Jonathan
Franzen
10.09.2003 im Limelight, Köln
Moderation: Denis Scheck
Deutsche Texte: Bernt Hahn |
Strömender Regen und
das „Fußballspiel des Jahres“ konnten mich am
10.09.2003 nicht davon abhalten 100 km nach Köln zur
Lesung von Jonathan Franzen zu fahren.
Und es hat sich
gelohnt.
Nach einer kurzen
Einführung durch einen Mitarbeiter des Veranstalters
Literaturhaus Köln übernahm der Kritiker Denis Scheck
die Moderation und gab sie auch so schnell nicht wieder
ab. In aller Ausführlichkeit berichtete er, wie er vor
ca. zwei Jahren in den Besitz der ersten Auflage von
Franzens „The corrections“ gekommen war. Als er nach
langen Minuten fertig war, durfte endlich Jonathan Franzen
ans Mikrofon. Mit jungenhaftem Charme, trockenem Humor und
einigen fließenden deutschen Sätzen hatte er den Saal
schnell auf seiner Seite. Große Heiterkeit löste seine
Bemerkung aus: „Sind Sie gewarnt worden? Dies ist eine
Lesung. Es werden nur Texte vorgelesen.“ Aber genau
deswegen war das zahlreiche Publikum ja gekommen. Scheck
wurde zur Nebenfigur und durfte nur noch hin und wieder
als Übersetzer helfend eingreifen. Dies war jedoch nur
selten nötig, da Franzen deutsch sehr gut versteht, sich
aber zum Sprechen in der englischen Sprache sicherer
fühlt.
Aber warum spricht
Franzen so gut deutsch? Nach seiner Schulzeit wollte er
nicht Naturwissenschaften studieren, seine Eltern rieten
ihm vom Englischstudium ab, da sie dies für nutzlos
hielten. Also begann er mit Deutsch, allerdings stellte
sich die deutsche Sprache für ihn bald als schwierige
Wissenschaft heraus. Zwei Jahre seines Studiums verbrachte
er in München und Berlin. Besonders intensiv befasste er
sich mit den Werken von Goethe, Kafka, Thomas Mann und
Döblin. Peinlicherweise musste ich so feststellen, dass
auf der Bühne ein Amerikaner saß, der von deutscher
Literatur deutlich mehr Ahnung hatte als ich. Seine
Erinnerungen an die Münchner Studientage sind aber nicht
nur erfreulich, da er sich darüber beklagte, dass er
seinerzeit bei seinen Kommilitoninnen überhaupt nicht
ankam und sich keine Frau für ihn interessierte. Dass das
mehrheitlich weibliche Publikum dies kaum glauben wollte
sei hier nur am Rande erwähnt. Außerdem berichtete er,
dass er einmal in München zwei Steine von einer Baustelle
gestohlen habe um sie, mit Zeitungspapier umwickelt, als
Buchstützen zu verwenden. Obwohl kein Mensch zu sehen
war, rannte er mit den Steinen so weit wie möglich, und
fühlte ständig den Atem des Gesetzes im Nacken. „Franz-Josef
Strauß, Sie verstehen.“ Doch die Zeiten als armer
Student, der für eine dreimonatige Übersetzungsarbeit
von Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“ nur 40 Dollar
erhielt, sind lange vorbei. Allein in den USA wurde „The
corrections“ mehr als eine Million Mal verkauft.
Die eigentliche
Lesung begann für mich überraschenderweise mit dem Essay
„Alter Plunder“ aus Franzens Essayband „Anleitung
zum Einsamsein“. Der erste Teil wurde vom
professionellen Sprecher Bernt Hahn auf deutsch
vorgetragen, den zweiten las Franzen selbst auf englisch.
Er ist ein guter Vorleser, der treffende Betonungen setzen
kann und so den Textfluss unterstützt. Wirklich schön
wird der Vortrag aber erst durch seine tiefe und
wohltönende Stimme. Unmöglich, davon nicht ergriffen zu
werden.
Nach der Pause ging
es dann mit härteren Tönen weiter. Bernt Hahn las eine
lange Passage aus Franzens neuem Roman „Die 27ste Stadt“.
Hier wird minutiös eine Jagdszene geschildert, die
fröhlich beginnt, aber in einem ekelerregendem Blutritual
endet, so genau, dass sich beinahe Übelkeit einstellt.
500 Menschen halten die Luft an, kein Laut ist zu hören,
als Hahn seine Lesung beendet, bis donnernder Applaus
losbricht. Auch Franzen ist sichtlich beeindruckt, er
dankt dem Sprecher mit den Worten: „Die beste Lesung von
meinem eigenen Werk, die ich je gehört habe.“ Dann soll
auch er noch einmal lesen und kündigt an: „I read the
first passage and half of the book.“ Leider macht er die
Ankündigung nicht wahr und liest nur etwa zwei Seiten.
Jetzt ist Zeit für
die Fragen, die das Publikum in der Pause auf Kärtchen
notieren konnte, der Punkt, der Franzen nach eigener
Auskunft am meisten Spaß macht. Auch die
überflüssigsten Fragen werden von ihm mit Charme und
Humor beantwortet. Ja, er ist ein politischer Mensch, aber
nur außerhalb seines Arbeitszimmers. Er verfolgt die
amerikanische Politik genau, liest viele Zeitungen und
ärgert sich über den amerikanischen Präsidenten („steam
comes out of my ears“). Nein, die deutschen
Übersetzungen seiner Bücher liest er nicht, es fällt
ihm auch schwer seine Texte auf englisch mehrmals zu
lesen, immer wieder entdecke er dann unschöne Sätze. Den
Vorwurf ein bourgeoiser Romanschriftsteller zu sein, der
die Zeichen der Avantgarde nicht erkannt hat, kontert er
kühl. Die Avantgarde brauche schließlich die
Bürgerlichen als Reibungsfläche, gegen wen soll sie
sonst anrennen. In diesem Sinne seien die Bürgerlichen
die wahren Helden. Deswegen macht es ihm auch nichts aus
ein Krawatte zu tragen, im Gegenteil er hat Spaß daran
sich schick zu machen.
Angesprochen auf den
Roman „Middlesex“ von Jeffrey Eugenides sagt er, der
Roman habe ihm gut gefallen, es sei ein sehr gutes Buch.
Und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „I have to say
this. He`s my friend.“
Als die Fragestunde
beendet wird stürmen zahlreiche Besucher zur Bühne, doch
der Veranstalter sagt, das Signieren der Bücher fände im
Foyer statt. Zufälligerweise stand ich gerade am Ausgang
zum Foyer, so dass es nur wenige Schritte bis zum
vorbereiteten Tisch waren. So war ich eine der ersten in
der Schlange und habe jetzt eine schöne Widmung und
Unterschrift in meinem Buch.
Schade, dass man in
Deutschland so selten Gelegenheit hat Jonathan Franzen
live zu erleben.
(Verfasserin des
Berichts: Christine)