Ocampo, Silvina/Casares, Adolfo Bioy: Der Hass der Liebenden

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Ocampo, Silvina/Casares, Adolfo Bioy: Der Hass der Liebenden

Beitragvon Petra » Fr 3. Dez 2010, 10:27

Ocampo, Silvina / Casares, Adolfo Bioy
Der Hass der Liebenden

Bild

Genre: Krimi
Seitenzahl: 192
Verlag: Manesse
Format: Hardcover
Preis: 18,95 €
ISBN: 978-3717522126
Bewertung: 9 Punkte
(von 10 möglichen Punkten)

Inhalt:

Kann man einen Menschen lieben, den man für einen Mörder hält? Diese Frage stellen in ihrem packenden Kriminalroman zwei Größen der modernen argentinischen Literatur: Adolfo Bioy Casares und Silvina Ocampo. Ihr einziges gemeinsames Werk, das noch nie zuvor ins Deutsche übersetzt wurde, erzählt von der Diskrepanz zwischen Schein und Sein und der zersetzenden Macht des Zweifels.

In einem abgelegenen Hotel an der argentinischen Atlantikküste versammelt sich eine illustre Gesellschaft, darunter ein drogensüchtiger Arzt, ein rätselhafter kleiner Junge und zwei Schwestern, die den gleichen Mann lieben. Ein Mord geschieht. Kurz darauf bricht ein Sandsturm los, der das Hotel von der Außenwelt abschneidet. Eine drückende Atmosphäre des Misstrauens und der Bedrohung breitet sich aus. In der dämmrigen, stickigen Enge sind Phantasie und Wirklichkeit kaum noch voneinander zu unterscheiden. Schließlich gipfeln die gegenseitigen Verdächtigungen in einer Verfolgungsjagd durch die windgepeitschten Dünen…

Silvina Ocampo und Adolfo Bioy Casares spielen geschickt mit den Erwartungen des Lesers: Immer wieder wird er gezwungen, seine Vermutungen zu revidieren. Ihr hintergründiger, anspielungsreicher Krimi setzt sich dabei auf amüsante Weise über die Regeln des Genres hinweg.

Meine Meinung:

Das ist ein ganz besonderes Buch.

Zunächst einmal fiel mir die Atmosphäre besonders ins Auge. Ein abgelegenes Hotel, Wüstensand, Hotelgäste. Alles in einer vornehmen Sprache erzählt.

So richtig interessant wurde es dann später, als die Grenzen verwischten, wie als wenn man durch einen Sandsturm nicht klar sehen würde. Lässt der Wind für einen Moment nach, stellt sich das Bild wieder scharf - und man merkt, dass es sich verändert hat. Rollen werden getauscht – oder nein, Schein wechselt mit Sein. Der getrübte Blick des Lesers schärft sich. Und was der Leser dann sieht, überrascht in hohem Maße. Denn es ist etwas ganz anderes, als das Bild, das sich in seinem Kopf aufgebaut hatte. Genial gemacht. Und einzigartig. Mir ist das in dieser besonderen Art noch nicht untergekommen.

So manch eine Figur überrascht derart, dass einem für einen Moment die Spucke wegbleibt, so unerhört ist das, was die Autoren da dem Leser vorgaukeln. Aber selbst Schuld haben wir Leser; was sind wir auch so voreingenommen?

Ein Lob über die Covergestaltung sei hier vermerkt. Als sei es eine Fotografie aus der hier erzählten Geschichte. Auch das unterstreicht die Stimmung des Unwirklichen. Ein Foto eines fiktiven Orts. Eine schöne und passende Idee.

Das Buch ist gespickt mit zahlreichen Anspielungen – auch auf Literatur –, die im Anhang erklärt werden. Anfangs fragte ich mich, ob das unbedingt sein musste. Ob es das Buch nicht nur intellektueller wirken lassen wollte. Doch die Anspielungen haben mir zunehmend besser gefallen. Und störend sind sie keinesfalls, denn man könnte auch einfach über sie hinweglesen. Ein Blick darauf lohnt jedoch.

Gefallen hat mir auch der Humor in dem Buch. Weil er nur sehr gering dosiert war und dadurch umso mehr überrascht und amüsiert hat.

Der Plot wäre in meinen Augen einer Agatha Christie würdig. Und trotzdem ist er ganz eigen. Ebenso wie die Figuren. Unvergesslich, auf eine sehr entrückte und doch so präsente Weise. Als würde man sie mal deutlich sehen und mal nicht greifen können, wie wenn man sie durch einen Sandsturm wahrnehme, der den Blick mal verzehrt und mal lichtet und zurechtrückt.

Somit möchte ich davon abraten den Fehler zu machen, dieses Buch mit anderen des Genres zu vergleichen. Denn es hat etwas nie dagewesenes, etwas ganz besonderes. Hier stecken ganz eigene Gedanken drin und werden ausgesprochen intelligent und hintergründig angewendet.

Heinrich Steinfest hat sich an einem Nachwort zu dem Buch versucht. Ein Buch wie dieses verdient abschließende Gedanken dazu und ich freue mich, dass der Manesse Verlag Steinfest hat zu Wort kommen lassen, über diesen eigenwilligen Krimi, wenn man Steinfest auch anmerkt, dass er sich genauso schwer tut, wie wohl jeder Leser, die Geschichte richtig zu fassen zu kriegen. Das äußere ich weniger als Kritik an Heinrich Steinfest, als vielmehr als Kompliment an die Autoren. Das Nachwort hat mich abermals über den genialen und unerhörten Krimi schmunzeln lassen, da ich feststellte, dass Steinfest das Thema immer wieder ein Stück entgleitet. Als versuche er etwas in einem Sandsturm zu fassen zu kriegen…

Wie schön, dass anlässlich der diesjährigen Frankfurter Buchmesse (Gastland Argentinien) dieses Stück argentinische Literatur (geschrieben 1946) erstmalig (nach so langer Zeit) ins Deutsche übersetzt wurde. Ich wünsche diesem Krimi viele Leser. Denn es ist ein Geschenk, das man nicht so oft gemacht bekommt. Besonders Liebhaber des klassischen Kriminalromans sollten sich diesen besonderen Vertreter des Genres nicht entgehen lassen. (Petra)

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Liebe Grüße,
Petra


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