Michael Morpurgo: Nur Meer und Himmel - Die Geschichte meine

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Michael Morpurgo: Nur Meer und Himmel - Die Geschichte meine

Beitragvon Didonia » Mi 9. Aug 2017, 14:01

Michael (Mitte bis Ende der 50er Jahre, schätze ich) erinnert sich an die Albträume, die er als kleiner Junge immer bekam, kurz bevor sein Großvater mütterlicherseits die Familie besuchte. Der Traum

begann mit einem Gesicht, einem verzerrten, gequälten Gesicht, das lautlos schrie, ein Gesicht ohne Haare und Brauen, mehr Schädel als Gesicht, ein Schädel mit stramm über die Wangenknochen gezogener vernarbter, runzliger Haut. Es war Großvaters Gesicht, und er starrte mich aus seinem Schrei heraus an. Und jedes Mal brannte sein Gesicht, Flammen züngelten aus seinem Mund und den Ohren.


Wenn Großvater kam, gab es Dutzende Warnungen vorab: Das Spielzeug nicht liegenzulassen, weil er schlecht sah, nicht so viel fernsehen, weil er keinen Lärm vertrug. Und vor allem: Ihn ja nicht anstarren.
Aber das konnte Michael nicht. Er wusste, dass er Schreckliches im Krieg erlebt hatte. Und er musste auf die verbotenen Stellen gucken. Auf die Hände, an denen Finger fehlten, das entstellte Gesicht.
Michael wollte unbedingt mehr über diese Zeit erfahren, auch mehr über seine Großmutter, der er nie begegnet war. Doch die Eltern waren nie bereit, etwas zu erzählen.

Mit zwölf war Michael das erste Mal während der Ferien beim Großvater auf den Scilly-Inseln. Die Albträume hatten aufgehört. Er war gern bei ihm und glücklich. Großvater war ein stiller Mensch.

Abends las er viel, stundenlang, lauter Bücher, in denen es um Boote ging - von Arthur Ransome, C. S. Forester und Patrick O'Brian. Er hatte keinen Fernseher, deshalb las auch ich. Ich glaube, ich habe in meinen Ferien auf den Scilly-Inseln sämtliche Bücher von Arthur Ransome gelesen.


Manchmal erwischte der Großvater Michael, wie der ihn anstarrte. Aber die Angst war verschwunden und Michael konnte ihn dann anlächeln.

Und genau das war es, was der Großvater an Michael so mochte: Dass dieser ihn ansah, den Blick nicht abwandte von seinem Gesicht, seinen Händen.

Und dann erzählte der Großvater seine Geschichte. Diese Geschehnisse, die er weder seiner Frau Annie noch seiner Tochter erzählen konnte: Michael erzählte er sie nun.

Nur Meer und Himmel ist ein kleines Meisterwerk. Mit wenigen, aber treffenden Worten und Bildern von Gemma O'Callaghan, die das Wesentliche hervorheben, zeigt Morpurgo, dass diese schreckliche Zeit nicht totgeschwiegen werden kann und darf. Er zeigt, dass eine Familie zerfallen kann, wenn man schweigt, aber auch, dass man wieder zueinander finden kann, wenn man miteinander spricht.

Michael Morpurgo ist einer der bekanntesten britischen Kinder- und Jugendbuchschriftsteller. Hauptsächlich schreibt er Abenteuergeschichten im Stil von Robert Louis Stevenson. Aber wie ich gesehen habe, hat er auch Jugendbücher über den Krieg geschrieben.
Lesende Grüße, Anne

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