von Petra » Mi 25. Jan 2012, 09:39
Hallo Ihr Lieben,
schön, dass Euch meine Eindrücke zu „Anna Karenina“ interessieren. Ich werde gerne weiter berichten. Derzeit befinde ich mich auf Seite 140.
Was Ihr über Anna schreibt, kann ich mir gut vorstellen. Ihre ersten Auftritte geben schon Anlass zum denken. Zum einen wie sie Dolly gegenübertritt. Sie leistet ihrem Bruder folge und wiegt Dolly in einer falschen Sicherheit. Sie macht sie Glauben, dass es Oblonski unsagbar leid tut, und dass es gewiss nie wieder vorkommen würde, wenn sie ihm nur ganz verzeihen könne. Oblonski selbst hat ja schon festgestellt, dass es ein Dilemma ist. Er liebt seine Frau nicht mehr, und stellt in Frage, ob er auf seine amourösen Abenteuer verzichten sollte und seine Geliebte einfach sich selbst überlassen solle. Anna weiß das gewiss. Ihr Engagement die Ehe von Stiwa und Dolly zu retten in allen Ehren, aber mir führt das zu weit.
Derzeit gilt mein Mitleid somit auch besonders Dolly. Ob sich bei mir noch Mitleid mit Oblonski einstellt, muss sich erst noch zeigen.
Die zweite Szene, in der Anna zu denken gibt, ist die, als sie auf dem Ball mit Wronski die Mazurka getanzt hat, und Kittys Betrübnis erkennt. Sie lässt in dem Moment von Kitty ab. Von Schuldgefühl oder Mitgefühl ist da nicht allzu viel zu merken. Ich bin gespannt, wie sie sich weiter entwickelt. Bzw. weiß ich im Groben ja schon, wie es mit Anna weitergehen und enden wird. Und wenn ich mir anschaue, auf welcher Grundlage sie und Wronski sich kennenlernen, und wie Wronskis Einstellung zur Ehe ist, dann kann man schon einiges befürchten. Ich kann mir vorab aber auch schon denken, dass Tolstoi sich erstaunlich gut in Anna eingefühlt haben muss. Denn das könnte in der Tat so mancher Frau passieren. Wenn wir den (wie wir meinen) richtigen Mann kennenlernen, sind wir allzu oft bereit, alles aufzugeben. Anna ist da zumindest kein Einzelfall, und ich bin gespannt, wie Tolstoi sie, ihre Situation und ihre Gedanken darstellen wird. Ich könnte mir vorstellen, dass ihr Wunsch, in Wronski die Erfüllung ihres Lebens gefunden zu haben, sie alle warnenden Anzeichen übersehen und überhören lässt, weil ihr Wunsch dass Wronski der ist und ihr das gibt, was sie sich von ihm erträumt, allzu groß ist, und wohl auch nicht realistisch. Ich bin gespannt.
Im Übrigen ist dies ja nicht die einzige Geschichte, die Tolstoi in diesem Roman erzählt. Annas Geschichte stellt er die Geschichte ihres Bruders gegenüber, aber auch die Lewins und Kittys. Das macht das ganze zu einem großen Panorama, das sich so langsam entfaltet, und mir sehr gefällt. Es fällt mir jedes Mal schwer, mich aus dem Buch zu lösen, mich von den Figuren loszureißen.