Rinke, Moritz: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel

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Rinke, Moritz: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel

Beitragvon Doris » Mi 10. Mär 2010, 13:38

Titel: Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel
Autor: Moritz Rinke
Verlag: Kiepenheuer & Witsch (Febr. 2010)
Seiten: 481
Preis: € 19,95


Autorenporträt:

Moritz Rinke, 1967 in Worpswede geboren, Studium "Drama, Theater, Medien" in Gießen. Seine Reportagen, Geschichten und Essays (als Buch erschienen unter dem Titel "Der Blauwal im Kirschgarten" und "Das große Stolpern") wurden mehrfach ausgezeichnet. Sein Stück "Republik Vineta" wurde 2001 zum besten deutschsprachigen Theaterstück gewählt und 2008 für das Kino verfilmt. Im Sommer 2002 fand in Worms die Uraufführung von "Die Nibelungen" statt, die in den Folgejahren ein großes Publikum begeisterten. "Café Umberto" wurde 2005 von neun Theatern zur Aufführung gebracht. Einige seiner Stücke sind in der "Trilogie der Verlorenen" erschienen. ZDF und ARTE drehten einen Film über den Autor ("Mein Leben - Moritz Rinke", Erstausstrahlung 13.1.2008). Moritz Rinke lebt in Berlin und ist Gastprofessor für Szenisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.

Kurzbeschreibung:
Worpswas? - Worpswede! Moritz Rinke legt ein furioses Romandebüt vor. Stammt das angebissene Stück Butterkuchen im Tiefkühlschrank tatsächlich von Willy Brandt? Kann ein toter Onkel noch ein Kind zeugen? Wurde die schöne Kommunistin Marie von der Gestapo abgeholt oder von der eigenen Familie im Teufelsmoor vergraben? Und wie werden die Seelen der Menschen aufbewahrt?

Ausgerechnet als Paul Wendland in Berlin mit seinem Leben und seinen kuriosen Kunstprojekten in die Zukunft starten will, holt ihn die Vergangenheit ein. In Worpswede drohen das geschichtsträchtige Haus seines Großvaters und sein Erbe im Moor zu versinken - samt lebensgroßen Bronzestatuen von Luther über Bismarck bis zu Max Schmeling und Ringo Starr.

Die Reise zurück an den Ort der Kindheit zwischen mörderischem Teufelsmoor, norddeutschem Butterkuchen und traditionsumwitterter Künstlerkolonie nimmt eine verhängnisvolle Wendung. Vergessen geglaubte Familienfragen, aus dem Moor steigende historische Gestalten und die skurrile Begegnung mit einem mysteriösen Vergangenheitsforscher spülen ein ungeheuerliches Geflecht an Lügen und Geheimnissen aus einem ganzen Jahrhundert an die Oberfläche.

Moritz Rinke rührt sanft, aber vollkommen anarchisch und mit einer umwerfenden Tragikomik an die Lebensmotive, die Geschlechter-, Generations- und Identitätskonflikte seiner Figuren und ihre seelischen Abgründe. Er erzählt vom Künstlerleben, von Ruhm, Verführung und Vergänglichkeit und von einem Dorf im Norden, das berühmt ist für seinen Himmel und das flache Land - und überzeugt als raffinierter Komponist einer überschäumenden, irrwitzigen Realität in diesem furiosen Romandebüt.

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Meine Meinung:
Paul, in der Künstlerkolonie Worpswede geboren, unterhält in Berlin eine eher erfolglose Galerie. Seine Freundin zieht nach Barcelona um an einem Studienprojekt teilzunehmen. Seine exaltierte Mutter Johanna, deren Einfluss er sich gerne entziehen würde lebt auf der Kanareninsel Lanzarote und gibt irgendwelche Kurse zur Bewußtseinserweiterung, von dort schickt sie ihm per Post Salatköpfe ins "vitaminlose" Berlin.
So weit so gut - als ihn eines Tages der Anruf mit der Mitteilung "das Erbe sinkt" erreicht.
Das Haus in dem Paul aufgewachsen ist, der Künstlergarten den sein Großvater angelegt hat mit in Bronze gegossenen Figuren von Willy Brandt, Nietzsche, Max Schmeling und Ringo Star (um nur einige zu nennen) - das alles droht im Moor zu versinken.
Also reist Paul widerstrebend an den Ort seiner Kindheit zurück um zu retten was zu retten geht.
Irrwitzige Szenen spielen sich ab, Luther muss mit einem Seil an einem Baum festgebunden werden, ein Bauunternehmer der in der Lage ist das sinkende Haus zu retten, muss gefunden werden.
Und zwischendrin immer die "Muttertelefonate" mit Instruktionen und Erklärungen. Überhaupt ist ihm Johanna die eine oder andere Antwort schuldig. Was z.B. passierte mit Marie, die angeblich von der Gestapo abgeholt wurde?
Aber als wäre das alles nicht genug, beschließt Ohlrogge, der von der Mutter verstoßene Freund, die Öffentlichkeit auf die Nazivergangenheit der Künstlerfamilie hinzuweisen. Ist es nicht sein Recht, nachdem diese sein Leben gründlich verhagelt haben und er jetzt nichts mehr hat außer seine wöchentlichen Besuche im Don-Camillo-Club und seinen Frühjahr-, Sommer- und Herbstmalkursen?

Moritz Rinke hat einen überaus komischen Roman geschrieben, der von Künstlern, Nazis und nicht zu vergessen den 68er handelt. Zwischendurch etwas langatmig, aber dennoch sehr unterhaltsam. (dk)

4,5 von 5 Punkten
"Das richtige ist das intensive Buch. Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt und nicht mehr los läßt - bis zum Ende nicht, lies oder stirb! Dann liest man lieber." Kurt Tucholsky
Doris
 
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