Bernlef: Bis es wieder hell ist

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Bernlef: Bis es wieder hell ist

Beitragvon Petra » Do 8. Okt 2009, 14:23

Bernlef
Bis es wieder hell ist

Bild

Genre: Erzählung
Seitenzahl: 164 Seiten
Verlag: Nagel & Kimche
Preis: 17,90 €
ISBN: 9783312003952
Bewertung: ****
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:

Maarten und seine Frau Vera sind beide um die Siebzig. Ursprünglich aus Holland stammend, leben sie lange schon an der Küste von Boston, ihre Kinder jedoch sind zurück nach Holland gegangen. Der ruhige Lebensabend, den das alternde Ehepaar führt könnte beschaulich sein, würde Maarten nicht immer wunderlicher werden. Langsam kristallisiert sich heraus, dass Maarten unheilbar erkrankt ist, an Alzheimer. Den Verlauf der Krankheit erlebt der Leser aus Maartens Sicht heraus.

Meine Meinung:

In den 80er Jahren, als dieser Roman erstmalig veröffentlicht wurde, war er der erste seiner Art. Denn erstmalig beschrieb ein Autor den Prozess einer Alzheimererkrankung aus der Innenansicht einer Romanfigur heraus. In Holland verkaufte sich das Buch über eine halbe Million mal und wurde in 16 Sprachen übersetzt. In Deutschland erregte sein Buch (damals unter dem Titel „Hirngespinste“) nicht solch eine große Aufmerksamkeit, was sehr schade ist, denn dieses Buch ist wertvoll. Wertvoll für jeden Menschen der mit der Alzheimerkrankheit (oder ähnlichen Demenzerkrankungen) in Berührung kommt. So wundert es nicht, dass das Buch in Holland sogar Schwesternschülerinnen empfohlen wird. Denn dieser Roman kann helfen zu verstehen, was in einem dementen Kranken vor sich geht. Wie er die Welt sieht und versteht. Das ist immens wichtig für den Umgang mit diesen Menschen. Und das ist auch sehr hilfreich um das Unbegreifliche zu verstehen.

Mir persönlich kam beim lesen jedoch der Gedanke, dass dieser Roman vor allem für diejenigen interessant ist, die Angehörige eines Menschen mit dieser Erkrankung sind. Ich selbst habe in der Familie einen Demenz-Fall (eine ähnlich gelagerte Krankheit wie Alzheimer) erlebt. Ich weiß wie hilflos man im Umgang mit solch einem Menschen ist, ganz besonders wenn man ihn liebt. Wie man an die Grenzen des Verstandes stößt. Das Falsche tut oder versucht die Welt des Kranken zu korrigieren. Ein sinnloses Unterfangen. Das einzusehen ist ein Prozess, bei dem man Hilfe gebrauchen kann. Und diese Innenwelt des Maarten hier in diesem Roman ist so geschildert, dass man viele Abläufe versteht. Begreift, wie der Erkrankte seine Umgebung wahrnimmt. Somit fand ich den Roman auch besonders empfehlenswert für Angehörige von Demenz-Kranken. Gefreut hat mich, dass der Autor in seinem Nachwort geschrieben hat, dass genau dieses Anliegen auch seines war. Dass es auch in Fachkreisen als Standartwerk gesehen wird, freue ihn natürlich, aber das war nicht sein eigenes Anliegen gewesen.

Interessant ist übrigens, dass vor dieser Absicht sogar noch ein ganz anderes Anliegen stand: Bernlef war wohl immer schon vom menschlichen Gehirn und seiner Funktionalität fasziniert. Die Figur des Maarten ist somit nahezu eine Zwangsläufigkeit. Wirklich gewollt hat der Autor jedoch – so sagt er von sich – eigentlich eine Liebesgeschichte erzählen. Und das ist ihm – aller Gewichtigkeit die dieser Roman hat – absolut gelungen! Für mich steht die Liebesgeschichte in diesem Buch gleichwertig neben dem Thema Alzheimer. Für beides lohnt es sich den Roman zu lesen. Diese kleinen Szenen zwischen Maarten und Vera sind wundervoll skizziert. Die langsamer tickenden Uhren, die ruhigen Betrachtungen der Schneelandschaft. Das ruhig gewordende Leben des alternden Ehepaars, die Erinnerungen an ein glückliches gemeinsames Leben. Vor allem aber auch die Intensität mit der man mit dem Anderen verbunden ist durch all die gemeinsamen Jahre. Wie wenig Sinn ein Leben ohne den Partner nach all der Zeit in diesem Alter noch macht. Das wird großartig an den Leser herangetragen. Die Trauer über den Verlust der Erinnerungen und dem Verlust der Kenntnis wer die nahestehenden Menschen sind, die damit ausgelösten Gefühle der Einsamkeit sind so eindringlich geschildert, dass es nicht nur Maarten und Vera schmerzt, sondern auch den Leser. Auch wieso Maarten (und mit ihm alle Alzheimer-Patienten) sich so merkwürdig verhält und Situationen so falsch einschätzt, erlebt der Leser hautnah mit. Und versteht dadurch…

Zudem ist diese Geschichte, diese Innenansicht eines an Alzheimer erkrankten und diese innige Ehe, in wunderschöner poetischer Sprache verfasst. Das war ein besonderes, ein anderes Leseerlebnis! Vielen Dank an den Verlag Nagel & Kimche für diese Neuausgabe, damit dieser wichtige Roman nicht in Vergessenheit gerät! (Petra)

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Liebe Grüße,
Petra


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