von Didonia » Fr 31. Jan 2025, 13:21
Das war es in der Tat, liebe Petra. Aber irgendwie mag ich Elke Heidenreich doch am liebsten, wenn sie übers Lesen und Bücher erzählt.
Ich habe beendet die Autobiografie "Neulich, als ich noch Kind war" von Hilmar Thate. Sie war ein wenig schwierig zu lesen, da sie nicht chronologisch geschrieben ist. Anhand von ganz kurzen Kapiteln erzählt er quasi Anekdoten aus seinem reichen Leben als Theater- und Filmschauspieler. Gemeinsam mit seiner Frau Angelica Domröse und anderen DDR-Künstlern hat er einen offenen Brief unterschrieben, weil man Wolf Biermann nicht wieder in die DDR lassen wollte und es ja auch nicht getan hat.
Hilmar Thate: Neulich, als ich noch Kind war
Buchinfo
Hilmar Thate ist einer der ganz Großen des Theaters. Unvergessen sind seine Interpretationen großer dramatischer Stoffe, mit denen er Geschichte schrieb. Und immer sind es markante Gestalten, denen er auf der Bühne, aber auch vor der Kamera durch seine Darstellung neues Profil verleiht. Darüber hinaus hat Hilmar Thate stets politisch Position bezogen. Das führte dazu, dass er 1980 mit seiner Frau Angelica Domröse die DDR verlassen musste. Über fünf Jahrzehnte am Theater und im Film: ein reiches Leben, voll an Anekdoten, Begegnungen, Erinnerungen, die Hilmar Thate nun mit seinen Lesern teilt.
Buchbeginn
Einstimmung
Was meinen Sie, wie schwierig es ist, den ersten Satz zu finden. Dabei steht er schon auf dem Deckel. Ich könnte mich nie im Leben selbst einfangen, sondern ich wurde eingefangen - in goldenen Ketten. Ich ertappe mich immer wieder bei der Frage: "Warum schreibe ich dieses Buch? Warum tue ich mir das an? Ich, der ich es nicht gewohnt bin, Bücher zu schreiben, sondern auf der Bühne beziehungsweise vor der Kamera stehe oder über meinen Beruf nachdenke?" Aber es wühlt in mir, lässt mich nicht los. Grübeln wird zur Arbeit, schenkt mir sinnige, vielfältige Bilder, und ich entdecke, dass "Schau-spielen" und Schreiben in einem solchen Zeitgenossen, wie ich es bin, vereinbar sind. Na ja, Shakespeare hat das gemacht und Molière auch... "Wer nicht wagt, der nicht gewinnt." - "Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um", wie ein gewisser Liedermacher in seinen starken Zeiten sang.
Zitate
Wo Kunst möglich ist, Kultur überhaupt, ist die Gesellschaft heilbar. Wird Kunst gegängelt oder gar abgeschafft, betritt die Barbarei die Arena.
Unsere Generation hatte nicht den Weltruf des Berliner Ensembles begründet. Wir waren nur die Nutznießer. Brecht war der Mann, der ein globales Theater geschaffen hatte. Er setzte Maßstäbe von Tokio bis Kanada, von den skandinavischen Ländern bis in den Sudan. Das war wirklich global. Es fand untereinander ein geistiger Austausch statt, weltweit. Heute wird fast alles darauf reduziert, wie es sich rechnet und ob es kommerziell abgesichert ist. Quotendenken! Theater ist in dieser Eventgesellschaft mit ihrer Sucht nach Spektakeln und ihrer Erlebnisarmut als Unterfutter zur Beliebigkeit verdonnert. Ich wünschte mir, dass Deutschland weniger nach dem Superstar beziehungsweise dem Superlativ aller Zeiten suchte. Die echten Begabungen treten sich auf die Füße, werden aber nicht erkannt und bleiben ungefördert. Ein Verlust und eine absolute Unordnung wie bei Hempels unterm Sofa.
Die Mauer fiel. Er [Wolf Kaiser] bekam schlicht und einfach keine Rollen. Das ertrug er nicht, denn er war verwöhnt. Es gab eine geschichtswidrige, gnadenlose Seite bei diesem Mauerfall: Die DEFA und der Deutsche Fernsehfunk wurden abgewickelt; das wagte sie auch, diese Treuhand-Gesellschaft. Wolf Kaiser stürzte sich aus dem Fenster seiner Wohnung im vierten Stock. Nun gehört auch er zum Ensemble des Dorotheenstädtischen Friedhofsa. Siegermoral ist der erste Schritt in neue Unmoral.
Ich ahnte nicht, dass die DDR von Cola, Bananen, D-Mark und irgendwelchen Sprüchen überrollt werden würde. Nichts da mit "Brüdern" und "Schwestern"; es ging um "Interessengebiete". Wer sagt es denn? Natürlich Goethe: "Wenn zwei Geteilte ein ganzes werden sollen, so trachte man, dass die beiden Geteilten auf ein gleiches Niveau kommen, auf dass durch die Vereinigung ein neues Drittes entsteht."
Es ist mir ein großes Anliegen anzumerken, dass Arbeitslosigkeit nach wie vor verdeckter Mord ist, weil Menschen aus ihrer gewohnten Lebensbahn, ihren sozialen Zusammenhängen gerissen werden, damit ihren Halt und ihre Orientierung verlieren und an seelischen Störungen erkranken können. ,Angst essen Seele auf' titelte Fassbinder einst. Arbeitslosigkeit ist ein Verbrechen, weil es ja nicht Leute sind, die nicht wollen oder nicht können, sondern in der Mehrzahl Leute, die können und wollen, aber keine Chance haben. Welchen außerrhetorischen Einfluss hat eigentlich die Politik noch auf diesen Zustand?
"Eine Versuchung wird man nur los, indem man ihr nachgibt."
Markus Gasser
von meinem Lieblingsliteratur-Podcast "Literatur ist alles"