Hein, Jakob: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht

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Hein, Jakob: Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht

Beitragvon Daniliesing » Di 9. Dez 2008, 23:11

Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht von Jakob Hein
- Verlag: Piper - ISBN: 978-3492052078 - gebunden mit Schutzumschlag -
- 172 Seiten - September 2008 -


Fluglahme Rohrdommeln, verwunschene Räume: andere Kuriositäten

1. Meinung:

Gleich vier Geschichten verbergen sich in diesem recht schmalen Buch. Vier Geschichten, die sehr unterschiedlich sind und trotzdem einen ähnlichen Grundklang haben. Es wird über das Leben philosphiert, Vorurteile werden ausgeräumt, nie Erwartetes funktioniert plötzlich und der Leser wird mit ganz neuartigen, interessanten Betrachtungsweisen überrascht.

Alles beginnt mit Boris. Er hat eine Agentur für verworfene Ideen gegründet und versucht diese Ideen zu sammeln und wieder zu einem Ganzen zu verknüpfen. Damit erhofft er sich neue, grundlegende Aussagen zu gewinnen, die für alle eine Bedeutung haben. Die meisten Ideen kommen jedoch von Boris selbst und das Einzige, was er wirklich gar nicht annimmt, sind Romananfänge, denn davon hat er ebenfalls selbst genügend geschrieben. Durch einen Zufall betritt nun Rebecca seine Agentur, die sonst nur er selbst betritt, und es entfacht ein Gespräch, dass von bildhafter Sprache, Humor und genialen Gedanken nur so sprüht.

Boris, der in seinem ganzen Verhalten recht sonderbar, gar schräg, erscheint, ist eine liebenswerte Hauptfigur. Er ergänzt sich perfekt mit der direkten Rebecca, die sich durchsetzen kann und von ihrer Meinung vollkommen überzeugt ist. Dadurch gewinnt die Geschichte ziemlich an Schwung. Die skurrilen Gedanken Boris' und die Fäden, die die beiden daraus spinnen, gehen ein ganzes Stück über die gewöhnliche Blickweite der meisten Menschen hinaus. Dies wiederum ist ein Spiegelbild für die Beobachtungsgabe und Gedankentiefe des Autors. Sein Wortwitz und ein Fünkchen Ironie machen das Buch zu einem sprachlichen Genuss.

Wie schon erwähnt, schreibt Boris selbst Romananfänge und wirklich nur die Anfänge. Einen davon stellt er Rebecca vor. So entsteht die erste Geschichte in der Geschichte. Das Ganze soll sich noch zwei mal wiederholen und letztendlich ist in jeder der ersten drei Geschichten eine neue verborgen.

In der dritten Geschichte verliert das Buch für mich jedoch einiges an Spannung und die vierte war für mich dann endgültig eine zu viel. Die gelungene Überleitung zur zweiten Geschichte gelingt bei den anderen beiden nicht mehr so ganz, was sehr schade ist. Gerade sprachlich empfand ich das Buch doch bisher als sehr gelungen und auch die Geschichte war interessant und neuartig.

Letztendlich lösen sich alle Geschichten wieder von innen nach außen auf und man gelangt zu Rebecca und Boris zurück. Zu diesem Zeitpunkt stellte sich dann auch wieder das besondere Lesevergüngen bei mir ein.

Im Endeffekt kann man sagen, dass die Grundidee des Romanes ziemlich gut ist, aber Jakob Hein sie leider mit den vier Geschichten etwas zu weit ausreizt. Viel lieber hätte ich noch 100 Seiten mehr über Rebecca und Boris gelesen. (Daniliesing)

2. Meinung:

Gebrauchsanleitung für´s Leben

Bisher kannte ich von Jakob Hein nur die „Gebrauchsanweisung für Berlin“. Obwohl „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ ein Roman und kein Reiseführer ist, erinnert mich der Stil ein wenig an die „Gebrauchsanweisung“. Dort erzählt Jakob Hein kurze Geschichten über Berlin, in seinem neusten Werk lässt er seine beiden Hauptfiguren viele lesenswerte Episoden über die Suche nach dem Sinn des Lebens erzählen und erleben. Diese werden geschickt zu einem Ganzen verflochten.

Boris besitzt eine „Agentur für verworfene Ideen“, in der er Tag für Tag auf Kunden wartet. Seine erste Kundin ist dann ausgerechnet seine ihm bis dahin unbekannte Traumfrau, Rebecca. Das erste Gespräch der beiden ist ein bunter Reigen von mehr oder minder absurden Überlegungen, die mich immer wieder schmunzeln ließen. Damit Rebecca die Agentur nicht verlässt und aus seinem Leben verschwindet, erzählt Boris ihr einen seiner gesammelten Romananfänge.

Wie auch in „Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht“ geht es in Boris’ Roman um zwischenmenschliche Beziehungen. Die Hauptfigur Heiner sucht nach dem Sinn des Lebens und seinem eigenen Glück. Diese Suche gestaltet sich natürlich nicht einfach und das gewünschte Ergebnis bleibt auch aus. Jakob versucht, mit Rebecca einen gemeinsamen Weg zu finden, gemeinsam ins Licht, den Tag zu gehen und sein Leben als Einzelgänger, die Nacht, hinter sich zu lassen. So positiv wie der Titel wirkt auch die Handlung des Buches auf mich.

Das Buch liest sich sehr locker, mit vielen originellen Sprachspielerien und treffenden Metaphern. Sogar die hinlängliche bekannte korrekte Zubereitung von Tee und Milchkaffee werden bei Jakob Hein zum sprachlichen Genuß.

Alles in allem ein sehr kurzweiliges Buch, dass ich gerne weiterempfehle. (sassenach)
Daniliesing
 
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Registriert: Mi 30. Jul 2008, 23:17

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