkhausen natürlich auch vor ihr nicht Halt. Und schreckt auch nicht davor zurück, ihr durch die Tür zu flüstern, er habe Neuigkeiten von ihrem Mann. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich es las, und rechnete jeden Moment damit, dass Frau Rosenthal die Tür aufmacht. Ich glaube, ich hätte es getan. Aber daran sieht man auch nur wieder ihre übergroße Todesangst, die sie da wohl ausstehen muss, dass ihr nicht mal das Anlass ist, die Tür zu öffnen. (Falls sie nicht tot ist, was ja auch noch in Betracht käme.)

Von Barkhausen und seinen Spitzeleien werden wir sicher noch hören. Wie schrecklich, dass man in solchen Zeiten wirklich niemandem trauen kann. Solche Zeiten bringen das Schlechteste im Menschen hervor. In manchen, wenigen, sicher auch das Beste. Aber wie sehr das Böse überwiegt.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Leserunde: Hans Fallada - Jeder stirbt für sich allein

Beitragvon JMaria » Fr 15. Apr 2011, 17:44

Hallo zusammen,

Petra,
Danke fürs Anlegen des Threads. Ich freu mich auf unsere Leserunde. Ihr habt ja bereits fulminant losgelegt :)

zuerst einmal zu der Ausgabe die ich lese:

Aufbau Verlag, Taschenbuch, 7. Auflage 2009,
Textgrundlage von 1981

somit habe ich die etwas gekürzte und entschärfte Ausgabe, was natürlich schade ist, aber ich habe ja euch in dieser Leserunde und es wird sich mir bestimmt ein vollständiges Bild bieten.

Aufgegliedert ist das Buch wie folgt:

Vorwort des Verfassers

Erster Teil : Die Quangels (Kapitel 1 bis 18)
Zweiter Teil: Die Gestapo (Kapitel 19 - 32)
Dritter Teil: Das Spiel steht gegen die Quangels (Kapitel 33 - 50)
Vierter Teil: Das Ende (Kapitel 51 - 72)

Anhang:
Hans Fallada: Über den doch vorhandenen Widerstand der Deutschen gegen den Hitlerterror.

Gesamtseitenzahl mit Anhang 656 Seiten.

Somit fehlt mir 1 Kapitel (weiß man schon welches? Ich habe noch nicht alles durchgelesen, was ihr geschrieben habt)

Edit:
Petra hat geschrieben:Die Bearbeitung des Romans durch den Lektor Paul Wiegler beinhaltet wohl insbesondere Frau Quangels Verehrung für den Führer und ihrem Posten in der Frauenschaft. Dies sind wohl insbesondere die Punkte, die aus Falladas Manuskript herausgestrichen wurden. Besonders im 17. Kapitel, wenn ich es recht verstehe, ist von dem 17. Kapitel so wenig übrig geblieben, dass man es dem ursprünglich 18. Kapitel zugeschlagen hat. Maria, Deine Ausgabe dürfte somit nur 72 Kapitel haben? Ist das richtig?


da bleibt keine Frage mehr offen. Danke schön, Petra, für den Hinweis. Ich seh schon, die Originalausgabe ist sehr liebevoll gestaltet. Ich beneide euch schon ein bißchen. :-)



Kapitel 3:
@Petra,
ja, bei mir heißt der Mann "Borkhausen".
Was sich der Verlag nur dabei gedacht hat. Seltsam.

Edit:
es gab ein KZ in Porta-Barkhausen. vielleicht spukte das damals dem Verlag im Kopf herum. Kann man natürlich nicht mehr erkunden. Dennoch wollte ich es nicht unerwähnt lassen.



somit ist das Vorwort des Verfassers bei mir vorhanden und mir ist auch sofort der entschuldigende, aber edel und aufrichtige Ton des Autors aufgefallen, das ich auch meinem Mann vorgelesen habe und nicht ohne Wirkung bei ihm blieb, er spürte ebenfalls diese Ehrlichkeit und das Bedauern.

Kapitel 1:
Eva Kluge - der Name ist fast schon Programm könnte man sagen, denn es steckt in ihren Gedanken eine elementare Klugheit.... Sie ist politisch gar nicht interessiert, sie ist einfach eine Frau, und als Frau findet sie, daß man Kinder nicht darum in die welt gesetzt hat, daß sie totgeschossen werden. Auch ein Haushalt ohne Mann ist nichts wert, vorläufig hat sie gar nichts mehr, weder die beiden Jungen noch den Mann, noch den Haushalt. Statt dessen hat sie den Mund zu halten, sehr vorsichtig zu sein ...


Edit:
Petra hat geschrieben:Es steht im Originaltext: „Persicke ist Amtswalter oder Politischer Leiter oder sonst was in der Partei - obwohl Eva Kluge, seit sie bei der Post arbeitet, auch Parteimitglied ist, bringt sie alle diese Ämter doch immer durcheinander.“

So hat man bereits auf der ersten Seite einer Figur eine weißere Weste verpasst, als angedacht. Dabei finde ich, gerade dass sie über die verschiedenen Ämter nicht so genau bescheid weiß, zeigt auch auf, dass sie etwas unbedarft ist und wahrscheinlich nicht aus großem Engagement Parteimitglied geworden ist, sondern aus einer Notwendigkeit heraus, oder weil sie ihre Lage damit verbessert hat. Etwas später steht auch, dass sie gar nicht politisch interessiert ist. So ging es sicher vielen Menschen. Schade und unnötig, dieses kleine aber aufschlussreiche Detail über Menschen wie Eva Kluge herauszustreichen, nicht wahr?!



ja, das ist wirklich sehr aufschlußreich und du hast es richtig interpretiert. Eine weiße Weste für die Postbotin, somit bin ich als Leser bisher "nur" mit den Persicke als Parteimitglied und Borkhausen als Spitzel und Denunziant konfrontiert.

ein paar Dinge sind mir noch aufgefallen:

-"Jeder stirbt für sich allein" beginnt im Juni 1940, da die Kapitulation Frankreichs erwähnt wird.

-Es wird bereits zu diesem Zeitpunkt das KZ Sachsenhausen genannt; mich würde nun interessieren, ob damals schon Fallada bekannt war, was dort wirklich geschah oder hat er es erst nach Kriegsende gewußt, als er den Roman 1946 niederschrieb, und in den Roman eingebaut? Vielleicht war es auch nur als Arbeitslager damals bekannt?

-Bruno Persicke wird zu Baldur Persicke nach dem "Idol" (vermutlich) Baldur von Schirach ( http://de.wikipedia.org/wiki/Baldur_von_Schirach ) (der übrigens der Großvater von Ferdinand von Schirach war. Petra, ich glaube du hast bereits etwas von Ferdinand von Schirach gelesen?)

-Volksgenosse : Parteigenosse
interessant, was sich hinter dem Begriff Volksgenosse verbirgt. Quangel ist ein Volksgenosse jedoch kein Parteigenosse.
http://de.wikipedia.org/wiki/Volksgenosse

Auszug:
Zur Zeit des Nationalsozialismuses:
In Punkt 4 des 25-Punkte-Programms der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) von 1920 war festgelegt: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf die Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein

- Napola = Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Plön
http://www.geschichte-s-h.de/vonabisz/napola.htm

Viele Grüße
Maria
Schöne Grüße, Maria
Aktuell:

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Harro Zimmermann: Günter Grass. Biographie
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Sie schaffen eine Wüste und nennen das Frieden ( Tacitus )
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