Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon steffi » Mo 30. Apr 2012, 09:35

JMaria hat geschrieben:Hallo steffi,

Edit:
der Hakenmann ist wohl eine Sagengestalt eines Flußgottes, das würde zum Unglück das Bruno geschah, passen; (und nebenbei könnte es mMn auch eine gelungene Umschreibung der damaligen führenden Macht sein)


Danke - ich konnte mit auch nicht Rechtes darunter vorstellen, aber ich finde es sehr passend, in beiden Deutungen !

Die Beschreibung der Demenz, als Bruno das Zimmer des Chefs betritt, fand ich sehr ergreifend. Mit wenigen Worten wird einem so richtig klar, was das auch für den Betroffenen bedeutet, die Worte Zellers sind mir unter die Haut gegangen !

Ich bin in etwa so weit wie du - ich bin am Wochenende nicht zum Lesen gekommen.
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon JMaria » Mo 30. Apr 2012, 13:31

steffi hat geschrieben: Die Beschreibung der Demenz, als Bruno das Zimmer des Chefs betritt, fand ich sehr ergreifend. Mit wenigen Worten wird einem so richtig klar, was das auch für den Betroffenen bedeutet, die Worte Zellers sind mir unter die Haut gegangen !


S. L. trifft den Leser mit wenigen Sätzen ins Herz. Wie lange kann Zeller noch für seine Belange und die für Bruno kämpfen? Die Zeit ist theoretisch gegen ihn.

Sehr schöne Beschreibung über die Hochzeit und das Gebinde das Bruno für Ina macht. Man sieht die Feierlichkeiten richtig vor sich.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon steffi » Mi 2. Mai 2012, 08:19

Je weiter ich lese, desto mehr verschwimmen mir die zeitlichen Vorgänge - geht es dir auch so, oder lese ich nur unaufmerksam ? Vielleicht ist das aber auch ein Hinweis, wie alles in Bruno drunter und drüber geht.

Langsam schleicht sich auch immer mehr ein ungutes Gefühl gegen alle Personen ein: Max und Magda, die ich bisher als auf der Seite Brunos empfand, scheinen ebenfalls ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Ich fürchte, dass es nicht gut ausgehen wird für Bruno.
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon JMaria » Mi 2. Mai 2012, 19:05

Hallo Steffi,

das empfinde ich auch so; die Erzählebenen wechseln schneller, die Atmosphäre wirkt bedrohlicher. Man hat das Gefühl jeder belauert jeden.

Ich bin auf S. 394
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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon steffi » Do 3. Mai 2012, 09:39

Ich hab Exerzierplatz heute morgen beendet. Eigentlich wollte ich gar nicht so weit lesen aber die Geschichte hat mich dann so mitgenommen, dass ich einfach fertiglesen musste. Ein sehr trauriges Ende.

Eigentlich ist es doch überwiegend eine Familiengeschichte - angefangen von der Vertreibung, dem Neuanfang, Wirtschaftswunder und dann die persönlichen Verhältnisse, der unbeugsame Chef, Dorothea, die Kinder und die Enkel, dazwischen Bruno, der eine bewundernswerte Einfachheit verkörpert, der Geister und unausgesprochene Gedanken hört, der irgendwie mit der Natur verbunden ist.

Und doch nennt Siegfried Lenz den Roman Exerzierplatz, ich denke darüber nach, was er damit ausdrücken will. Eine Natur, die vom Mensch verändert wird, zuerst gebraucht zur Ausbildung zum Morden dann gebraucht zur Baumschule, wo die Natur wieder dem Mensch untertan ist. Bruno als Gegenstück dazu, der die Natur instinktiv versteht, aber sich dabei nicht in die Gesellschaft integrieren kann. Die endgültige Abwendung des Menschen von der Natur ?

Ein sehr intensives Buch, die Personen stehen mir richtig vor Augen, zwischenzeitlich fühlte ich mich wie in einem Film, den ich mir fast atemlos anschaute. Ich glaube, für mich nach Deutschstunde der beste Roman von Lenz bisher !
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon JMaria » Do 3. Mai 2012, 17:33

steffi hat geschrieben:.

Und doch nennt Siegfried Lenz den Roman Exerzierplatz, ich denke darüber nach, was er damit ausdrücken will. Eine Natur, die vom Mensch verändert wird, zuerst gebraucht zur Ausbildung zum Morden dann gebraucht zur Baumschule, wo die Natur wieder dem Mensch untertan ist. Bruno als Gegenstück dazu, der die Natur instinktiv versteht, aber sich dabei nicht in die Gesellschaft integrieren kann. Die endgültige Abwendung des Menschen von der Natur ?



fertig bin ich noch nicht (noch ca. 50 Seiten). Denke jedoch, in der Uneinigkeit liegt die Wurzel des Problems. Wenn man nicht mit der Natur arbeitet, gibt es Zerstörung oder die Natur rächt sich irgendwann. Zerstörung sogar durch gesetzliche Auflagen von der Regierung, so dass Tausende von Bäumen vernichtet werden müssen. Das ist so unwirklich. Was bleibt dem Menschen, wenn er sich von der Natur abwendet?

Ich bin auf ein trauriges Ende gefasst.
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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon steffi » Fr 4. Mai 2012, 09:56

JMaria hat geschrieben:Was bleibt dem Menschen, wenn er sich von der Natur abwendet?



Es gibt ja auch Hinweise für eine Aufforderung zu mehr Humanismus. Alle, die verständnisvoll zu Bruno waren, scheitern in ihrem Leben: Max, Guntram Glaser, Zeller - aber wirklich glücklich ist am Ende niemand. Somit sind wir wieder bei deiner Frage: Was bleibt, wenn sich der Mensch von der Natur abwendet ?

Ist dir aufgefallen, dass alle Frauen ziemlich berechnend oder zumindest schwach sind ? Ina, Dorothea (die ich mir so sehr am Ende als starke Frau gewünscht hätte, die aber in der Frauenrolle des Wirtschaftwunders stecken bleibt) selbst Magda, bei der mir nicht ganz klar ist, zu welchem Zeitpunkt sie sich Bruno zuwendet, vielleicht erst, nachdem die Sache mit der Schenkung bekannt wird ?
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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon JMaria » Fr 4. Mai 2012, 19:52

steffi hat geschrieben: Eigentlich ist es doch überwiegend eine Familiengeschichte - angefangen von der Vertreibung, dem Neuanfang, Wirtschaftswunder und dann die persönlichen Verhältnisse, der unbeugsame Chef, Dorothea, die Kinder und die Enkel, dazwischen Bruno, der eine bewundernswerte Einfachheit verkörpert, der Geister und unausgesprochene Gedanken hört, der irgendwie mit der Natur verbunden ist.


eine ganz außergewöhnliche Gestalt dieser Bruno. Bruno symbolisiert, in meinen Augen, den Benachteiligten des Lebens, dessen Existenz eigentlich dauernd bedroht ist. Nun der Rückzug aus Rücksicht ! Doch die Familie ist im Grunde schon auseinander gebrochen.



Ist dir aufgefallen, dass alle Frauen ziemlich berechnend oder zumindest schwach sind ? Ina, Dorothea (die ich mir so sehr am Ende als starke Frau gewünscht hätte, die aber in der Frauenrolle des Wirtschaftwunders stecken bleibt) selbst Magda, bei der mir nicht ganz klar ist, zu welchem Zeitpunkt sie sich Bruno zuwendet, vielleicht erst, nachdem die Sache mit der Schenkung bekannt wird ?


fein dass du mich darauf aufmerksam machst. Über die Frauen habe ich mir garnicht soviele Gedanken gemacht.


Ein sehr intensives Buch, die Personen stehen mir richtig vor Augen, zwischenzeitlich fühlte ich mich wie in einem Film, den ich mir fast atemlos anschaute. Ich glaube, für mich nach Deutschstunde der beste Roman von Lenz bisher !



da hast du recht, ich empfinde es ganz genauso, gerade wegen der ungewöhnlichen Erzählperspektive.


Somit sind wir wieder bei deiner Frage: Was bleibt, wenn sich der Mensch von der Natur abwendet ?



oder man stellt sich zusätzlich die Frage "Wem gehört das Land?"
Kannst du dich erinnern, wie Max Bruno danach fragte, wer das Land vorher besaß, immer weiter bohrte, bis Bruno nicht mehr weiterwußte, wem das Land zuvor gehörte?

ich glaube, da liegt auch der Kern der Aussage, was immer Siegfried Lenz ausdrücken wollte ohne zu deutlich zu werden.



Für Exerzierplatz hat er 1987 den Wilhelm-Raabe-Preis erhalten. Eine berechtigte Auszeichnung !


ich bin froh, dass wir das gemeinsam gelesen haben :)
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon steffi » Mo 7. Mai 2012, 08:21

JMaria hat geschrieben:
steffi hat geschrieben:
oder man stellt sich zusätzlich die Frage "Wem gehört das Land?"
Kannst du dich erinnern, wie Max Bruno danach fragte, wer das Land vorher besaß, immer weiter bohrte, bis Bruno nicht mehr weiterwußte, wem das Land zuvor gehörte?

ich glaube, da liegt auch der Kern der Aussage, was immer Siegfried Lenz ausdrücken wollte ohne zu deutlich zu werden.


Jetzt, wo du es wieder erwähnst, fällt es mir auch wieder ein. Für mich war das auch eine Schlüsselstelle !

Ist es vielleicht auch das, was Bruno am meisten gegenüber den anderen Figuren auszeichnet - Rücksichtnahme ? Nicht nur Menschen gegenüber sondern auch der Natur gegenüber. Und vielleicht Dankbarkeit gegenüber dem Leben, vielleicht ist das auch irgendwie dasselbe.

Siegfried Lenz hat hier sehr viele Facetten angesprochen, aber nie belehrend und wie immer sehr sensibel.

JMaria hat geschrieben:ich bin froh, dass wir das gemeinsam gelesen haben :)


Oh ja, wie immer ein reines Vergnügen ! :D
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Re: Leserunde: Siegfried Lenz - Exerzierplatz

Beitragvon JMaria » Di 8. Mai 2012, 10:18

steffi hat geschrieben:Ist es vielleicht auch das, was Bruno am meisten gegenüber den anderen Figuren auszeichnet - Rücksichtnahme ? Nicht nur Menschen gegenüber sondern auch der Natur gegenüber. Und vielleicht Dankbarkeit gegenüber dem Leben, vielleicht ist das auch irgendwie dasselbe.

Siegfried Lenz hat hier sehr viele Facetten angesprochen, aber nie belehrend und wie immer sehr sensibel.



wegen diesem Gesichtspunkt bin ich noch etwas im Netz suchen gegangen. Fritz Raddatz lobt das Buch, doch kritisch sieht er das Thema Kräftespiel zwischen Natur, Kampf, Besitz und Gier und dass aneinander vorbeigleiten, sie sind weder lustvoll noch tödlich ineinander verstrickt.

Zitat:

(...)Er hat seine Genauigkeit, eben jene „malerische" Detailbesessenheit, an die Dinge gewandt statt an die Menschen. (...)


aber ich denke, genau das wollte Siegfried Lenz auch bezwecken, darum wählte er den Titel "Exerzierplatz" , also einen Ort und nicht die "Familie Zeller".

Dass Siegfried Lenz ein Wort-Maler ist, stimme ich 100% zu :-)


http://www.zeit.de/1985/35/der-wort-maler
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