Winter, Leon de: Das Recht auf Rückkehr

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Winter, Leon de: Das Recht auf Rückkehr

Beitragvon Petra » Do 25. Feb 2010, 12:01

Winter, Leon de
Das Recht auf Rückkehr

Bild

Genre: Erzählung
Seitenzahl: 550 Seiten
Verlag: Diogenes
Preis: 22,90 €
ISBN: 9783257067330
Bewertung: 8 Punkte
(von 10 möglichen Punkten)

Inhalt:

Als Bram Mannheim Tel Aviv verlässt um eine Stelle an der Universität Princeton anzunehmen, ahnt er nicht, dass bald sein ganzes Leben zerstört sein wird: Sein vierjähriger Sohn Bennie verschwindet eines Tages spurlos.

Der verzweifelte Bram versucht alles um seinen Sohn aufzuspüren, doch erfolglos. Erst im Jahr 2024, als er längst wieder in Tel Aviv ist und mit seinem Freund Ikki eine Agentur gegründet hat, die vermisste Kinder aufspürt (um wenigstens anderen Menschen in solch einer Lage helfen zu können, wenn er schon seinen eigenen Sohn nicht retten konnte), eröffnet sich ihm ein Verbindungspunkt zwischen der Weltpolitik und dem Verschwinden seines Sohnes. Doch der Gedanke ist so unfassbar, dass er nur nach und nach die Wahrheit an sich heranlassen kann. Er nimmt die Suche nach seinem Sohn erneut auf um ihn entweder doch noch zu retten oder aber wenigstens Klarheit zu erlangen…

Meine Meinung:

Man muss wissen: Ich bin ein großer Fan dieses Autors. Er hat unvergesslich schöne, intelligente und spannende Bücher (wie „Sokolows Universum“, „Leo Kaplan“ oder „Mailibu“) geschrieben mit unvergesslichen Figuren.

Vor seinem neusten Buch hatte ich etwas Angst; de Winter ist Jude. In seinen Bücher fließt davon immer ein bisschen was ein. Und das hat mir auch immer sehr gut gefallen, da es auf natürliche Weise zu seinen Geschichten gehört, aber nie den Mittelpunkt bildet. In „Die Recht auf Rückkehr“ wird es jedoch zum zentralen Thema. Da Leon de Winter nicht selten öffentlich seine politische (meist sehr radikale) Meinung – besonders zum Thema Israel und Islam – äußert, war ich sehr skeptisch ob das in diesem Roman nicht Überhand und mir somit die Freude daran nehmen wird.

Im Nachhinein kann ich sagen, mir war das Buch letztlich nicht zu politisch. Radikal ist zwar schon was man hier liest. Aber es ist eine Meinung, eine Möglichkeit was passieren kann, wenn man mit seinen Feinden zu nachgiebig ist. de Winter ist so geschickt, seiner Hauptfigur gar keine Vorbehalte in den Mund zu legen. Er lässt den Vater der Hauptfigur und letztendlich eine Zukunftsvision sprechen.

Die Haltung des Autors schimmert durch – das ist klar. Die enthaltene Wertung der einzelnen politischen Standpunkte lässt sich ebenfalls nicht wegleugnen. Aber de Winter lässt Gott/Allah aus dem Spiel. Bram selbst weiß nicht mal ob es einen Gott gibt. Schlussendlich hält er es für möglich – ja, sogar für wahrscheinlich –, dass es eine höhere Ordnung gibt. Aber für Bram eher eine, die sich ergründen, errechnen lässt. Vielleicht mit einer mathematischen Formel. Mir hat gefallen, dass er in dem Punkt neutral bleibt. Es nimmt zusätzlichen – in meinen Augen eh müßig zu diskutierenden - Zündstoff aus dem Thema. Die Feindschaft begründet sich nicht auf Gott/Allah, sondern aus anderen – viel menschlicheren – Aspekten. Im Gegenteil: Gott wird als Grund oft genug missbraucht. Schön, dass de Winter dieses Spiel hier nicht mitmacht.

Das hier geschilderte Szenario stimmt nachdenklich. Denn es nimmt die Hoffnung auf eine friedliche Übereinkunft (die Zeit gibt dieser Vermutung leider recht – denn allzu lange wird ja schon nach einer Lösung, möglichst einer friedlichen, gesucht aber keine gefunden.) und füllt Befürchtungen mit Leben. Jeder Mensch, jeder Leser sollte sich hieraus Gedanken mitnehmen oder besser noch selber weiterdenken. Denn unbestreitbar: Es ist ein aktuelles und ein wichtiges Thema, das de Winter hier beleuchtet. Natürlich von seinem Standpunkt aus. Aber der ist legitim und der ist interessant. Es ist nicht der einzige, aber mindestens einer auf den es zu schauen lohnt.

Mich hat das Buch nachdenklich gestimmt. Nachdenklich über das Thema, nachdenklich darüber was zu tun ist und darüber wie sich Israels Zukunft gestalten wird.

Doch de Winter wäre nicht de Winter, wenn es nicht zudem auch ein überaus unterhaltsames Buch wäre. Auch in diesem Roman zeigt er sein Erzähltalent und sein besonderes Auge und Herz für seine Figuren. Bram reiht sich in die Riege der de Winter’schen Figuren ein, die mir nie ganz aus dem Sinn gehen werden. Man folgt Bram gern durch sein Leben – durch sein Martyrium – auf der Suche nach seinem Sohn und der Frage was mit ihm passiert ist. Und die Figuren, die Brams Wege kreuzen wachsen dem Leser auch ans Herz. Ganz so wie man es von dem Autor gewohnt ist.

Ein Funke meiner Befürchtung, de Winter könnte sich in diesem Roman verzetteln, und seine grandiose Fähigkeit als Erzähler ein wenig einbüßen zu Gunsten des Themas das er hier diesmal nicht nur am Rande behandelt sondern in den Mittelpunkt rückt, hat sich dennoch bewahrheitet. Ein ganz klein wenig hatte ich den Eindruck, dass die Geschichte Brams (und seiner Familie) um das Thema gehüllt ist, anstatt – wie in seinen anderen Romanen – andersherum das Thema in die Geschichte integriert. Seine anderen Romane erzeugten somit ein wenig mehr einen Gesamteindruck als es diesem neuen Buch gelingt. Der Leser muss einige Zeitsprünge hinnehmen damit es nicht zu komplex wird. Anfangs dachte ich, dass mich das leicht stört. Das hat sich relativiert und schlussendlich kann ich sagen, dass de Winter diese Zeitsprünge wirklich gut gesetzt hat. Man muss nicht alles nahtlos miteinander verbinden, das macht es nur langatmig. Besonders nicht, wenn man so gut erzählen kann wie de Winter. Man ist jedes Mal sofort wieder mitten drin in Brams Leben. Egal ob in früheren Abschnitten vor der Entführung seines Sohnes oder aber in den Zeitpunkten danach. (Lediglich einen kleinen Neben-Faden lässt de Winter unaufgelöst. Das stört nicht weiter, zumal sich manches im Leben eben nicht klären lässt. Er hätte aber durchaus die Möglichkeit gehabt, auch dies dem Leser am Ende offenzulegen.)

Noch zwei kleine Schwachstellen, die ich aber nur am Rande bemerken möchte, da sie nicht großartig ins Gewicht fallen. Erstens ist die Auflösung was mit Brams Sohn geschehen sein kann ab einem gewissen Punkt in etwa vorhersehbar. Und zweitens ist de Winter kein großer Meister im Erschaffen von Zukunftsvisionen (manchmal erfindet er technische Neuerungen – ein andernmal werden dort veraltete iPods benutzt). Aber das muss er auch gar nicht sein, denn dieser Blick in die Zukunft dient seinem Thema und zeigt auf, wozu Fanatismus führen kann. Und auch in welche Richtung sich das Land möglicher Weise entwickeln könnte, wenn nichts unternommen wird. Oder eine friedliche Lösung gefunden wird (daran glaubt de Winter aber scheinbar nicht mehr).

Fazit: Meine Befürchtung, dass de Winter diesmal zu politisch wird (ihm brennt das Thema im Herzen, das weiß man als langjähriger begeisterter Leser de Winters) und seine eigentliche Stärke – sein großes Erzähltalent – darunter ein wenig leidet, hat sich zwar nicht ganz zerschlagen. Aber ihm ist immerhin noch ein wirklich sehr guter und lesenswerter Roman gelungen – mit einem brisanten und aktuellen Thema, mit dem man sich auseinander setzen sollte. Somit diesmal keine volle Punktzahl für ihn, aber sehr gute 8 von 10 Punkten. (Petra)

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Liebe Grüße,
Petra


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