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Rezension

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Inhalt:

Brügge 1459 – zu einer Zeit, da sich die Stadt anschickt, die reichste Hansestadt Nordeuropas zu werden.

Die Färberei Charetty, hat vor ein paar Jahren einen Lehrling aufgenommen, Claes, einen entfernten Verwandten. Als Spielgefährte für Felix, den Sohn des Hauses, hat er sich oft bewährt. Mittlerweile ist er ein junger Mann. Trotzdem gelingt es ihm immer wieder die Prügel für diverse Streiche einzustreichen, um Felix nicht ins zu schlechte Licht zu rücken, auch wenn er dafür schon mal im Steen, dem Gefängnis von Brügge, landet. Doch nicht nur Prügel gibt es für Claes, auch die Mädchenherzen fliegen dem fröhlichen Burschen zu.

Nachdem bei einer Badewannen-Überführung 'Mad Martha', eine Kanone, versenkt wird, schafft es Claes auch noch das Bein eines Athener Fürsten zu brechen und landet wieder einmal im Steen. Sein Gleichmut schwindet nicht, es gelingt ihm auch dabei, das Positive an seiner Situation zu sehen und aus zu nutzen.

Eines Tages wird seine Gutmütigkeit arg auf die Probe gestellt. Er gerät an einen streitsüchtigen Schotten. Simon von Kilmirren hat es scheinbar grundlos auf Claes abgesehen. Doch Simon sieht das anders, denn Claes hat ihm nicht nur sein Mädchen aus dem Bett geholt, sondern seine Ehre gekränkt. Eine wilde Verfolgungsjagd beginnt. Am Ende befindet Claes sich wieder einmal im Gefängnis und kann damit die Überschwemmung in der Stadt nicht verhindern.

Als Marian de Charetty, die Chefin der Färberei, in Brügge eintrifft, ist sie bereit Claes trotz allem in Schutz zu nehmen. Seine Informationen sind zu gut für ’s Geschäft. Allerdings ist es mit dem ruhigen Leben in Brügge für Claes vorbei.

Verwicklungen mit heiratswilligen Mädchen, Anschläge und geschäftliche Entwicklungen treiben Claes aus der Stadt, über die Alpen, nach Mailand, Florenz und in einen Beruf, den er sich vorher so vermutlich nicht einmal erträumt hätte. Aber welches Geheimnis steckt hinter diesem jungen Mann?

Eine sehr ausführliche Inhaltsangabe, mit zwischenzeitlicher Spoilerwarnung, damit man doch noch früh genug aussteigen kann, findet sich hier, auf der Verlagsseite.

Meine Meinung:

Zum Resümee hier klicken

Schon vor 20 Jahren schrieb Dorothy Dunnett dieses erste Buch zur Niccolò–Reihe. Die Lymond-Chronicles sind noch einmal 20 Jahre älter. Vergleichbares ist von anderen Autoren nicht auf die Beine gestellt worden. Damals wie heute sind diese Bücher auffällig anders, aber heute ist der Markt vielleicht endlich bereit für diese Helden!

Das Kleid

Die Ausstattung des Romans lässt keine Wünsche offen. Ein solides Werk braucht eine besondere Hülle, und die ist gut gewählt. Geschmackvolle Schutzhülle, farbiges Vorsatzpapier und abgestimmtes Lesebändchen, durchgängig gestaltetes zeitgerechtes Design plus Logo für den hellen Einband, elfenbeinfarbenes Papier für die Seiten. Selbst die Schriftart basiert auf einen Vorbild der Zeit um die Mitte des 15. Jahrhunderts.

Zweifarbiger Druck im Eingangsbereich, ein Personenverzeichnis der Hauptfiguren aufgeteilt nach den Örtlichkeiten. (Hier ist das komplette Personenregister im Internet zu finden.)

Zur Einstimmung zwei zweifarbige Karten: einmal Mitteleuropa 1459 und einmal die italienischen Staaten der Zeit. Hinzu gesellt sich ein Bild, damit man sich vorstellen kann, wie die Färber mit dem Alaun umgingen. Ein Stadtplan von Brügge, aus der Zeit Niccolòs bildet das Ende des Buches. Ein Lesezeichen mit der Darstellung eines Zugs über die Alpen und einem amüsant kommentierten Personenregister der zentralen Persönlichkeiten, rundet das Erschienungsbild ab.

Die gut 730 Seiten haben Gewicht (ca. 850 Gramm) und sind trotzdem handlich, kompakt (13x4x21 cm) und sie liegen gut in der Hand. Eine solche Hardcover-Ausgabe zu dem Preis (21,90 Euro), kann sich sehen lassen.

Die Geschichte

Dorothy Dunnett entwirft zuerst das Bild Brügges vor unseren Augen. Die Menschen, die städtischen Gegebenheiten, der Alltag, die Feste, die Struktur des Handels, die Bürger und die Adligen erhalten ihren Part, genauso wie die Handwerker. Einzelne Handwerksberufe sind mittlerweile jedem Leser von historischen Romanen näher gebracht worden. Auch den Medici ist man einige Male begegnet, doch so hat man die Färberei, die Handelshäuser, die Banken noch nicht erlebt. Hier wird klar, wie man sich frühes Bankwesen vorstellen muss und vor allem, wie man mit Informationen umgehen kann.

Der Hauptteil der Charaktere des Romans hat wirklich gelebt, nur ein paar wenige Personen sind eingepasst in diese Welt. Beinahe so, dass man glaubt, sie auf den Bildern der Zeit erkennen zu können, obwohl sie Fiktion sind. Doch Brügge ist nur der Anfang. Genf, Neapel, Mailand – durch große Teile Europas geht die Reise schon in diesem Buch.

Wer historische Romane liest, um nebenher ein wenig zu lernen, ist hier also richtig. Herrscher, Bilder, Kleidung, Möbel, Häuser, Städte, alles zeichnet die Autorin authentisch nach. Folgerecherchen, weil einzelne Bereiche besonders interessant sind, werden angeregt, aber nicht zu Pflicht gemacht. Schon allein darin zeigt sie sich als motivierende Lehrmeisterin, die selbst ausführlich und korrekt geforscht hat und diese Ergebnisse hier verarbeitet.

Wer sich jedoch nicht belehren lassen will, weil er die Oberlehrer schon immer gehasst hat, der ist hier noch besser aufgehoben, denn das, was diesen Roman von den anderen so deutlich abhebt, ist der Stil der Autorin.

Der Stil

Wer glaubt, dass er wegen der ausführlichen Inhaltsangabe auf das Lesen verzichten kann, bringt sich um das Hauptvergnügen dieser Buchreihe, den Stil von Dorothy Dunnett.

Folgender Ausspruch charakterisiert ihre Überlegungen (sinngemäß aus der Klett-Cotta-Beilage übersetzt): "Ich bin von der Idee fasziniert, dass die Leser einfach die Personen beobachten und ihnen zuhören sollten, was sie zu sagen haben. Dann können sie selbst entscheiden, ob das Gesagte richtig oder falsch ist."

Wir lauschen sehr vielen Gesprächen, dabei lesen wir die gesprochenen Worte, aber, wie im Leben, fehlen die Worte zwischen den Zeilen, die wir uns als Leser dazu denken müssen. Hier ist unser Vorstellungsvermögen, ggf. auch unsere kriminelle Energie, gefordert, und die Bereitschaft, sich in die Personen hineinzudenken und im historischen und menschlichen Kontext zu handeln. Das ist spannend, sogar bei mehrfacher Lektüre, denn mit wachsendem Kenntnisstand und selbst mit dem Wissen, wie alles in diesem Band ausgeht, entdeckt man bei einem erneuten Lesen Aspekte, denen man vorher keine Bedeutung beigemessen hatte. Man erkennt die Fährten, die die Autorin gelegt hat und leitet die Spekulationen in andere Richtungen. Das Buch entwickelt Dynamik. Ein ideales Buch für die einsame Insel – oder Diskussionsrunden. Dass sich die Spekulationen in den weiteren Büchern verändern, drehen, wenden, dass kann man schon jetzt erahnen.

Weiter auffällig sind eingestreute Vorhersagen. Immer mal wieder wird der Leser darauf hingewiesen, dass die handelnde Person etwas nicht getan hätte, wenn … - Frei nach einer Idee in diesem Buch ganz am Anfang: Ein guter Astrologe hätte ihm geraten, jetzt unverzüglich das Weite zu suchen. (Niccolò 1, Kapitel 1, Seite 15)

Dieser Rat gilt natürlich besonders für den Einstieg in die Reihe. Wer weiterhin in Ruhe sein Dasein fristen will, lässt besser die Finger von dem Buch. Wer sich jedoch gern begeistern oder anstecken lässt, wer gerne eigene Fäden spinnt und Gedankengänge verfolgt, der sollte sich diese Bücher nicht entgehen lassen, steht jedoch in der Gefahr süchtig zu werden, nach Forschung und nach den sieben Folgebänden, deren Erscheinen in Deutsch die bis zum Ende 2009 geplant sind.

Resümee

Dieses Buch beinhaltet viele Genres unter dem Überbegriff ‚Historischer Roman’. Es ist ein Abenteuerroman, Spionage- und Wirtschaftsthriller, Entwicklungsroman, eine Familiengeschichte. Gewürzt wird mit hintergründigen Details und Humor in einer wunderbaren Sprache, verpackt ist das Gesamtwerk zwischen fein gestaltete Buchdeckel. Es besteht erhöhte Suchtgefahr. (Binchen, Juni 2006)

Meine Meinung:

Dorothy Dunnett schreibt historische Romane. Normalerweise rühren jetzt die Leute, die *gute Literatur* lesen, dieses Buch nicht mehr an. Umso weniger noch, als auch der Verlag es geschafft hat, die Einguppierung mit dem Genre-Etikett "Liebesroman" zu schmücken. 
Und doch, all das ist Dunnett nicht. 

Dunnett schreibt einen Stil, der sie auf das Treppchen neben ihre Landsleute Stevenson und Scott stellt. Dunnett schreibt komplexe Bücher, die den Lesern mehr Aufmerksamkeit abfordern, als das übliche mit Präraffaeliten-Bildern auf den Buchumschlägen geschmückte Lese-Fast-Food, das sich auf den Tischen der großen Buchhandlungen tummelt. Dunnett schreibt in erster Linie spannende Romane, die sich von der Masse abheben: Ihre Handlung siedelt sie meist in der Frühen Neuzeit an. Historische Romane sind das insofern, als historische Persönlichkeiten mit erfundenen Helden agieren. Sie schreibt lebendige, faszinierende Charaktere Und zwar so, daß, man sich als Historiker, so man Dunnett gelesen hat, manchmal für einen Moment wundert, warum denn Claes in den Quellen nicht erwähnt wird. 

Es geht in diesem Buch um Claes, ein uneheliches Kind, das in Brügge bei entfernten Verwandten das Färberhandwerk lernt. Und um Brügge im 15. Jahrhunderts, mit seiner multikulturellen Gesellschaft aus den Völkern der Levante und Europas, die hier am großen Handelsplatz des Nordens ihre Geschäfte - und natürlich - ihre Politik betreiben. 
Und Claes gerät da hinein, - durch eine Kanone, einen Griechen mit einem Holzbein, eine schönen Frau und einem heißblütigen Schotten wird aus Claes, dem Tölpel, plötzlich Claes, der Soldat, der Kaufmann und mehr. Mehr sei nicht verraten von der Handlung, denn das wäre für alle Leser, die sich an Dunnetts exzellent erzählte, intelligente Bücher heranwagen Spielverderberei. Und so bleibt die Frage für die nächsten sieben Bücher die uns Klett-Cotta versprochen hat: Wer ist Claes wirklich? Und glauben Sie mir, Sie wollen es wissen! 

Wie gesagt Dunnett schreibt Romane, die, nach der Tradition des Genres, mit einer Vielzahl von Handlungssträngen und Personen, an die sich der entwöhnte Leser wohl erst mal wieder gewöhnen muß, erzählerisch entwickeln. Darin gleicht sie einem anderen Zeitgenossen, der ähnlich wie sie, seine Romane in der Vergangenheit ansiedelt. Nicht nur stilistisch auch von der Vielschichtigkeit der Handlung und der Anforderungen an die Leser ist Dunnett mehr Eco als Gablé und Gabaldon. Und läßt man sich auf Dunnetts Anforderungen an ihre Leser ein, dann wird man Dunnetts intelligenter und sinnlicher Fabulierkunst, ihrem feinen britischen Humor und ihrem Sprachwitz komplett verfallen. (Martine)

Button gibt es nähere Informationen zur Autorin und ihren Serien im Autorenbericht des Buecher4ums
Button findet man die Verlagshomepage, die sich rund um die Welt von Niccolò dreht
Button findet man DIE private deutsche Dorothy Dunnett Homepage

Bewertung: ****(fett)

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: 730 Seiten, 21,90 Euro, Hardcover von Klett-Cotta, Erscheinungsdatum 26.06.2006

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 06.07.2006, letzte Änderung am 13.11.2006, Layout by abrakan