Interview mit Henning Mankell:

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"Keine Angst, ich bringe Kommissar Wallander nicht um"

Er kennt sich aus mit dem Bösen und sieht gerade sehr grimmig aus: Dem schwedischen Bestsellerautoren Henning Mankell (52) scheinen die Spaghetti im Kölner Restaurant "Campi" nicht zu munden. Hoffentlich bekommt er keinen Blutrausch, schließlich ist das seine Spezialität. In seinen Kultkrimis werden hilflose Opfer von Serienmördern skalpiert oder Brautpaare hinterrücks ermordet. Der Mann, der gemütlich seine Arme vor dem Wohlstandsbäuchlein verschränkt, schreibt allerdings nicht aus purem Vergnügen über kranke Täterseelen, sondern legt in seinen Büchern gleich die ganze kaputte Gesellschaft auf die Psychiatercouch.  

Damit trifft er den Nerv der Zeit: Seine Romane haben in Deutschland eine Auflage von 2,5 Millionen erreicht. "Die falsche Fährte", "Die fünfte Frau" und "Mittsommernacht" stürmten die Bestsellerlisten. Seine Thriller – im Mittelpunkt der schrullige Antiheld Kommissar Wallander (glücklos in der Liebe, zu dick, zu hoher Blutdruck) – werden weltweit in 26 Ländern gelesen und nun vom ZDF in Kooperation mit dem schwedischen Fernsehen verfilmt. "Dabei habe ich Wallander im neunten Krimi, der bis jetzt nur in Schweden erschienen ist, gerade den Garaus gemacht", sagt er schmunzelnd.

BamS: Sie lassen Ihren Krimi-Helden Wallander ermorden?!

Mankell: Keine Angst, ich bringe ihn nicht richtig um. Ich schicke ihn nur in den Ruhestand. Seine Tochter Linda wird als Polizistin weiter ermitteln, Wallander ist ihr Berater im Hintergrund. Ich will etwas Neues schreiben und den Leser nicht nach zehn Seiten mit Routine langweilen.

BamS: Wieso sind die Verbrechen, die Sie beschreiben, so bestialisch?

Mankell: Es ist nicht meine morbide Phantasie, die sich diese Morde ausdenkt. Es macht mir wirklich keinen Spaß, so etwas zu schreiben. Im Gegenteil: Einen Wallander-Roman habe ich zum Beispiel nie zu Ende geschrieben, weil er mir selbst zu grausam war – es ging um Kinderschänder. Ich bin kein kranker Spinner, ich bin Realist. Die Welt ist viel schlimmer als die Verbrechen in meinen Büchern.

BamS: Und wer ist schuld? Die bösen Menschen?

Mankell: Nein, es gibt keine Menschen, die böse geboren werden. Es sind die Umstände, die Menschen zum Mörder machen. Mit meinen Krimis versuche ich nur, gesellschaftliche Entwicklungen zu beleuchten. Ich schreibe in der Hoffnung, diese schreckliche Welt, in der wir leben, ein bisschen zu verändern. Das größte Problem ist die Kluft zwischen Arm und Reich.

BamS: Warum werden Sie nicht Politiker, um etwas zu verändern?

Mankell: Das sollen Profis ändern. Ich bin Schriftsteller und wollte es immer sein. Wir müssen ein neues Sozialsystem schaffen, sonst geht die Welt zugrunde.

BamS: Sind Sie ein chronischer Schwarzseher, oder genießen Sie Ihren Erfolg auch?

Mankell: Natürlich – ich bin sehr zufrieden mit meinem Leben. Wichtig sind mir meine vier Kinder, meine Frau, meine Arbeit. Geld bedeutet mir allerdings nichts. Ich lebe sechs Monate im Jahr in Mosambik (Afrika) in einer Wohnung, in die es hineinregnet. Aber ich kann mir heute den Luxus leisten, nur das zu schreiben, was mir auch gefällt.

BamS: Sie haben gerade das Drehbuch für die erste TV-Verfilmung geschrieben. Manche meinen, Sie sollten Wallander spielen ...

Mankell: Nein! Wallander und ich haben gar nicht so viele Ähnlichkeiten. Wir sind nur gleich alt, gleich ehrgeizig, lieben beide die Oper. Und ich habe Gott sein Dank mehr Glück bei Frauen als er.

BamS: Im nächsten Monat kommt Ihr poetischer, herzzerreißender Roman über Straßenkinder in Afrika heraus ("Der Chronist der Winde", Zsolnay-Verlag), in dem die soziale Ungerechtigkeit im Vordergrund steht und der kleine Held auf tragische Weise endet. Dieses Buch soll einen besonderen Platz in Ihrem Herzen haben.

Mankell: Ich bemühe mich darum, keine Lieblingsbücher zu haben. Ein guter Vater unterscheidet ja auch nicht zwischen Lieblings- und Stiefkindern.

BamS: Wie sehen Ihre Pläne aus?

Mankell: Ich will noch 20 Jahre arbeiten. Viele vertrödeln ihre Zeit, sitzen nur vorm Fernseher, anstatt etwas mit ihrem Leben anzufangen.

BamS: Wollen Sie denn nicht, dass viele Menschen Ihre Wallander-Filme sehen?

Mankells Antwort: ein Lachen.

 

BamS, 18.06.2000

 

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