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Rezension

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Inhalt:

In diesem Buch wird die Kindheit Hildegard Palms beschrieben. Hildegard ist das Kind kleiner, kaum gebildeter Leute. Ihre Welt und die Welt ihrer Verwandten wird von einem Übermaß an Ver- und Geboten bestimmt, in der katholisch zu sein, der liebe Gott, der Bürgermeister und der Pfarrer das Maß aller Dinge sind.

Der Vater, ein ungelernter Arbeiter, dessen Bildung allenfalls als rudimentär bezeichnet werden kann, dem aber dennoch klar ist, dass sein freudloses Leben mit schlechtbezahlter Arbeit, Eintönigkeit, Gehorsam und Duckmäuserei gegenüber praktisch allen anderen, anders hätte verlaufen können. EINE GEWISSE Befriedigung findet er nur beim Herumwerkeln und bei der Gartenarbeit.

Sein Frust, gepaart mit seinem Unvermögen sich verbal auszudrücken, wird dann unvermittelt an der anstrengenden, oft lästigen Tochter ausgelassen. Da kommt es schon mal vor, dass das Gesicht des Mädchens in einem Teller mit kochender fetter Suppe landet und ihr lebenslang fleckige Rötungen beschert, oder dass aus nichtigen Anlass mit einem dicken Prügel, der perfiderweise auch noch blau bemalt ist, dreingeschlagen wird. Die Mutter billigt diese drastischen Strafen in den meisten Fällen und versetzt ihre Tochter zusätzlich mit der Drohung: „Wat bes dä Pap no Huus kütt!" in Angst und Schrecken.

In der Regel behandelt die Mutter ihre Tochter wie ein lästiges Ärgernis und zieht den Bruder eindeutig vor. Sie bezeichnet ihre phantasiebegabte Tochter, deren Beweggründe für die Flucht in andere Welten ihr unverständlich bleiben, verächtlich als „dumme Döppe".

Die vom Katholizismus als alleinseligmachende Lebensform besessene bigotte Großmutter droht ihr regelmäßig mit ewiger Verdammnis und bezeichnet ihre Enkelin als „däm Düvel us dä Kiep jesprunge".

Wäre da nicht der liebevolle Großvater, der die Phantasieausflüge seiner Enkel nach Kräften mit selbsterdachten Märchen und Geschichten fördert, wäre die Kindheit Hildegard Palms und ihres jüngeren Bruders wohl ein einziges Jammertal. Durch ihn und seine verständnisvolle Art zeigt er ihr jedoch eine Welt außerhalb von Lieblosigkeit und Enge. Er weist ihnen einen Weg, Trost und Magie in kleinen Dingen wie einer Baumrinde, einem speziell geformten Stein oder einfach in der steten beruhigenden Kontinuität des Flusses zu finden.

Mit der Einschulung und dem Kennenlernen der einzelnen Buchstaben, die sich wundersamerweise zu immer neuen Wörtern ordnen, ist ihre Magie, ihre Flucht, ihre Freiheit perfekt. Bei Schiller findet sie Jahre später ein Zitat, das ihre Gefühle wiederspiegelt: „Denken ist Flucht in den Kopf, in die Freiheit. Freiheit ist im Kopf."

Auch die Schwester eines Kaplans, die eine örtliche Bibliothek verwaltet, tut ein Übriges, indem sie ihr kaum vorhandenes Selbstvertrauen mit Gesprächen und passender Literatur stärkt.

So wächst sie mit und an der Magie ihrer Wörter und Bücher und lernt die Eintönigkeit, die Enge und das begrenzte Einerlei ihres Lebens zu ertragen und eigene Gedanken und Vorstellungen zu entwickeln. Am Ende kann sie so einen Weg in ein selbständiges Leben als starke junge Frau, die an ihren Prüfungen gewachsen ist, beginnen.

Das Buch, das mit autobiographischen Zügen ein anschauliches, differenziertes Beispiel ist, eine Kindheit ohne Wärme und körperliche Nähe in der Familie aufzuarbeiten, ist prägnant und zu Herzen gehend.

Ulla Hahn hat mit diesem Roman ein Meisterstück vorgelegt, in dem sie in einem oft bedrückenden Buch, das einem beim Lesen die Brust zu eng werden lässt, in großartiger Weise einen Weg aus Abhängigkeit, Not und körperlicher Gewalt aufzeigt, wie ich ihn beeindruckender und glaubhafter bisher nicht gelesen habe. Nicht ein überflüssiges oder deplaziertes Wort, kein einziger falscher Ton. Für mich eines der besten Bücher des vergangenen Jahres. (Mariposa)

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Bewertung: ****

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

Infos: 592 Seiten, Originaltitel: Das verborgene Wort, Ersterscheinungsjahr: 2001 by Deutsche Verlags Anstalt Stuttgart/München, ISBN Nr. 3-421-05457-6, Preis: 25,- €

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© 1998 Buecher4um, erstellt am 01.03.2003, letzte Änderung am 14.01.2004, Layout by abrakan