Walser, Martin: Ein liebender Mann

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Walser, Martin: Ein liebender Mann

Beitragvon Barbara » So 4. Mai 2008, 11:56

Zum Autor:
Martin Walser wurde 1927 in Wasserburg geboren und lebt in Überlingen am Bodensee. Er studiert an der Theologisch-Philosophischen Hochschule in Regensburg und in Tübingen Literatur, Geschichte und Philosophie. Er promoviert über Franz Kafka. Er ist eines der Mitglieder der Gruppe 47.

Inhalt:
Der 73-jährige Goethe ist verliebt. Seine Wahl: die 19-jährige Ulrike von Levetzow. Jedes Jahr trifft er in Bad Marienberg auf die Familie Levetzow und mit jedem Jahr wird seine Liebe zu Ulrike stärker. Allerdings ist Goethe nicht alleine mit seinen Gefühlen. Da gibt es noch den vornamenlosen Beau, der nicht nur ebenfalls großes Interesse an Ulrike zeigt, sondern auch viele Jahre jünger ist, als Goethe. Wen liebt Ulrike? Wem schenkt sie tatsächlich ihr Herz?

Meine Meinung:
Die Geschichte einer sich entfachenden Liebe zwischen einem älteren Mann und einem jungen Mädchen ist sicherlich nicht neu und schon gar nicht bei Walser. Da ist es fast nur logisch, nachdem er das Thema bereits in vorherigen Büchern beschrieben hat, sich nun ein literarisches Pendent zu sich selbst zu suchen. Und genau den Eindruck hat man beim Lesen: In Goethe steckt Walser und Walser sieht sich in Goethe. Die Sprache, die er wählt, ist sehr gefühlvoll, empfindsam, wohlklingend und doch ironisch, wider erwarten selbstkritisch. In schonungsloser Ehrlichkeit stellt er den intelligenten und weltgewandten Goethe in einer Art liebestollen Hilflosigkeit dar, die man sonst eher nur in der ersten Liebe des Teenageralters erwartet. Aber scheinbar zählen in der Liebe weder Alter, Intelligenz noch Lebenserfahrung. Wer verliebt ist, kann sich vor anderen und vor allem vor sich selbst zum Narren machen. Er tut es auch dann, wenn die Liebe doch aussichtslos scheint oder wie hier gar nicht sein darf. Im Gegenteil, Goethe scheint dieser Art des Verhaltens sogar völlig machtlos gegenüberzustehen, solange er auch nur ein Fünkchen Hoffnung sieht, dass seine Gefühle erwidert werden könnten. Die Außenwelt spielt dabei für ihn keine Rolle.
Walser gelingt es, den Leser zwar sprachlich in eine andere Welt zu versetzen, aber dennoch ein sehr aktuelles Thema auch aktuell zu hinterfragen.
Schade scheint zunächst nur, dass er eine Offenlegung der wahren Gefühle Ulrikes schuldig bleibt. An einigen Stellen hätte ich gerne gewusst, wie Ulrike wirklich für Goethe empfindet. Doch letztlich würde dieses Wissen der Geschichte nur schaden, da man sonst Goethes Verhalten nicht mehr so ganz verstehen oder seine Beweggründe nicht mehr nachempfinden könnte, da man alles rationaler deuten würde. Und Rationalität und Liebe sind zwei Elemente, die sich nicht immer gut vertragen.
Das bezaubernde an diesem Buch ist, wie bereits oben erwähnt, die wunderschöne und poetische Sprache.
Hier einige kleine Kostproben:
- „Bis er sie sah, hat sie ihn schon gesehen. Als sein Blick sie traf, war ihr Blick schon auf sie gerichtet.“ (…)
- (…) „Meine Liebe weiß nicht, dass ich über siebzig bin.“ (…)
- (…) „Wenn die Seelen einander nicht küssen, sind Münder tot.“ (…)

Allerdings gibt es einen Satz im Buch, der so schrecklich und sprachlich so deplatziert ist, dass er dem Buch leider einen doch sehr bitteren Beigeschmack geben kann: Der vorletzte Satz ist einfach nur grauslig, sodass ich jedem raten kann, zu versuchen ihn nicht zu lesen, oder direkt wieder zu vergessen. Schade, dass Walser diesen Satz wählte, um sein Buch ausklingen zu lassen.

Fazit:
„Ein liebender Mann“ ist wie ich finde ein sehr gelungenes Werk und auch sehr lesenswert, vor allem dann, wenn man solch eine poetische Sprache und den geschichtlich angehauchten Hintergrund mag. Das Thema kennt jeder, wenn auch nicht unbedingt mit dem extremen Altersunterschied. Aber, wer war nicht schon einmal bereit, sich wenn auch nur für eine gewisse Zeit, im Rausche des Verliebtseins, für die Liebe zum Narren zu machen.
In diesem Zusammenhang fällt mir noch ein schönes Zitat ein, dass ich kürzlich mal gelesen habe:
„Der Beginn des Verliebtseins ist das Ende der eigenen Zurechnungsfähigkeit“
Allein aus diesem Grunde, wird jeder den armen Goethe in der einen oder anderen Situation verstehen können oder sogar sich selbst ein wenig darin sehen können.

Bewertung: ****
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)
Infos: Hardcover, 284 Seiten, 19,90 Euro, erschienen bei Rowohlt
"Das Lesen eines Buches ist die Zwiesprache mit der eigenen Seele!"
B.H.

Liebe Grüße
Barbara
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Barbara
 
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