Zurück zu neuere Bücher Zurück zu Buchbesprechungen August 2001
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Kumar, Anant
Das Leben mikroskopisch nah!:
Inhalt / Meine Meinung:
Kasseler Texte, - Gedichte, Geschichten, Glossen, Reflexionen, ...
Durch seine unmittelbare Sprache gelingt Anant Kumar den Lesern das Leben mikroskopisch
nahezubringen. Der Autor arbeitet in diesen Texten als Wortsetzer: Die Sprache wird karg
und durchdacht eingesetzt, und die konventionelle Dudennorm wird hin und wieder dem Text-/
Satzrhythmus untergeordnet - gekonnt: "Gestern spuckte einer auf die Straße./ Meine
Herrin ihn beschimpfte* und damit nicht aufhörte*."(S. 7 Der Dackel) Diese erste
Satzverdrehung kommt im ersten Text dieses modernen kaleidoskopischen Buches vor, dessen
indirekter Schauplatz Kassel keine allzusehr abgefahrene Metropole der Postmoderne ist.
Zugleich fokussieren die 23 Texte (Gedichte, Kurzgeschichten, Beobachtungen, Skizzen,
Reflexionen) schalkhaft auf die unterschiedlichsten Facetten der deutschsprachigen
Gesellschaft, die sich zwischen dem nordhessischen Dorf Kaufungen bis zur vibrierenden
Tanzfläche - auf der die Ethnizitäten und die Altersunterschiede zu verschmelzen drohen
- des Danceclubs "Gleis Eins" streckt. Das Spannungsverhältnis zwischen
Hiesigen und Fremden, eines der Leitmotive, wird in den Texten nicht als Konflikt zwischen
Nichtdeutschen und Deutschen behandelt, sondern als die unmittelbaren agierenden
Erscheinungen der deutschsprachigen Gesellschaft aufgezeigt. Die Menschen/ Leser mögen
darüber lachen, schmunzeln oder schluchzen. Mit dem listigen Humor wird das
Ungewöhnliche gewöhnlich dargestellt: "An der Haltestelle gestern/ kam ein Junge
auf mich zu/ und fragte mich:/ - Entschuldigen Sie!/ Wie früh haben wir es jetzt? -/
-Fünf vor halb!-/ Der Junge dankte/ und ging weiter,/ seinen Basketball dribbelnd."
(S. 12 Erstaunen) Und mal kommt das Mögliche unmöglich vor. Ja, der Autor inszeniert,
indem er einen deutschen Politiklogen seinem indischen Kommilitonen eine paradoxe Frage
stellen läßt: "Habt Ihr auch Demokratie? Oder wie in den afrikanischen Ländern...?
Ich frage, weil ich über Die alten und neuen demokratischen Traditionen in Deutschland
promoviere." (S. 19 Talk in der Mensa). Und als darauf der Inder "Ja, sogar eine
progressive." antwortet, verwandelt sich das Gespräch in den Talk - im wahrsten
Sinne des Wortes! Der Wissenschaftler paraphrasiert staunend: "Was? Echt? Aber das
mit den Frauen ist sehr schlimm bei Euch." Kasseler Texte, ein
Gesellschaftskatalysator, bei deren Lektüre der Lesende lachend über Erscheinungen und
Phänomene der deutschsprachigen Gesellschaft grübelt -ununterbrochen, und wenn das
nicht, dann lacht einer bis zum Ende, bis zum grotesken Flugabsturz. (Kathrin Vent,
Kassel, 28. Juni 2001)
Bewertung: * * * *
( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)
Info: Wiesenburg Verlag, Schweinfurt 1998, 2, Auflage 2000