1ADIMD5.gif (12828 Byte) Zurück zu neuere Bücher          Zurück zu Buchbesprechungen März 2002

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Meyer, Detlev

Das Sonnenkind:

 

Zum Buch:

Es gibt Bücher, die sind etwas ganz Besonderes; wie eine Perle, wie ein Stern, wir werden tief berührt, emporgehoben zwischen Lachen und Weinen. Ich habe mir das Buch nur auf Empfehlung gewünscht und hatte keine Ahnung, was mich erwartet. Aber schon als ich es in der Hand hielt, durchblätterte, den Klappentext las, fühlte ich Sympathie. Es gibt nicht viele Bücher, mit denen es mir von Anfang an so geht. "Das Sonnenkind" hielt, was es versprach, es ist das beste Buch, das ich 2001 gelesen habe. Ich bin froh, dass Detlev Meyer, obwohl er in diesem Buch seine eigene Kindheit reflektiert, sich für einen Roman entschieden hat. Ich denke, dadurch war er freier im Gestalten, Weglassen, Träumen...Das Buch ist eben mehr als Erinnerungen an die eigene Kindheit, es ist ein literarisches Kunstwerk, ein Geschenk zum Abschied.

Ich habe mir erst beim lesen klargemacht, dass Detlev Meyer schon todkrank war, als er das Buch schrieb und als es erschien, war er nicht mehr. Oft sind Klappentexte nichtssagend, eine Minibeschreibung, versprechen mehr, als sie halten können. Dieser hier nicht, er drückt besser aus als ich es kann, wie das Buch ist. Deswegen stelle ich ihn als ein Teil dessen, wie ich das Buch empfand, hier rein.



Klappentext / Meine Meinung:

-"Dieser kleine leichte Roman läßt eine vergangene Zeit, eine untergegangene Welt wiederaufleben. Die Zeit umfaßt einige Monate um das Jahr 1960, die Koordinaten dieser Welt heißen Truseweg und Neukölner Schiffahrtskanal. Im Zentrum des geschilderten Kosmos steht der neunjährige Carsten Scholze, das Alter ego des Autors, ein aufgewecktes Kind mit ausgeprägtem schauspielerischem Talent, das im ganzen Truseweg beliebt ist - ein richtiges "Sonnenkind". Gehätschelt von denEltern, von Großmutter und Tanten und selbst vom großen Bruder, ist seine wichtigste Bezugsperson jedoch der GroßvaterMax Wollin. Der alternde Lebemann, der in seiner ehemaligen Sekretärin, eine "ramponierten Blondine", seit mehralsdreißig Jahren eine offizielle Zweitgattin hat, nimmt den Enkel auf seine Ausflüge in die feine Welt des Cafe Kranzler mit. Aus der Sicht des Jungen werden traurige und komische Schicksale aus der Nachbarschaft des Trusewegs geschildert. Siezeigen, dass das Leben auch in diesem Sträßchen die ganze Spannweite menschlicher Erfahrung ausmißt. In dieser kleinenWelt wird geliebt, gehaßt und auch gestorben - genau wie in der großen.

Detlev Meyer hat ein federleichtes Buch geschrieben, bezaubernd und wehmütig, wie nur er es konnte. In seinen letztenLebensmonaten hat er sich an das Kind erinnert, das er einmal war, um der intensivsten Momente des Glücks und der Geborgenheit zu gedenken. So ist "Das Sonnenkind" ein rührender Abgesang auf das Leben insgesamt: Ohne dass auf den nahen Tod des Autors Bezug genommen wird, spürt man, dass dieser heiter-melancholische Text für Meyer das war, was für den alten Max Wollin die letzte Liebesnacht mit seiner "zweiten Gattin" ist - seine Abschiedsvorstellung."-

Detlev Meyer wurde 1950 in Berlin geboren, studierte Bibliotheks- und Informationswissenschaften in Berlin und Cleveland, Ohio, war Bibliothekar in Toronto und Entwicklungshelfer in Jamaika. Er lebte als freier Autor in Berlin, wo er am 30.10.1999 an Aids starb.

Ich bin echt traurig, dass Detlev Meyer so bald starb und es tut mir echt leid, dass er nicht so bekannt ist, wie manche andere. Denn er schreibt wirklich gut und ich weiß jetzt schon, dass ich seine autobiographischen Romane, in denen er ein Bild seines
schwulen Lebens zeichnet, lesen werde.

Für das Sonnenkind wünsche ich mir natürlich noch viele Leser. Mich hat das Buch berührt und begeistert, es gehört für mich in die Sparte "Herzbücher", ein Buch, das ich nie vergessen werde. (Ajda)

 

Meine Meinung: 

Kennt Ihr Carsten? Carsten ist neun, wohnt im Berliner Stadtteil Neu-Kölln im Truseweg, und er weiß ganz genau, wenn er eines Tages erwachsen ist, wird er alles wissen, was man wissen muss (Ich zitiere: Wie viele Berge es auf der Erde gibt, wie hoch die sind und wie sie heißen; die Länge der Flüsse, und wo sie entspringen; die Hauptstädte aller Länder und alle Länder wird er nennen können; die Präsidenten und Bundeskanzler; Oma zur Freude die Könige und Kaiser und für Papa, wer in Bern die Tore geschossen und wann Toni Turek Geburtstag hat). So ähnlich beginnt der Roman "Das Sonnenkind" von Detlev Meyer, der einen Sommer des Jahres 1960 wiedergibt, und schon haben wir einen kleinen Eindruck von Carsten: er ist neugierig auf die Welt und sehr aufgeweckt, manchmal recht altklug, aber dank seines freundlichen Wesens wird ihm das von allen Anwohnern des Truseweges und von seiner Familie gerne verziehen. Der Truseweg ist klein - es gibt nur ein paar Mietshäuser und die kleine Kneipe an der Ecke - daher kennt Carsten alle Nachbarn, weiß fast alles über sie. Auch seine Familie ist überschaubar, im Truseweg 2 lebt er mit den Eltern, Großeltern und seinem großen Bruder. Mit besonderer Liebe hängt er an seinem Opa, Max Wollin. Der macht mit ihm Spaziergänge am Schifffahrtskanal, geht mit ihm ins "Kranzler" - dort darf Carsten wie ein Großer aus einem Cognacschwenker trinken, natürlich nur Sinalco **g**, und ab und zu spendiert der alte Wollin seinem Enkel eine Taxifahrt. Wenn Carsten nicht mit dem Großvater unterwegs ist, erforscht er die nähere Umgebung "seiner" Straße, er schaut bei Dreharbeiten zu; er erlebt, wie sein Bruder einen Hund aus dem Kanal rettet; er unterhält sich ernsthaft, wie es nur ein 9jähriger, altkluger Bengel kann, mit den Nachbarn. Am liebsten würde Carsten die Zeit festhalten, er ist ein glücklicher, kleiner Junge. Das Glück wird getrübt, als eines Tages der Großvater erkrankt und sich zu verändern beginnt, für den kleinen Carsten unerklärlich...........

In diesem Roman existiert sie noch, die heile Welt, auch wenn der Großvater Max zum Beispiel schon seit Jahrzehnten neben seiner Angetrauten ein Verhältnis mit seiner ehemaligen Sekretärin hat; oder Eduardo, einer der Nachbarn, Carstens Mutter anbaggert (wie wir heute sagen **g**). Die Familie und Umgebung Carstens wird liebevoll von Meyer beschrieben, hauptsächlich aus der Sicht des Jungen, in einem wundervoll leichten Ton, wie ich finde. Ich habe Euch nur ein paar Szenen aus dem Buch aufgezeigt, aber ich fand es RUNDUM lesenswert, habe wieder mal gelächelt und auch geschluckt. Es ist ein bisschen "Zimthaus" von Bjarne Reuter, hat was von Kästners Kinderromanen oder auch von Falladas Romanen "Damals bei uns daheim" oder "Heute bei uns zu Haus". Ich gebe zu, Fallada und Kästner kamen mir erst in den Sinn, nachdem ich eine Rezension übers "Sonnenkind" gelesen habe, mir daraufhin "meinen" Fallada (einer meiner Lieblinge!!) noch mal angeschaut und durchgeblättert habe, und gemerkt habe: Ja, das ist der Ton, den ich bei Fallada so geliebt habe und den ich hier im Roman wiedergefunden habe. (gertie)

 

Bewertung: * * * * (Gertie)

Bewertung: * * * * (Ajda)

( * schlecht / ** ganz gut / *** gut / **** spitze)

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Info: Aufbau-Verlag, HC, 188 Seiten, 32,90 DM