von Petra » Di 3. Mai 2011, 13:38
Hallo zusammen,
ich bin durch. Aber erst zu Euren Gedanken. Und dann noch meine Eindrücke zu den letzten Kapiteln.
Schön Steffi, dass Dir Du meiner Zusammenfassung und Eindrücken zu den Szenen zur Verurteilung zustimmen kannst. Ja, es ist nahezu absurd, was dort für ein Schmierentheater gespielt wird. Und ganz erschreckend, dass eine Vielzahl sich selbst dieses Theater geglaubt hat und gar nicht bemerkte, wie absurd das alles ist.
Im tiefsten Innern haben es gerade noch diejenigen gemerkt, die noch nicht gänzlich überwältigt waren von der Rolle, die man ihnen übertragen hat, und in die sie nur allzu gern geschlüpft sind. Mir fällt dazu Ottos Anwalt in Kapitel 68 (bzw. 67) ein. Am Ende, so Otto Quangel, weiß der Anwalt sehr gut, dass vor ihm ein Unschludiger steht, und er der eigentliche Lump ist. Aber Menschen wie Feisler, nein, die waren eins mit ihrer Rolle. Da war kein Durchdringen. Erschreckend.
Hier fand ich auch schön, wie Otto dem Anwalt seine Sicherheit ein wenig ins wanken bringt, sein Leben nicht lassen zu müssen. Nur sollte man ihn irgendwann drankriegen, dann kann er sich nicht sagen, dass es wenigstens für das Richtige war. Sondern dann hat er gekuscht und mitgemacht und man wird ihm dennoch das Leben nehmen. Wie fühlt man sich dann?
Gefallen hat mir, was Du, Steffi, über Falladas dennoch gewahrte Distanz schreibst. Da stimme ich mit Dir absolut überein. Er klagt neben den Personen immer auch das System an, das es überhaupt erst möglich gemacht hat, dass die Menschen zu solchen Unmenschen werden, ihre Boshaftigkeit überhaupt erst in dem Maße ausleben können. Die Menschen sind dieselben Menschen, die man überall findet. Aber das System teilt ihnen Rollen zu, die ihnen nie hätten zuteil werden dürfen. Mich würde interessieren, was Hitler davon einkalkuliert hat. Das ist so simpel und doch so raffiniert. Für mich wäre die menschliche Natur eine größere Unbekannte, als sie es anscheinend für einen Menschen wie Hitler war. Nur durch all die, die mitgespielt haben, war es möglich. Und einige Menschen neigen zu einer Bereitwilligkeit, die man kennen muss, um an den Erfolg dieses Systems glauben zu können.
Ebenfalls sehr richtig ist Dein Satz, Steffi, dass jeder eine Mitschuld trägt. Sei es die Mitschuld des mitlaufen, des Macht ausnutzens oder die der Feigheit. Es gibt viele Facetten der Mitschuld. Und so finde ich Quangels Resümee gegenüber seines Anwalts in Kapitel 68 (bzw. 67) sehr wichtig. Denn es zählt nur, nicht mitgemacht zu haben! Lieber für eine gerechte Sache sterben, als für eine ungerechte zu leben. Und auch wenn Quangel eingesteht (schön, dass er das tut und kann!), dass seine Karten ihren Zweck verfehlt haben, so haben sie den Einsatz seines Lebens doch gelohnt. Denn er hat gezeigt und gesagt, dass er nicht einverstanden war. Das ist das mindestes, was der Mensch zu tun hat. Glanzvoll, wie Fallada das hier auf den Punkt bringt. Und so ergibt sich für mich ein ganz neuer Sinn für das Wort „Widerstand“. Das Wort stand bei mir für etwas Großes. Aktiv bekämpfen. Aber auch in dieser passiven Art, in der die Quangels widerstanden haben, liegt Gegenwehr. Sie haben etwas entgegengesetzt. Und wie man aus diesem Leben scheidet, ist wichtig! Dass man verantworten kann, was man getan und was man nicht getan hat. Das bringt der Roman rüber. Aber er zeigt auch, wie schwer das ist. Und dass man niemanden verurteilen kann oder sollte, der dazu zu feige war.
Denn richtig, was Maria sagt:
[quote=“Maria²Wir glauben an Güte, Liebe und Gerechtigkeit.
es gehört Größe dazu, nach diesen Grundsätzen weiterzuleben und vorzuleben. Mich hat das Kapitel sehr beeindruckt.[/quote]
Dazu gehört Größe!
Maria, dass in Deiner Ausgabe der Satz mit dem Schnurrbart wirklich fehlt, ist interessant zu wissen. Danke für die Info (auch dass der Kommissar bei Dir auch Escherich heißt). Interessieren würde mich auch, ob bei Dir am Ende die Hinrichtungsszene auch beschrieben wird. Ich glaube ja, aber ich würde es gern genau wissen.
Eines der wohl schlimmsten Kapitel ist das Kapitel 67 (bzw. 66). Fallada macht auch vor diesen letzten Szenen im Totenhaus kein Halt. Gut so. Es gehört dazu. Da sollte man den Blick nicht abwenden, aber es ist derartig beklemmend! Die Todesangst, die Panik, das kommt so stark herüber, dass sie einen ein Stück weit selbst ergreift. Wie grausam, dass man die Todesangst dort um Tage, Wochen, Monate verlängert hat. Was müssen das für Qualen und Ängste gewesen sein. Unfassbar, wie grausam Menschen sind!
Gut, dass wenigstens Otto mit dem Zyankaliröhrchen einen Trost bei sich hatte. Und durch Dr. Reichhardts Beispiel einen geregelten Tagesablauf für sich aufgenommen hat. Das ist sicher hilfreich.
Seine quälenden Gedanken jedoch an Anna schmerzen sehr! Wie muss es so vielen Menschen ergangen sein (und sicher in anderen Teilen der Welt ergehen)? Das kann man sich nicht ins letzte ausmalen. Und selbst das, was einem gelingt sich vorzustellen, ist schon viel zu viel! Aber auch hier bleibt Fallada bei der Sache und wird nicht emotional. Mit jemandem wie dem Otto macht er es dem Leser ja sogar noch leicht. Er hadert nicht mit seinem Schicksal. Er nimmt es an. Ein Trost ist ihm, dass er kein schlechter Mensch ist, dass er widerstanden hat.
Noch mal zu den Gnadengesuchen. Die Eltern der Elise Hampel haben wohl wirklich versucht, Gnade für ihre Tochter zu erwirken. Auch die Eltern von Anna Quangel richten sich – natürlich vergeblich – an den Führer, an den sie so fest glauben. Das sagt auch viel aus. Es sagt, dass viele Menschen WIRKLICH an ihn geglaubt haben. Daran, dass er ihnen wohlgesonnen ist und sich für sie einsetzen wird. Auch der Weg der Gnadengesuche (und die Unterschiede, die gemacht wurden), wird schön dargstellt. Auf eine so sachliche Art.
Annas Gedanken und ihre Entschluss in Kapitel 69 (bzw. 68) fand ich auch so nachvollziehbar. Das wäre auch meine große Angst: Meinen geliebten Mann nicht noch mal sehen, nur weil ich feige war. Das wäre für mich auch ein riesengroßer innerer Kampf! Der ist hier exzellent dargestellt. Ich kann ihren Entschluss sehr gut verstehen. Und auch, dass sie nach dem entsorgen des Fläschens mit dem Gift erst wieder ruhig schlafen kann. Sie hätte gewiss wirklich keine Sekunde mehr Ruhe in sich gehabt, mit dem immerwährenden Kampf zwischen dem verlockenden schmerz- und möglichst angstfreien Tod und der Möglichkeit Otto wiederzusehen. Bzw. nicht nur das Wiedersehen setzt ihr zu, sondern ganz sicher auch der Gedanke, was ist, wenn sie tatsächlich noch mal in einem Raum aufeinander stoßen sollten, und Otto erkennen muss, dass keine Anna kommt, weil sie feige war. Dass sie das nicht ertragen kann, kann ich so gut verstehen. Den anderen dermaßen enttäuschen, ist einfach zu schlimm. Das Kapitel hat mich auch sehr beeindruckt!
Die Szene mit dem Pastor (nicht dem guten Pastor) in Kapitel 70 (bzw. 69) ist auch so bezeichnend. Wie falsch und heuchlerisch, sich als Diener Gottes auszugeben, wenn man so einem Menschen gegenübertritt, wie der Pastor hier dem Otto Quangel. Die Bigotterie ist himmelschreiend.
Und in Kapitel 71 (bzw. 70) ist es dann also wirklich soweit. Otto geht seinen letzten Weg. Ein bisschen Mensch steckt noch in dem Arzt. Otto und den Leser freut’s. Noch ein Mensch, ein Wesen, das die Bezeichnung verdient hat. Mit ganz kleinen Gesten zwar. Aber immerhin. Und dass ihm selbst der Scharfrichter menschlicher vorkommt als zuvor der Pastor, ist bezeichnend. Und auch der Gefängnisdirektor hält eine kleine Zurechtweisung für den abermals kläffenden Pinscher bereit. Wenigstens ein bisschen Menschlichkeit in all der Unmenschlichkeit begleitet ihn. Ein – wenn auch widersinniges – Lebwohl Genosse von einem Mithäftling.
Dies ist – das ließ sich nicht anders vermuten – auch ein Kapitel, das einem sehr mitnimmt. Wie man Quangel auf die Hinrichtung vorbereitet. Der eine spricht Mut zu, die andern verhöhnen ihn mit Worten und Taten. Aber Otto lässt sich seine Würde nicht nehmen.
Letztendlich ist es doch das Fallbeil, das ihn umbringt, und nicht das Röhrchen. Vielleicht besser so. Vielleicht war der Himmel ihm gnädig. Er hat sein Leben nicht selbst genommen, sondern SIE haben es ihm genommen. Und mit dem Röhrchen im Mund, hat er ein Stück Sicherheit verspürt, das ihm die Angst gemildert hat. Nur in den letzten Sekunden musste er erkennen, dass es doch das Messer sein wird, das ihn vom Leben trennt. Und Fallada beschönigt die Szene nicht. Dramatisiert sie aber auch nicht. Ich schätze seinen Umgang mit den Tatsachen sehr.
In Kapitel 72 (bzw. 71) spricht Fallada es selber an: Der Himmel ist gnädig. Mit Anna. Wie – aus meiner Sicht – zuvor auch mit Otto (wegen des Röhrchens). Sie muss es nicht erleben, dass Otto schon tot ist und sie sich nicht mehr wiedersehen. Was ein Segen! Und sie durfte sich im Tagtraum mit ihm vereinen, als ihr Leben durch eine Mine ausgelöscht wurde.
Die Quangels sind nicht mehr. Aber ich werde sie nicht vergessen. Sie nicht, die Hampels nicht, und das, was mir der Roman gesagt hat: Es ist wichtig, wie man vor sich selber da steht. Widerstand ist wichtig. Auch wenn er sich nur in der Form äußert, dass man zeigt, sagt oder erklärt, dass man nicht einverstanden ist. Alles andere ist eine Form des mitmachens. Wie schwer es ist, zu widerstehen, ist mir durch das Buch jedoch auch noch bewusster geworden. Und das Buch vermittelt mit großer Klarheit wie diese Maschinerie hat funktionieren können. Ein beeindruckendes Buch!
Doch damit – ich hatte es geahnt – entlässt Fallada uns nicht aus dem Buch. Sondern mit einen Lichtstrahl: Dem Kuno Kienschäper in Kapitel 73 (bzw. 72). Er hat eine gute Saat ausgesät und die soll er nun auch einbringen. Ein schöner Gedanke, der einen würdigen Schlusspunkt setzt. Trotz allem triumphiert immer wieder das Leben.