Homes, A. M.: Und morgen sind wir glücklich

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Homes, A. M.: Und morgen sind wir glücklich

Beitragvon Petra » Di 10. Nov 2009, 11:45

Homes, A. M.
Und morgen sind wir glücklich

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Genre: Erzählung
Seitenzahl: 412 Seiten
Verlag: Heyne
Preis: 8,95 €
ISBN: 9783453405578
Bewertung: ***/****
(* schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Inhalt:

Paul und Elaine leben mit ihren beiden heranwachsenden Söhnen in einer Vorstadt von New York ein kleines, beschauliches Leben. Ihr Haus ist marode geworden und ihre Ehe hat das Verfallsdatum scheinbar auch längst überschritten. Beide verspüren eine große Langeweile und Sinnlosigkeit. Es muss etwas geschehen – es muss anders werden – besser. Doch alles was sie tun, bringt keine Besserung mit sich, sondern die Verzweiflung wird immer größer.

Eines Tages zünden beide in stummem Einverständnis ihr Haus an. Es passiert ganz unspektakulär und fast nebenbei. Ab jetzt soll alles anders und besser werden. Doch das wird es nicht. Durch den Brand gerät ihr Leben endgültig außer Kontrolle…

Meine Meinung:

Das Anzünden des Hauses ist eine Verzweiflungstat, der weitere – kleinere und doch ebenso Unheil verheißende – folgen.

Elaine und Paul handeln konfus. Jede Szene schreit geradezu heraus, dass sie sich selbst verloren haben. Dass sie nicht mehr wissen, wer sie sind, wer sie sein wollen und wie sie dorthin gelangen können. Sie haben sich ganz weit entfernt – voneinander, von sich selbst, von ihren Träumen, von allem. Und so reiht sich eine Verzweiflungstat an die andere, die auf den Leser teils skurril wirken, aber jede für sich die große und zutiefst empfundene Verzweiflung und Sinnlosigkeit ausdrücken, die sie zu diesen Taten treibt.

Die Verzweiflung entspringt der immer stärker werdenden Frustration – emotional und sexuell.

So haben viele der Verzweiflungstaten mit Sex zu tun. Und wenn man Sex aus Verzweiflung hat, dann ist es beinahe zwangsläufig, dass er stellenweise derb ist. Der Leser bekommt mehr als nur eine Ahnung davon.

Aber auch die Nebenfiguren strahlen – jede für sich – Irrsinn (aus der Verzweiflung über das Leben heraus geboren) aus. Der ältere Sohn Daniel, ein ganz seltsamer Bursche. Elaines Mutter – ebenso verzweifelt wie ihre Tochter, obwohl sie füreinander kein Verständnis haben. Eigentlich sollte diese Gemeinsamkeit sie doch verbinden – und doch schreit jeder nur seine eigene Verzweiflung heraus, die ungehört verhallt und dadurch noch mehr anwächst. Keine der Figuren hat mehr Kraft für sich selbst – geschweige denn für andere. Jeder kämpft auf einsamen (gar verlorenem) Posten.

Auch die scheinbar so perfekt Welt von befreundeten Ehepaaren gerät ins wanken. Fassaden, Abgründe die dahinter lauern – all das bekommt man hier mit voller Wucht zu spüren.

Ansätze, wie ein in falscher Richtung verlaufendes Leben zu retten, verlorenes Glück zu kitten wäre, sucht man hier beinahe vergebens. Der Leser findet vielmehr ein Porträt vor, das zeigt, worauf es hinausläuft, wenn man nicht seine Kräfte neu bündelt und für Verbesserungen im eigenen Leben und im Miteinander des Ehe- und Familienlebens kämpft. Die Aussagekraft des Buches liegt nicht darin Wege aufzuzeigen die aus dem Desaster führen, sondern wie sicher man aufs totale Scheitern hinausläuft wenn man den Stier (sein Leben) nicht bei den Hörner packt und für sein Glück einsteht. Daraus wiederum entsteht jedoch (auf subtilem Wege) die klare Aussage, dass weder Passivität noch blinder Aktionismus helfen. Man muss sein Leben (und somit sein Glück) in die Hand nehmen und ständig daran arbeiten. Sonst eröffnen sich keine Wege, die aus der gelebten und empfundenen Alltags-Hölle herausführen.

In der Art wie sich die Figuren am Rande des Wahnsinns entlanghangeln, und dabei normales Leben versuchen vorzugaukeln und zu simulieren (um nicht gänzlich zusammenzubrechen und um nicht aufzufallen in ihrem Unglück), wird die Szenerie ein ums andere mal skurriler. Die Geschichte ist überdeckt von einem fast verzweifelten Humor, von einer unfreiwilligen Komik. Die Episoden regen zu einem inneren sarkastischem Lachen an, von dem man dennoch innerlich deutlich spürt, dass all das Lächerliche eigentlich gar nicht wirklich komisch ist. So surreal die Szenerie auch teils anmutet, so viel Wahres steckt auch darin.

A. M. Homes hat eine ganz eigene, komische Art gefunden die empfundene Leere, Einsamkeit und Verzweiflung von Menschen einzufangen. Man wird beim lesen selbst ein wenig kribbelig und möchte zusammen mit Elaine und Paul vor die Wand rennen. Um irgendetwas zu spüren – außer Leere. Und man erkennt: Man muss viel früher ansetzen. Denn der Alltag kann einen auffressen. Ganz langsam und allmählich, bis nichts mehr da ist. Nur noch Leere und Verzweiflung. Das gilt es zu verhindern. Aktiv und bewusst. Nicht zuletzt deshalb, weil es irgendwann zu spät sein kann. Und man das erst merkt, wenn man das Wichtigste verloren hat – obwohl man längst hätte bemerken müssen, dass es einem entgleitet.

Fazit: Ein wuchtiges Buch. Man fühlt sich stellenweise davon überfahren als hätte einen ein Bus gestreift. Einzigartig und wirklich gut in Szene gesetzt, durchaus mit Tiefgang. (Petra)

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Liebe Grüße,
Petra


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