Hallo zusammen,
Maria, New Mexico passt ja schön zum aktuellen Wetter hier!

Mein Aufenthaltsort stellenweise auch. Kalimpong in Indien. Aber es zieht mich auch oft nach New York, denn der Sohn (Biju) des Kochs von Richter Jemu Patel, ist nach New York gegangen. Dort ist es in den Sommertagen natürlich auch unerträglich heiß. Aber Biju hat auch schon einen eiskalten Winter dort verbracht. Er musste für ein chinesisches Restaurant Essen ausfahren. Mit dem Fahrrad. Er hat geweint vor Kälte. Und auch der Versuch sich mit der auszuliefernden Ware zu wärmen, reichte nicht aus.
Zur Zeit ist in Kalimpong Monsun-Zeit. Im undichten Steinhaus des Richters sprießt nun alles in den schillerndsten Farben. Aber so bunt und fröhlich sich das anhört, so deprimierend ist es: Denn was da sprießt ist der Schimmel, der sich auf alles setzt. Und rote (Stock-)Flecken, auf der Kleidung.
Und auch Biju, der es in die USA geschafft hat, worum ihn in Indien alle beneiden, ist zu bedauern. Diese andere Welt ist mindesten genauso schlimm zu ertragen, wie die Armut in seinem heimischen Dorf. Denn all der Reichtum und all die Anerkennung sind den Reichen vorbehalten. Und keinesfalls Einwanderern wie ihm. Zumal noch illegalen Einwanderern. Biju ist ein Niemand! Und das wird ihm täglich vor Augen geführt - und mir als Leser gleich mit!
Ein gewaltiges Buch, das von Ungeheuerlichkeiten erzählt, die für viele Menschen ganz bittere Wahrheiten sind! So langsam bekommt man beim Lesen eine Gänsehaut!
Dennoch schaffen es Sai (des Richters Enkelin), der Richter (mit seinen Erinnerungen an seine jungen Jahre), der Koch (der so stolz auf seinen Sohn in den USA ist und mit ihm so liebenswert angibt), Biju (der so gern zurück nach Indien will, aber ohne eine Green Card gar nicht wieder ausreisen kann) und Mutt (der Hund des Richters), mir eine wunderschöne, liebenswerte Zeit mit ihnen zu verschaffen. Sie haben sich mir sehr vertraut gemacht. Ich kann ihre Sorgen und Nöte und ihre Hoffnungen so gut verstehen. Und habe gerne Teil an ihrem Leben. Auch wenn es manchmal kaum zu ertragen ist. Aber Selbstmitleid kennen sie nicht - denn für sie ist das Normalzustand! Für den Leser aber keinesfalls!
Beeindruckend, wie die Autorin es schafft, den Leser auf diese Reise zuschicken, ihn am Leben der Menschen in Kalimpong und (in Bijus Fall) in New York und in England (da hat der Richter studiert) teilhaben zu lassen. Alles mit den Augen der dort einheimischen Menschen zu sehen, aber gleichzeitig auch einen eigenen Blick darauf zu werfen, gemessen an unseren eigenen Maßstäben, von dem, was im Leben erträglich ist und was zu weit führt (zu weit führen sollte!). Sehr intensiv!
Ich bin gespannt, wohin diese Reise mich noch führt. Die Gefühlsskala wird ausgereizt: Beschämung wechselt sich mit Mitleid und Ungläubigkeit.
[Kiran Desai: Erbin des verlorenen Landes]