Hallo zusammen,
nach den ersten drei Kapiteln kommt man nicht umhin zu erkennen, dass es sich bei „Nana“ wahrlich um ein opulentes Sittengemälde handelt.
Zu den von mir bereits gelesenen 3 Kapiteln nun im folgenden mehr.
1. Kapitel:Wie ich bereits sagte, tat ich mich mit dem 1. Kapitel etwas schwer. Woran lag das? Ich denke, die Lebhaftigkeit (sie gehört zu diesem Abend im Varietétheater natürlich dazu, und ist ohne Frage sehr authentisch geschildert) verursachte mir zu viel Unruhe beim lesen. Dabei ist das im Grunde wirklich sehr gut gelungen: Dieses springen des Blicks von einer Figur zur anderen, ganz wie es an einem Abend im Theater so ist. Der Blick bleibt überall und nirgends hängen. Und genauso kommt diese Szene auch herüber. Verursacht damit aber auch die gleiche Unruhe, wie man die Aufregung vor der Aufführung eines Stück verspürt, und in den Pausen.
Ein zweites waren die vielen Figuren, die grob umrissen wurden. Das wurde mir zu viel, ich konnte mir die einzelnen nicht gut merken. Aber das anlesen der kommenden Kapitel zeigte mir, dass es nicht durchgängig so bleibt. Und wie gesagt: Die Unruhe passte ja auch zu der fiebrigen Aufregung, die in dem Theater herrschen musste.
Ich lese ebenfalls eine Artemis-Winkler-Übersetzung und zwar die von Walter Widmer. So ganz glücklich bin ich auch nicht über diverse Wortwahl und Satzstil.
Ich bin in dem Punkt wirklich sehr gespannt auf Steffis Vergleiche mit dem Original. Mich würde auch interessieren, wie nah die jeweiligen Übersetzungen an Zolas Vorlage sind. Was es am authentischsten trifft. Zumal man hier auch nicht ganz sicher sein kann, wo Zola absichtlich derbe war, um das Millieu authentisch zu schildern, und wo ein Übersetzer eine unglückliche Wortwahl getroffen hat.
Etwas verwundert hat mich im 1. Kapitel die wütenden und barschen Kommentare der Figuren. Jeder ist auf irgendeine weise verärgert und gibt dem Ausdruck; auch die Menschenmenge insgesamt.
Das ist sicher ein Teil dessen, was mich so unruhig gemacht hatte, beim lesen. Und mir auch nicht so behagt hat. Eine unangenehme Unruhe. Aber ich denke auch, dass es prägnant für das 1. Kapitel ist, weil es einfach das geschäftige Treiben, die gereizte Unruhe vor und zwischen einer Aufführung widerspiegelt. Und die Frage ist auch die Motivation der jeweiligen Figuren, sich die Vorstellung anzusehen. Bordenave will eine gute Kritik, und ärgert sich über die konsequente Weigerung Faucherys, dieses Theater als Bordell zu erkennen. Viele andere Herren lechzen darauf, Nana zu sehen, weil man über sie schon viel gehört hat. Wahrscheinlich sind sie innerlich bereits hochgradig erregt, und deshalb allesamt unwirsch.
Interessant der Hinweis, dass Nana kein schauspielerisches Talent hat und nicht singen kann, doch im Moment scheint das nicht wichtig zu sein für ihre "Karriere". Sie singt wie eine "Dampfpfeife"
Ja, da wird schon offenkundig, dass sie niemand wegen ihres Gesangs engagiert hat, und viele Zuschauer auch nicht wegen eines möglichen gesanglichen Talents gekommen sind, sondern um Nana zu sehen, über die man schon viel gehört hat. Und die wenigen, die noch daran glauben, dass es in dem Theater um die Aufführung, also die Kunst geht, lassen sich umstimmen. Sicher nicht zuletzt durch die beinahe durchsichtige Bekleidung.
2. Kapitel:Im 2. Kapitel geht es zunächst ruhiger zu. Bis auf die ganzen Besucher, die an Nanas Tür klingeln. Dieses Kapitel gibt Aufschluss über die Person der Nana, und wie sie ihr Geld verdient. Selbst die Bleibe war von einem Freier für sie angemietet worden. Allerdings muss sie nun für die Miete selbst aufkommen. Die Verabredungen, die man für sie organisiert, sind Nana verhasst. Das äußert sich erfreulich nebenbei. Zola erklärt nichts. Das gefällt mir. Durch Nanas Trägheit, mit der sie der Verabredung, die sie einhalten muss, entgegensieht, die innere Abneigung gegen diese Verabredungen, ihr Wunsch einmal eine Nacht lang Ruhe zu haben, allein in ihrem Bett zu liegen. Man merkt, wie sehr es ihr im Grunde zuwider ist.
Im Verlauf des Romans soll Nana ihre Liebhaber ja zugrunde richten, in ihrem rasanten Aufstieg in der Gesellschaft. Das 2. Kapitel gibt mir ein besseres Verständnis für ihre möglichen Motive. Welchen Respekt soll sie vor diesen Herren haben?
Das zweite Kapitel hat mir sehr gefallen. Es war auch stimmungsvoll, wenn auch (passend) deftig gezeichnet.
3. Kapitel:Bei dieser Dienstags-Gesellschaft bei Gräfin Sabine bekommt der Leser es wieder mit vielen Figuren zu tun. Die meisten sind von dem Theater-Abend schon bekannt, und erhalten nun weitere Konturen. Etwas ominös ist dieses Werben um Gäste für das kommende Souper bei Nana. Es geht offenbar um leichte Mädchen, die dort anwesend sein soll. Wahrscheinlich damit sich die feinen Herren eine auswählen können.
Fauchery hingegen scheint sich für Gräfin Sabine zu interessieren. Das schwang in der Armin Schwarz-Übersetzung etwas leiser mit. Erich Marx findet in seiner Übersetzung deutlichere Worte dafür. Merkwürdig, wie die Übersetzungen auseinander gehen. Und schade ist das auch, denn es scheint einiges verloren zu gehen. Oder wurde in den anderen etwas verdeutlicht, was bei Zola nur angedeutet wurde? Ich bin sehr auf Steffis Vergleiche mit dem Original gespannt.
Zwei der Stellen, in der Erich Marx-Übersetzung, die deutlich machen, dass Fauchery sich eine Affäre mit Gräfin Sabine wünscht:
Gerade ist von seinem Freund in Mexiko die Rede, der angedeutet haben muss, dass mit Gräfin Sabine was zu machen sei. In den unterschiedlichen Übersetzungen klingt das so:
Erich Marx:
Von sinnlicher Neugier getrieben, hatte er sich seitdem gewünscht, bei den Muffats eingeführt zu werden; und da jener Freund in Mexiko geblieben war, mußte man eben selber die Augen offen halten… wer weiß? das war ja bestimmt nur dummes Geschwätz, aber der Gedanke quälte ihn, er fühlte sich zu ihr hingezogen, und ein lasterhafter Trieb war in ihm erwacht.Armin Schwarz:
Hierauf vertiefte er sich wieder in Träumereien und kam auf die vertrauliche unbestimmte Mitteilung zurück, die ihm eines Abends in dem Nebenzimmer eines Restaurants gemacht worden war. Von einer sinnlichen Neugier getrieben, hatte er danach verlangt, bei Muffat eingeführt zu werden. Da sein Freund in Mexiko geblieben war, wer konnte wissen, was kommen würde? Man mußte eben zusehen. Er beging ohne Zweifel eine Torheit; schon der Gedanke verwirrte ihn, er fühlte sich angelockt, und seine Sinnlichkeit erwachte.Auch am Ende des 3. Kapitels finden beide Übersetzer doch recht unterschiedliche Worte:
Erich Marx:
Sie plauderte bedächtig mit dem Bürochef und schien sich für die Unterhaltung dieses dicken Mannes sehr zu interessieren. Entschieden, er hatte sich geirrt, mit der war nichts zu machen. Schade!Armin Schwarz:
Fauchery blickte noch einmal nach der Gräfin Sabine und schloß darauf die Tür. Sabine unterhielt sich gemütlich mit dem Bürochef und schien sich für die Unterhaltung des dicken Herrn zu interessieren. Entschieden mußte Fauchery sich getäuscht haben, denn es war durchaus nichts von einem Bruch zwischen dem Grafen und seiner Gattin zu bemerken.Was im 3. Kapitel auch sehr auffällig ist, sind die Streichungen in der Armin Schwarz-Übersetzung. Gesprächsfetzen der Figuren untereinander, die die eigentliche Handlung nicht voran bringen, sind weggelassen. Das nimmt natürlich einiges der Lebendigkeit und der Opulenz des Sittengemäldes. Denn gerade diese feinen Details entführen uns ja in die Zeit von damals. Die Gespräche, die man miteinander führte, die Themen (Klatsch), der kursierte. So richtig glücklich kann man mit der Übersetzung Armin Schwarz‘ nicht sein.