Steffi hat geschrieben:Ich habe damals noch nicht darüber nachgedacht, inwieweit er auch eine Generation von Amerikanern widerspiegelt sondern mehr oder weniger die Geschichte genossen. Gibt es in diese Richtung für dich Anhaltspunkte?
Ja, da gibt es für mich Anhaltspunkte. Marcel Reich-Ranicki sagt in seinem Essay über Updike in „Über Amerikaner“ etwas wohl sehr treffendes über Updike und seine Ambitionen. Er gehört (lt. MRR) zusammen mit z. B. Balzac zu den Autoren, die im Grunde immer wieder ein und dieselbe Geschichte erzählen. Immer dieselben Themen aufgreifen. ABER er tut es immer aus einer anderen Zeit heraus. Ich stimme ihm zu: Ein Jahrzehnt später haben sich die Themen nicht verändert, aber der Umgang damit. Z. B. die Liebe, der Glauben, die Moral. Angenommen, Updike erster Rabbit-Roman würde in der heutigen Zeit anstatt in den ausklingenden 50er Jahren spielen, dann wäre zwangsläufig die Geschichte anders verlaufen. Janice, Rabbits Frau, würde sich heute höchst unwahrscheinlich genieren und sich monatelang nicht vor ihm entkleiden. Seine Geliebte (die Gelegenheits-Prostituierte), Ruth, würde sicher nicht fragen, ob er sie bei Licht oder lieber im Dunkeln lieben wolle. Und Rabbit würde heute sicher nicht aus Scham antworten: im Dunkeln.
Die Schraubzwinge der Moral, die die Eltern um ihn legen, weil er seine Frau verlassen hat, wäre heute sicher auch in den meisten Fällen anders.
Interessant ist aber, dass das für damals, keinen Einzelfall spiegelte, sondern eher die Regel war. Und somit eine Zeitbefindlichkeit darstellt.
Dass Rabbit ausbrechen will, kann ich auch als ein Symptom dieser Zeit empfinden. Allein das Gefühl, gefangen zu sein, in seinem grauen Alltag, in seiner unglücklichen Ehe, muss eine Beklemmung auslösen. Gewiss kein Einzelschicksal unter der damaligen Moral. Und diese Moral wiederum wird in meinen Augen stark von Updike hinterfragt, indem Pfarrer Eccles Rabbit bekehren und zur Vernunft bringen will, und im Hintergrund Eccles’ eigene Frau ebenfalls ein Szenario einer nicht glücklichen Verbindung aufführt. Da ist die Moral, und der Glaube das Richtige zu tun, das einzige, woran er sich klammern kann. Denn würde er das nicht, müsste er vielleicht auf seine eigene fragwürdige Ehe schauen. Dann folgt ja noch das Gespräch zwischen Eccles und dem lutherischen Pfarrer, der das Einmischen Eccles in die nichtigen Belange eines Ehepaares stark kritisiert. Und in Frage stellt, dass Gott will, dass sich seine Gesandten auf Erden um solch verirrte Schafe kümmert, wo gerade andernorts Kinder den Hungertod sterben.
Würde die Geschichte heute spielen, bräuchte niemand mehr den Glauben demontieren. Er hat sich längst demontiert. Kein Pfarrer würde heute mehr seinem verirrten Schäfchen nachlaufen, um es auf den rechten Pfad zurück zu holen. Wie stark die Moral und der Glaube damals aber noch an den Menschen gefressen hat, finde ich interessant zu beobachten.
So bin ich schon gespannt, wie sich die Themen Updikes im nächsten Jahrzehnt, der Zeit der Hippies, der Zeit der Flower Power in „Unter dem Astronautenmond“ entfalten. Wie weit sich Janice und Harry Angstrom von den moralischen Fesseln inzwischen befreit haben, und mit ihnen eine ganze Nation, die in einem Jahrzehnt der sexuellen Entfesselung dahintreibt. Im zweiten Rabbit-Roman verlässt Janice ja Rabbit. Ich glaube auch das ist kein Zufall, sondern spiegelt ebenfalls die Zeit wieder. Standen die Frauen in den 50ern noch nach, holten auch sie zum Befreiungsschlag aus und strebten eine Individualisierung an.
Updike skizziert zwar die Befindlichkeiten der Gesellschaft in Amerika. Ich finde aber, dass seine Beschreibungen generell den Zeitgeist treffen, und somit über Amerika hinausreichen. Die Verklemmtheit, der beginnende Verlust von Religiosität, die Änderung von Wertvorstellungen und Moral, all das trifft auch – aber nicht nur – auf Amerika zu.
Auch denke ich, dass der enorme Wert seiner (Rabbit-)Romane nicht nur darin liegt, dass er die Gesellschaft in den verschiedenen Jahrzehnten skizziert. Sondern zur anderen Hälfte auch in seinen Schilderungen zwischenmenschlicher Beziehungen. Auch auf dem Bereich gelingen ihm gestochen scharfe Bilder. Allein wenn ich daran denke, wie genau er Ruth – und damit so viele Frauen – einfängt. Anfangs ist sie in Rabbit überhaupt nicht verliebt. Wie leicht er sie dann aber, trotz seiner überaus seltsamen Art ihr gegenüber (auch in sexuellen Dingen), doch für sich gewinnen kann, sagt so viel über die Frauen aus. Und gibt mir auch zu denken. Auch wenn ich mich in Ruth nicht wiederfinde, so kenne ich doch Teile von ihr. Weil sie so typisch für Frauen sind. Plötzlich kann sie sich gar nicht mehr von ihm lösen. Obwohl sie spürt, dass sie es sollte. Und früher oder später muss. Diese Unfähigkeit findet sich in unzähligen Frauen wieder. Ob das in gleichem Maße auf Männer zuträfe? Ich glaube nicht. Dass Updike sich so exakt in diese Frau einfühlen kann, empfinde ich als große Kunst. Gerade, weil er als Mann nicht wissen kann, wie es in einer Frau aussieht. Was ihre wahren Beweggründe sind. Was für ein Beobachter!
Ich bin mehr und mehr begeistert!