Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon JMaria » Di 19. Mär 2013, 10:13

Hallo steffi,

wenn man bedenkt, daß damals 2 Mio k. und k. Heeresmitglieder in Gefangenschaft waren, zuzüglich noch Deutsche und Türken, kann man sich vorstellen, daß es außergewöhnlich schwierige Umstände waren, auch wenn den Offizieren gewisse Freiheiten oblagen, zumindest in den ersten Jahren der Kriegsgefangenschaft. Es liest sich ja fast schon idyllisch wenn man von Cafes liest, die die Offiziere besuchten. In den Texten der "Sibirischen Klarheit" gibt es viel Raum für Reflexionen.

Im Kapitel 7 wird Elsa Brändström genannt, der "Engel von Sibirien" die sich für die ungarischen Offiziere (in Wirklichkeit waren es 14) unermüdlich einsetzte. Für diese 14 Offiziere konnte sie nichts ausrichten, doch rettete sie weitere Verurteilte, auch ein Freund von Heimito, nämlich Erwin Lang. Jahre später wurde in dem kleinen Park gegenüber Doderers Wohnhaus in der Währingerstraß ein Denkmal für Elsa Brandström errichtet. Versteckt gibt uns der Erzähler Doderer dies auf S. 173 bekannt.

Doch wird das Vergessen gestört und nie gänzlich gewährt. Erst vor wenigen Tagen hat man gerade gegenüber dem Hause, darin diese Berichte jetzt geschrieben werden, in einem öffentlichen Garten das Denkmal der Jeanne d'Arc von Sibirien enthüllt, wie man sie besser nennen würde...

da springt der Erzähler in die Jetzt-Zeit.

hier ein Lebensumriß von Elsa Brändström
http://de.wikipedia.org/wiki/Elsa_Br%C3%A4ndstr%C3%B6m

Irgendwo gab Doderer den medizinischen Begriff preis an der Thamar Halfons starb, meinst du ich würde die Stelle wieder finden? Weißt du noch wo das erwähnt wurde?
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon JMaria » Di 19. Mär 2013, 14:42

Edit:

Ich habe die Stelle gefunden - Sheehan's Syndrom. (S. 150)


http://de.wikipedia.org/wiki/Sheehan-Syndrom


Und noch über einen, wie ich finde, bedeutsamen Satz bin ich gestolpert. Es heißt über Zienhammer...

Die Wälder wiesen ihn ab... (S. 138)

In diesem Zusammenhang fällt auch der Name von Alfons Halfon und wie du bereits erwähntest, mied dieser das Auenwäldchen.
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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon steffi » Mi 20. Mär 2013, 10:06

JMaria hat geschrieben:Edit:

Ich habe die Stelle gefunden - Sheehan's Syndrom. (S. 150)

http://de.wikipedia.org/wiki/Sheehan-Syndrom


Ich hatte es auch zwischenzeitlich entdeckt - ist ja gruselig, was es alles gibt.

Bei Wendelin Schmidt-Dengler habe ich über das Erzähltempo Doderers gelesen. Vor einem wichtigen Ereignis lässt Doderer gerne die Zeit stillstehen ("Erzähltempo Null"), umso mehr liegt der Fokus auf der Handlung danach. Auch variiert er dann mit der Satzlänge und verwendet auch gerne mal eher Triviales, um damit bei der späteren Handlung umso mehr Aufmerksamkeit und Spannung zu erzeugen. Überhaupt finde ich, gibt es im Grenzwald einige solcher Stellen, nur ist mir das bisher nie so direkt aufgefallen.

Danke dir für den link zu Elsa Brandström, ich wollte noch nachschauen, habe es aber dann wieder vergessen. Finde ich auch wieder einen gelungenen Hinweis, dass es reale Menschen gab/gibt, die für die richtige Überzeugung kämpften, gerade im Vergleich auch zu Zienhammer ein sehr starkes Bild !
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon JMaria » Do 21. Mär 2013, 10:23

Hallo Steffi,

wir begegnen im 9. Kapitel doch noch jemanden aus den Dämonen. Achaz von Neudegg! Auf seiner Burg gabs ja diesen "Hexenprozess" ;)

Das ist interessant was du über das Erzähltempo herausgefunden hast. Im Grenzwald fällt einem das besonders auf. Dieses Stillstehen der Zeit praktiziert er gerne auch durch starres hinaus- oder hineinblicken; z. B. in einen Wald hinein oder in einen Gegenstand hinein.

Wälder durchziehen die Kapitel; auffallend daß Ernst von Rottenstein in einen Wald mit Ahornstämmchen blickt. Eine Verniedlichung. Ist er schwächlicher als Zienhammer, der ja eine Mannschaft fürs Abholzen eines Waldes beaufsichtigt. Rottenstein hat weibliche Züge, wie Zienhammer bemerkt als er das Gesicht am Fenster ( Kapitel 6) sieht, kurz vor der Exekution der Ungarn. Der Leser erfährt wie es dazu kam nun aus der Sicht von Rottenstein.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon JMaria » Do 21. Mär 2013, 10:39

steffi hat geschrieben:
Im 8. Kapitel treffen wir ausführlich auf Ernst von Rottenstein, der eine eher normale, beschauliche Jugend in Wien hat, Klassenkamerad von Doderer und Ventruba, mit dem er einiges gemeinsam hat (Doderer schreibt von Parallelen und kann damit seine Doppelungen einfach nicht lassen :mrgreen: ), auch die Villa, in der Ernst wohnt scheint sich in der Villa des Bela Tibor zu spiegeln, 2 Ediths kommen vor. Ernst scheint unbekümmert, denkt nicht über das Leben nach, nimmt alles so, wie es kommt - nur einmal im Boudoir der Mutter, wobei ich es großartig finde, wie Doderer die Zimmer thematisiert, spürt er etwas:
Man könnte sagen (weil er ja eben von der Reiterei gekommen war !), dass in seinem Leben zum ersten Mal "Das Ganze halt !" geblasen wurde. Er begann den umliegenden verfügbaren Raum zu spüren. Und in seltsamer Weise eine eigene Ohnmacht, als trete er durch ein neues Tor. Aber weiter erkennen kann er nichts. Typischerweise ist er dann im sibirischen Lager wie unter einer Glasglocke. Und natürlich erkennt er auch nicht, was Zienhammer da treibt.

Ich komme zum 10. Kapitel.



Die Boudoir-Szene erinnerte mich an etwas aus den Wasserfällen. Wurde da nicht ein Schulkamerad von einer Mutter eines anderen Kameraden in einem Boudoir verführt?
Vielleicht benutzt Doderer die 'Mutter' in beiden Romanen als ein weiteres Motiv.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon steffi » Fr 22. Mär 2013, 10:09

Ich habe nun den Grenzwald beendet und lese die Tagebuchnotizen. Ich finde, gegen Ende merkt man schon, dass es nicht mehr korrigiert wurde, das Kraftvolle fehlt mir. Und natürlich schade, dass es nur ein Fragment blieb, denn ich hätte mir gerade auch mit der Villa und dem Grenzwald noch einges vorstellen können.
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon JMaria » Sa 23. Mär 2013, 20:22

Hallo Steffi,

man wüsste zu gern wie es Ernst von Rottenstein weiter ergeht. Ich seh ihn vor mir als Ahornstämmchen inmitten des Urwalds von Sibirien (S. 203) .

Zumindest kann man erahnen, daß Zienhammers Tat ihn in Wien wieder einholt, vielleicht ist dabei Ernst von Rottenstein als Zeuge geladen.

In den Tagebuchaufzeichnungen erfahren wir, daß er an einige Personen aus den Wasserfällen dachte im Grenzwald aufzunehmen, doch dann neue Personen einführte.

Besonders informativ fand die Tagebucheintragung vom 11. August 1963

Der 'Grenzwald' greift ein Neues. Nun weiß ich's. Er wächst aus einem neuen Leben, das ich bisher nicht führte. Es ist mein eigenes. Wir wollen keine Sekunde Zögern es an uns zu nehmen, ein bisher beiseite gelassenes, ja, nicht entdecktes Eigentum.


Man könnte vermuten, daß Doderer bei sich selbst angekommen ist, in seinem Schaffen und im Leben.

Das schwebt auch in diesem Eintrag mit:

durch den Grenzwald geht, wer entlassen ist, eine ganze Form gehabten Lebens liebevoll umarmt und schon auch im Kerne gesund wird - 17. Juni 1963

Bin noch nicht ganz durch mit den Tagebucheintagungen.

Was hast du noch entdeckt, was dir wichtig erscheint?
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon steffi » So 24. Mär 2013, 11:57

Wenn du die Tagebuchaufzeichnungen und den Kommentar durchhast, weißt du ja, was wir alles verpasst haben. Finde ich sehr schade, denn man ahnt schon, dass da noch ganz großartige Sachen gekommen wären. Trotzdem ist der Anfang in sich so stimmig. Aufgrund Doderers Erzählweise hätte ich gedacht, dass er viele kleinere Szenen erst am Ende zusammenbaut. So hatte er doch die ganze Konstruktion und Szenen im Kopf.

Aus den Tagebucheintragungen hast du schon die zwei Stellen zitiert, die mir auch besonders aufgefallen sind. Sein eigenes Leben, das sind ja seine Bücher in gewissen Sinne auch, mir gefällt der Gedanke sehr.

Das Motiv des Grenzwaldes und auch die Bilder dazu (Ahornbaume, manchmal Birken - vielleicht wie in Sibirien) fand ich sehr treffend umgesetzt, auch wenn mich das Villenthema, das er im Tagebuch andeutet, auch sehr interessiert hätte, vielleicht so etwas ähnliches wie in Ein Mord den jeder begeht.

Bei Lesen des Grenzwaldes gab es für mich viele Wiederholungen von Doderers Themen aus anderen Romanen, ein kleines Mosaikteilchen aus seinem Kosmos aber trotzdem ganz und gar nicht langweilig zu lesen, sondern eher wie das begeisterte Treffen mit Altbekanntem. Ein schönes Gefühl !

JMaria, ich danke dir für eine schöne und inspirierende Leserunde !
Gruss von Steffi

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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon JMaria » So 24. Mär 2013, 17:17

Das Motiv des Grenzwaldes und auch die Bilder dazu (Ahornbaume, manchmal Birken - vielleicht wie in Sibirien) fand ich sehr treffend umgesetzt, auch wenn mich das Villenthema, das er im Tagebuch andeutet, auch sehr interessiert hätte, vielleicht so etwas ähnliches wie in Ein Mord den jeder begeht.


Geht mir ebenso. Und auch wenn Grenzwald ein Fragment blieb, so fügt es sich doch gut in Doderers Kosmos ein.

Danke dir für die bereichernde Leserunde :)
Schöne Grüße, Maria
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Re: Leserunde: Heimito von Doderer - Der Grenzwald

Beitragvon steffi » Mi 27. Mär 2013, 11:46

Hallo JMaria,

ich hab mir noch Gedanken über Zienhammer gemacht, warum er die Ungarn verrät. Denn es ergibt sich nichts, dass er unter Druck oder aus Angst gehandelt hat.

Ich denke, dass er zu den Menschen gehört, die nicht in der Lage sind, sich bewusst für eine Sache zu entscheiden. Er versucht, das für ihn angenehmste, vorteilhafte zu machen. Er denkt nicht an das, was dahintersteht. Stellvertretend auch wpmöglich für die vielen Mitläufer im 2. Weltkrieg. Für mich erinnert das vielleicht auch ein bißchen an Doderer selbst, der ja auch wohl ohne groß darüber nachzudenken in die NSDAP eingetreten ist, später hat er dies ja bereut, vielleicht auch ein Anstoß, dass er sich lebenslang in seinen Romanen mit der Apperzeption beschäftigt hat.
Gruss von Steffi

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