Liebe Maria,
da bin ich noch ein bisschen hinter Dir. Ich bin bei Kapitel 26. bei meiner
Fischer-Ausgabe.
Du fragtest nach der Bedeutung des Titels und wie ich ihn sehe: Religiös hatte ich es erst mal nicht gedeutet, kommt aber hin. Dazu später mehr.
Auferstehung sah ich im Sinne der „Selbsterneuerung“ – geistig, seelisch, emotional. Da auch Tolstoi sich in Laufe seines Lebens immer wieder selbst suchte und innerhalb der verschiedenen Lebensbereiche selbst zu erneuern suchte, deute ich den Titel und den Plot so:
Zu Beginn lebt der Fürst das klassische leben eines reichen Adligen, wie es in Russland dieser Zeit erwartet und durch die privilegierte Geburt vorgegeben ist. Er ist sich dessen zu Beginn schon hin und wieder bewusst, dass es nicht so ganz in Ordnung ist. Allerdings ist er zu schwach, etwas daran zu ändern. Aufgrund der Widerbegegnung mit seinem „schlimmsten“ Vergehen in der Vergangenheit – Maslowa vor Gericht – beginnt bei ihm die Wandlung – eine geistige Wandlung-. Doch auch während des Prozesses ist er noch zu schwach und auch zu gefangen von all seinen Gefühlen, Gedanken und Erinnerungen. Dadurch begeht er erneut einen schlimmen Fehler und lädt Schuld gegenüber Katjuscha auf sich. Und diese erneute Schuld lässt ihn in seiner Auferstehung oder besser geistig-emotionalen Wiedergeburt weiter voranschreiten.
Ob es zur vollendeten erneuerten Auferstehung oder Wiedergeburt kommen kann am Ende, das weiß ich zum Glück nicht, weil ich das Ende der Verfilmung aufgrund meines Wunsches das Buch direkt zu lesen, nicht mehr geschaut habe.
Aufgrund Deiner Frage habe ich dann doch mal in der Deutung im Anhang nachgelesen. In meiner oben verlinkten Ausgabe ist ein Auszug aus dem neuen Kindler Literaturlexikon und die dortige Deutung besagt:
Genau wie Du schon vermutet hast, ist die Osterfeier eine zentrales Ereignis der Geschichte. Tolstoi glaubt aber nicht an dieses Wunder, das das Neue Testament beschreibt. Er glaubt vielmehr, dass die Auferstehung nicht jenseits des Grabes, sondern bereits in DIESEM Leben geschieht. Sie besteht für ihn darin, dass das geistige Prinzip im Menschen über das fleischliche siegt, dass der Mensch aufhört, den falschen Vorbildern zu folgen. Schließlich beginnt der Mensch der Stimme der göttlichen Vernunft zu folgen, die durch das Gewissen in uns spricht, zu folgen.
Beide Protagonisten machen diese „Auferstehung durch:- Nechljudow durch die erneute Konfrontation mit Katjuscha und seiner ihr gegenüber aufgebürdeten Schuld.
-Katjuscha durch die beharrliche Liebe Nechljudows, die sie aus ihrer sittlich verwerflichen Lage zu befreien sucht, wogegen sie sich aber lange wehrt.
Am Ende so soll das Buch zeigen, dass sie moralisch höher und reiner dasteht als der Fürst.
Soweit die Darlegungen in kurzer Zusammenfassung.
Du fragest auch, wie ich die Charakteren sehe:1.Fürst Nechljudow: Er ist für mich eine klassisches Kind seiner Zeit gepaart mit einem recht schwachen Charakter (hier sind weitere starke Parallelen zu Tolstoi selbst zu erkennen.) Der Fürst weiß um seine Fehler, hat aber letztlich nicht die Kraft sie nicht zu begehen. Er lässt sich vom gesellschaftlichen Zwängen leiten.
- zumindest bis zu den Seiten, die ich bis jetzt gelesen habe.
2. Katjuscha: Im Grunde ist sie bereits zu Beginn schon stärker und emotional-psychisch reifer und gefestigter als der Fürst. Allerdings kann auch sie durch die äußeren Einflüsse bedingt, nichts mit ihrer Stärker und auch Vernunft ausrichten. Sie muss sich ihrem Schicksal unterwerfen und versuchen das Beste daraus zu machen. Und das, obwohl sie die Kraft hätte, etwas zu ändern.
Kennt man Tolstois Biographie, so zeigen sich jede Menge reale, geistige und emotionale Parallelen zu ihm und seinem Leben.
Tolstoi polarisiert mich ein wenig: Einerseits mag ich seine Bücher sehr, andererseits empfinde ich ihn in bestimmten Phasen seines Leben als Heuchler und als Mann mit zwei Moralvorstellungen – und von seinem Frauenbild ganz zu schweigen!