Rex Stout (1886-1975)

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Rex Stout (1886-1975)

Beitragvon Hastings » Do 16. Mai 2024, 19:12

Ein echtes Schwergewicht im wörtlichen Sinne, hier allerdings noch ohne eigenen Thread. Man stelle sich vor, Mycroft Holmes wäre Amerikaner und darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann hätte man Nero Wolfe.

Jeglicher körperlichen Tätigkeit abhold, nur unter äußerster Gegenwehr zum Verlassen seines Hauses zu bewegen, aber ein durchaus brillianter Kopf. Erzählt werden seine Erlebnisse von seinem HiWi für alles, Archie Goodwin, der seinen Chef mit allen seinen Macken zu nehmen weiß, allerdings auch die gesamte Laufarbeit für ihn erledigt. Desweiteren beschäftigt Wolfe einen Schweizer Koch, der seinen enormen Appetit befriedigt, sowie einen Gärtner, mit dem er sich seiner (neben dem Essen) einzigen Passion widmet, die er nur ungern für die Detektivarbeit unterbricht: der Orchideenzucht.

Fast alle Wolfe-Romane wurden im Laufe der Jahrzehnte ins Deutsche übersetzt, allerdings wurden Stouts gesellschaftskritische Ansätze dabei geglättet oder ganz gestrichen, und wie bei vielen anderen Autoren auch waren inhaltliche Änderungen und Kürzungen keine Seltenheit. So wurde Nero Wolfe in der deutschen Wahrnehmung nur ein weiterer gefälliger Romandetektiv von vielen, wozu auch die eher frei adaptierte Fernsehserie mit William Conrad (bekannt als "Cannon") beitrug, die bereits 2019 von Fernsehjuwelen auf DVD veröffentlicht wurde.

Schon 2017 begann der Klett Cotta-Verlag mit einer Neuauflage der Wolfe-Romane, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern mit den "populärsten" Titeln der Reihe. Leider wurde dieser ambitionierte Versuch bereits 2020 nach nur 6 Bänden wieder eingestellt. Dabei gab man sich bei der Umsetzung wirklich Mühe.

Den Anfang machte "Es klingelte an der Tür", sicher nicht der beste, aber wohl der meistverkaufte Titel der Reihe, in dem Stout mehr oder weniger offen das FBI kritisiert, was ihm einigen Ärger bescherte. Besonders in den USA war so ein Stoff während der Ära J. Edgar Hoovers natürlich gern genommen, hierzulande kann man sich zumindest an Wolfes pfiffigen, wenn auch nicht unbedingt realistischen Tricksereien erfreuen, die sogar den großen Hoover auf den Plan rufen, der dann am Ende auch an der Tür klingelt.

"Zu viele Köche" ist dann schon eher ein typischer Titel der Reihe. Während eines Kochwettbewerbs, bei dem Wolfe als Juror fungiert, kommt es zu einem Mord, den der Gourmet nur zu gerne klärt, winkt ihm doch als Belohnung ein besonderes Würstchenrezept (daß der Klett Cotta-Verlag sogar im Anhang mitliefert).

Als dritter Titel folgte "Der rote Stier", ein auch eher humoristischer Stoff. Ein Fastfood-Fabrikant hat als Attraktion für sein Barbecue den titelgebenden Hornträger erworben, um ihn seinen Gästen in Burgerform zu servieren, was natürlich den Züchterverband und andere interessierte Parteien auf den Plan ruft. Und Archie Goodwin lernt hier Lily Rowan kennen, die zwar nie DIE Frau seines Lebens wird, aber dennoch immer wieder eine Rolle spielen wird.

Es folgten noch "In den besten Familien" (mit der Einführung eines Erzgegenspielers), "Zyankali vom Weihnachtsmann" (eher eine Novelle) und "Die goldenen Spinnen" (guter Durchschnitt, mit einigen Härten). Kurioserweise drückte man sich vor dem Serienauftakt "Die Lanzenschlange" bis zum Schluß (was aber daran liegen kann, daß der Roman eher zäh ist). Leider wurde die vorgenommene Titelauswahl vom zahlenden Publikum anscheinend nicht im nötigen Maße honoriert, so daß man bei Klett-Cotta die Wolfe-Reihe aufs Abstellgleis schob und sich lieber verstärkt auf die Weihnachts- und Urlaubskrimis von Nicholas Blake & Co. konzentrierte.

Alle Bände sind in Leinen gebunden, komplett neu (und vollständig) übersetzt, mit Nachwörtern (allerdings von schwankender Qualität) versehen und sogar "Bonusmaterialien" (wie etwa das erwähnte Würstchenrezept) gibt es. Wer mal reinlesen möchte, hier ist die Chance, mit jeweils 15 Euro sind die Bände auch relativ erschwinglich. Neueinsteiger sollten aber eher mit "Zu viele Köche" oder "Der rote Stier" beginnen, "Es klingelte an der Tür" ist dann doch zu speziell.
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Re: Rex Stout (1886-1975)

Beitragvon JMaria » Fr 17. Mai 2024, 10:36

Hallo Hastings,

ein schöner, ausführlicher Bericht der Aufschluss über die Übersetzungen gibt, sehr hilfreich wenn man sich der Serie nähert.

Ich habe vor Jahrzehnten Nero Wolfe gelesen, aber ich kann mich nur noch erinnern, an den gewichtigen Mann der kaum aus seinem Büro rauskommt und einen Assistenten hat, der die Laufarbeit tätigt. (Wie du es oben ja auch beschreibst).

Heute würde ich, wie du es empfiehlst, auf Klett-Cotta zurückgreifen. Wäre vielleicht eine gute Idee.

Und die Serie „Cannon“ habe ich mit meinem Vater angeschaut. Da werde ich richtig nostalgisch.

Danke für deinen Anreiz :lesen_und_nachdenken:
Schöne Grüße, Maria
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Re: Rex Stout (1886-1975)

Beitragvon steffi » Mi 22. Mai 2024, 08:07

Interessant, danke Hastings ! Ich kenne nur die Fernsehserie. Immerhin schön, dass es ein paar Bände in guter Übersetzung gibt !
Gruss von Steffi

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Re: Rex Stout (1886-1975)

Beitragvon JMaria » Sa 3. Aug 2024, 15:01

Wer mal Nero Wolfe außerhalb seines Wirkungskreises New York erleben möchte, greife zu Nero Wolfe in Montenegro.

Sein Freund und Restaurantbesitzer Marko Vukcic wurde auf offener Straße erschossen. Die Spur führt nach Montenegro zu Unterstützern und Gegner des Tito-Systems. Also muß sich Nero Wolfe, selbst montenegrinischer Herkunft, auf verschlungenen Pfaden ins Land schleichen, an seiner Seite natürlich sein Assistent Archie Goodwin.

Und es staunt nicht nur Archie wie Nero Wolfe seinen massigen Körper über Klippenpfaden manövriert, auch der Leser kann es kaum glauben. Trotz dass manches zu glatt geht und man Nero Wolfe so manche Geschichte auf Anhieb glaubt wie er ins Land gekommen ist, ist es ein spannender Fall und der Humor kommt auch nicht zu kurz (ausgehend von Archie, denn Nero ist ja meist schlecht gelaunt).

Ich mochte diesen Krimi, mit dem doch ungewöhnlichem Setting Montenegro, der zu einer Zeit spielt als es noch das Jugoslawien gab und Untergrundgruppen von Ausgewanderten, die in USA leben, heimlich unterstützt wurden.

Ich habe mich gefragt, warum Rex Stout wohl einen Privatdetektiv mit montenegrinischen Wurzeln wählte. Ich kann nur spekulieren:

1. Rex Stout war politisch sehr engagiert und kämpfte gegen linken und rechten Extremismus. Dennoch dachte er differenziert genug um gegen die antikommunistische Kampagne McCarthys zu sein.

2. Montenegro war vielleicht ausgefallen genug um interessant zu wirken. Allein schon der Name, der Schwarzer Berg bedeutet, ist schon recht mystisch.

3) oder es flog die Idee Rex Stout einfach zu, wie Agatha Christies Mrs Oliver, die fiktive Schriftstellerin aus einigen ihrer Krimis, die einen Finnischen Detektiv namens Sven Hjerson benutzt und weiß um Grunde auch nicht, warum sie ihn wählte
:zwinker:

Das Ende des Krimis ist politisch und demokratisch korrekt, auch wenn zwischendurch oft schnell die Waffen gezogen wurden. Ein angenehmer Hardboiled Krimi.


Ich las die Ausgabe aus der Reihe Fischer Crime Classic von 2009 übersetzt von Mechtild Sandberg von 1999. Es kommen darin auch schon mal veraltete Begriffe vor, wie z.B. „fürbass“, was ich aber eher charmant fand, als störend.

Der Originaltitel „The Black Mountain“ von 1954

Es gibt in dieser Ausgabe ein Nachwort von Lars Schafft über Die Einführung in die Welt der englischen Whodunnits

Allerdings wird darin leider nichts näheres über Rex Stout und Nero Wolfe erwähnt, was ich schade fand. Heute in Zeiten des Internets hat man, wenn man möchte, Infos schnell parat.

Es hat Spaß gemacht mal wieder Nero Wolfe zu lesen.
Schöne Grüße, Maria
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