Vor einigen Tagen habe ich Paolo Giordanos Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen“ beendet. Vielleicht ganz gut, dass ich nicht sofort meine Gedanken und Empfindungen dem Buch gegenüber niedergeschrieben habe, denn mit einigem Rückblick gefällt es mir immer besser
Paolo Giordano ist der neue Senkrechtstarter der italienischen Literatur. Mit gerade mal 25 Jahren erhielt er den angesehenen Strega Buchpreis für seinen Erstlingsroman „Die Einsamkeit der Primzahlen“, von dem seitdem sehr hohe Verkaufszahlen genannt werden. Das machte mich eher skeptisch dem Buch gegenüber, auf der anderen Seite ist der Autor Wissenschaftler und arbeitet gerade an seiner These in theoretischer Physik. Das und der Titel (weder ein Mathematiker noch ein Statistiker kann der Schönheit der Primzahlen widerstehen) haben mich wiederum den Roman kaufen lassen. Ich habe es nicht bereut, denn die Geschichte der beiden unglücklichen Jugendlichen Alice und Mattia, ist ergreifend und schrecklich zugleich; sie kämpfen verzweifelt gegen die Gespenster einer bitteren Kindheit.
Fast wie der Chirurg mit dem Skalpell beschreibt Paolo Giordano die beiden parallelen Lebensläufe, die von Kindheit an bis ins Erwachsenenalter sich immer wieder kreuzen, verlieren und wieder zueinander finden. Ihre Leben sind für immer stigmatisiert. Alices, die meinte, sich allein durch einen Skiunfall der erdrückenden väterlichen Autorität zu entziehen und ein steifes Bein zurück behält. Ein alles überschattendes Schuldgefühl für Mattia, verantwortlich am Verschwinden seiner geistig behinderten Zwillingsschwester, die er die Zeit einer Kindergeburtstagsfeier allein im Park zurücklies.
Die Episoden aus dem Leben von Alice und Mattia werden abwechselnd erzählt. Das wiederholt sich zwar ständig mit dem Risiko monoton zu wirken, da es keine Überraschungen mehr im Aufbau des Romans birgt, aber glücklicherweise findet der Text zu einem Abschluss bevor diese Anordnung irritiert.
Bleibt die Geschichte. Mir fällt es manchmal schwer bei den Entwicklungsromanen der heutigen Jugendlichen dran zu bleiben, wie in diesem Fall bei der Episode des Tätowierens oder des Kindergeburtstags: Weder fühle ich mich zu alt um die heutigen Kinder zu verstehen, noch dass mein eigener CV nicht auch so ähnliche Gegebenheiten beinhaltet, doch irgendwie erscheinen mir diese Episoden als total künstlich. Allerdings sind sie voll und ganz an ihrem Platz in der Entwicklung der beiden Protagonisten. Aber das gehört zu meinen Empfindlichkeiten und soll den Roman in keiner Art abwerten.
Die Qualität des Buches findet sich gerade in der langsamen Entwicklung der beiden Kinder zu Jugendlichen und später jungen Erwachsenen und der mathematischen Symbolik der Primzahlen, die sie verbindet.
Wer mag verfolgt als Leser nur die Geschichte, kann sich aber auch philosophischen Überlegungen hingeben. Paolo Giordano zeigt es nicht offen an, doch meine ich im Text Anspielungen vorzufinden. Die Beziehungen der einzelnen Menschen untereinander seien nicht vom Zufall abhängig, sondern vom Reiz oder von der Abscheu, die von den Persönlichkeiten des einzelnen Menschen ausgeht. Einzigartig und irritierend sei diese Prädestination nicht religiöser Natur sondern wissenschaftlicher, da von den Zahlen ausgehend … faszinierende Überlegungen, die dieser Roman auslöst.
Übergeht ein Mensch diese Regel der Prädestination, scheitert er in seinem Leben. Alice geht so eine zum Scheitern verurteilte Ehe mit einem Arzt ein. Mattias könnte in seinem Leben viel mehr Emotionen und eine tiefere Liebe empfinden, wenn er nicht die einzige Gelegenheit sich mit Alice zu verbinden entgleiten ließ.
Nichtsdestotrotz liest sich der Roman sehr gut, nicht nur weil er sehr gut geschrieben und auch übersetzt ist, sondern weil der Stil durchweg lebendig und schwungvoll ist und somit angenehm erfrischend. Ein sehr empfehlenswerter Roman für einige schöne Lesestunden.
Ich meinerseits erwarte mit eine gewissen Ungeduld den nächsten Roman von Paolo Giordano, natürlich um die Qualitäten des Erstlings bestätigt zu finden