Moore, Lorrie - Ein Tor zur Welt

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Moore, Lorrie - Ein Tor zur Welt

Beitragvon Doris » Mi 17. Aug 2011, 11:57

Gebundene Ausgabe: 432 Seiten
Verlag: Berlin Verlag (12. März 2011)
ISBN 978-3827009326
Preis: € 24,--


Kurzbeschreibung
Wenn Tassie abends ihr Vogelkostüm anlegt und in wildem Lauf über die Kartoffelfelder stürmt, um Mäuse und andere Schädlinge zu vertreiben, hat sie ganz kurz das Gefühl, wirklich zu fliegen. Tassie Keltjin ist zwanzig Jahre alt und verlässt die elterliche Farm irgendwo im Mittleren Westen. Amerika rüstet zum Einsatz in Afghanistan, und sie beginnt zu studieren, ahnungslos und rührend entflammt für Sylvia Plath und Simone de Beauvoir. Sie braucht einen Job und findet ihn als Teilzeit-Kindermädchen bei Sarah und Edward, die dabei sind, ein Kind zu adoptieren. Aus Mary, zwei Jahre alt, weiße Mutter, schwarzer Vater, wird Emmie, Kind weißer Mittelschichteltern, und Tassie zu ihrer Hauptbezugsperson. Mit der fragilen Anmut einer Schlafwandlerin gerät Tassie in eine erste Liebe und immer tiefer hinein in das komplizierte Leben einer fremden Familie. Wie fern ihr in einem knappen Jahr die ländliche Kindheit, Eltern und Bruder gerückt sind, merkt Tassie, als sie jäh sowohl ihre Liebe als auch ihren Job verliert. Die Schlafwandlerin wacht auf und nichts ist mehr, wie es war, am wenigsten sie selbst. Mit ihrem neuen Roman zeigt Lorrie Moore, was Literatur im besten Fall zu leisten vermag. Mit Tassie schenkt sie dem Leser eine ganz und gar lebendige, ganzund gar zauberhafte und ergreifende Figur, und während sie mit dem Witz, der zarten Klugheit, für die sie berühmt ist, deren Geschichte erzählt, packt sie wie nebenbei große gesellschaftsrelevante Themen an: Adoption und unterschwelligen Rassismus, Amerikas kriegerische Außenpolitik.

Über die Autorin:
Lorrie Moore wurde 1957 in Glens Falls, New York, geboren. Sie lebt in Madison und lehrt Anglistik an der University of Wisconsin. Moore gehört zu den renom miertesten Autorinnen zeit genössischer amerikanischer Literatur. Im Berlin Verlag erschien 2002 ihr legendärer Erzählungsband Was man von einigen Leuten nicht behaupten kann (BvT 2002). Im Berliner Taschenbuch Verlag liegen außerdem vor die Erzählungsbände Pepsi Hotel (2007) und Leben ist Glückssache(2008) sowie der Roman Die Verrückungen der Benna Carpenter (2007).

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Mein Eindruck:
Tassie, 20 Jahre jung, Studentin, findet einen Job als Babysitter bei dem "noch kinderlosen" Ehepaar Sarah und Edward. Sie wird zu einem Zeitpunkt engagiert als noch kein Kind im Haus ist. Die Eheleute möchten adoptieren und beziehen Tassie in den ganzen Prozeß mit ein.

Tassie ist dabei als Sarah sich bei den Behörden anbiedert um das gewünschte Kind zu bekommen. Anhand eines Fotos entscheidet sie sich für ein biethnisches Kind (Mischling sagt man nicht mehr!) und als die Vermittlerin sie darauf hinweist daß die Kleine "aber wahrscheinlich noch nachdunkelt" ist Sarah leicht entrüstet....und so kommt die kleine wunderschöne Mary, fortan Mary-Emma, schließlich in ihre Obhut. Tassie wird immer mehr zu ihrer Bezugsperson da Sarah als Restaurantbesitzerin, massiv in ihren Job eingebunden ist. Edward der Ehemann bleibt die ganze Zeit eher farb- und konturlos im Hintergrund.
Und so ist es auch Tassie die auf ihren endlos langen Spaziergängen und Spielplatzbesuchen erstmals erlebt dass man die kleine Mary-Emma als Nigger bezeichnet.
Sie berichtet Sarah von diesem Vorfall, woraufhin diese kurz und wild entschlossen eine Selbsthilfegruppe gründet

"Ich werde eine Selbsthilfegruppe gründen. Ich werde die Stadt mit ihren eigenen Mechanismen bekämpfen - diese verdammte selbstgefällige Stadt..."

Die Gesprächsfetzen die Tassie während dieser Sitzungen im oberen Stockwerk auffängt (sie betreut die Kinder der Teilnehmer)spiegeln die Ansichten und Erfahrungen der (Adoptiv)Eltern mit Kindern aus anderen ethnischen Gruppen, die diese immer wieder machen. Sei es in der Schule oder mit Nachbarn.

Als Tassie sich in einen Studenten brasilianischer Herkunft verliebt, kann sich Sarah allerdings kaum von ihren eigenen Vorurteilen frei machen.

Fazit:
In einer sehr bildhaften, gewaltigen Sprache nimmt sich Lorrie Moore einiger großen Themen unserer Zeit an: Adoption, Rassismus, Krieg.
Mit hat die Autorin in ihrem Erzählband "Was man von einigen Leuten nicht behaupten kann" schon sehr gut gefallen. Dies ist der erste Roman den ich von ihr gelesen habe, aber mit Sicherheit nicht der letzte.
"Das richtige ist das intensive Buch. Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt und nicht mehr los läßt - bis zum Ende nicht, lies oder stirb! Dann liest man lieber." Kurt Tucholsky
Doris
 
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