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Rezension

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Inhalt:

Dies ist die Geschichte der Mutter, aus der Sicht ihres Sohnes erzählt. Die Mutter verliebte sich einst in jungen Jahren in Edwin, Dirigent und mittellos. Die Mutter hingegen kommt aus wohlhabendem Hause. Ihre Liebe zu Edwin bleibt jedoch einseitig. Eine Liebe, die die Mutter ein Leben lang nicht loslassen wird. Am Ende ist Edwin ein berühmter Dirigent und ein reicher Mann. Was hingegen der Mutter bleibt, ist nicht viel...

Meine Meinung:

Das Lesen der Geschichte erinnert an ein friedliches aber stetiges Treiben im Wasser. Das Verhalten der Mutter auch. Sie geht durch ihr Leben, ohne daran wirklich teilzunehmen. Treibt von einer Tragödie auf die nächste zu, ohne wohl recht – oder überhaupt – zu merken, was geschieht. Dieses unbeteiligt sein am eigenen Leben(zumindest scheinbar, denn die Mutter ist verwundbar, wie sich später zeigt) beschreibt Widmer ganz famos. Wie genau er es anstellt, ist schwer zu sagen. Im Grunde würde ich sagen, dass das Lesen der Geschichte mir erschien, wie ein Betrachten aus sicherer Entfernung. Die Betrachtung wird verfremdet durch einen lichten, schönen Schleier (der Erzählstil könnte dieser Schleier sein), durch den der Leser zuschauen darf. Alles Tragische wird hierdurch abgemildert, erscheint gar nicht so schlimm, wie es eigentlich müsste, wenn man nur deutlicher hinschauen oder länger verweilen würde im Geschehen. Aber es geht einfach weiter. Für den Leser, besonders aber für die Mutter.

So bleibt sie im eigenen Leben stets eine Randfigur. In den Mittelpunkt wird ihr Geliebter gerückt. Den hat sie einst auf diesen Platz gesetzt, und dort bleibt er, als wenn ein Überdenken keine Möglichkeit wäre. Die Mutter führt ein ausgesprochen passives Leben. Wird ein Kind nicht gewollt, wird es abgetrieben – wie ihr geheißen. Keine Trauer, keine Reue, keine Frage. Alles lässt die Mutter mit sich geschehen, ohne anscheinend überhaupt einmal mitzubekommen, dass man ihr etwas antut. Das nimmt dem Ganzen die Tragik gleich wieder. Warum soll man betroffen sein oder trauern, wenn die Betroffene selbst es nicht einmal betrauert? Das funktioniert bis an einem gewissen Punkt, dann wird das „sich heraushalten“ unmöglich. Für den Leser! Für die Mutter noch lange nicht!

Mit voller Wucht wird ihre Passivität gegenüber dem Geschehen um sie herum deutlich, als die Schweizerin eine Reise nach Frankfurt unternimmt. Nazis, Hitler-Gruß, bedrohte Juden... all das sieht sie einfach nicht. Sie freut sich an den unzähligen Flaggen, die so wunderschön vom Wind umspielt werden. Deren Bedeutung geht komplett an ihr vorbei.

Sie nimmt all das als solch ausgemachte Belanglosigkeiten wahr, dass man als Leser selbst gern einfach darüber hinweglesen möchte, was eigentlich geschieht. Für mich liegt hier die Stärke der Geschichte. Wie konsequent Urs Widmer einfach weitererzählt, ohne bei solchen Szenen innezuhalten, ist beeindruckend. Doch nicht nur das – genau dieses stete Vorwärtsgehen in der Erzählung zeigt, wie die Mutter es erlebt. Man lernt einen bemitleidenswerten Menschen kennen, der sein Leben verschenkt, vergeudet, ja, irgendwie verpasst hat! Erschreckend! Aber genial umgesetzt! 

Abschließend kann ich sagen, dass dies wirklich eine etwas andere Geschichte ist, auf die man sich einlassen, von der man sich treiben lassen muss. Für mich eine außergewöhnliche Leseerfahrung, die ich nicht missen möchte. Ich bin schon sehr gespannt auf Das Buch des Vaters – das Pendant zu Der Geliebte der Mutter. Einerseits weil mich nach der Lektüre dieses Buches die Geschichte des Vaters ebenfalls sehr interessiert, andererseits aber auch, um eventuell das Verhalten der Mutter von anderer Seite durchleuchtet zu sehen. Auf jeden Fall ist auch das Gegenstück zu diesem Buch eine außergewöhnliche Idee. Raffiniert an beiden Büchern ist auch, dass Urs Widmer viel Raum für Spekulationen lässt, wie viel von dem hier niedergeschriebenen autobiographisch ist. Es gibt – das leugnet er auch nicht – eindeutige Parallelen zu dem schweizer Dirigenten Sacher, sowie zu seinem eigenen Leben, bzw. dem seiner Eltern. (Petra)

Button geht es zum Gegenstück dieses Buches - Das Buch des Vaters!

Bewertung: ***

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: 130 Seiten, Taschenbuch-Ausgabe, Diogenes Verlag, 8,90 €

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 30.06.2004, letzte Änderung am 01.09.2004, Layout by abrakan