Liebe Barbara,
das ist eine interessante Frage, die aber auch - finde ich - sehr schwer zu beantworten ist. Ich sehe da mehrere Aspekte an mir. Ich versuche es aber mal, meine Gedanken dazu hier schweifen zu lassen, da ich es wirklich interessant finde!
Einerseits denke ich schon, dass ein Lesegeschmack sich entwickelt/verändert. Und ich denke, man sollte den Blick auf beides richten. Sowohl auf das
ENTWICKELN, als auch auf das
VERÄNDERN. Dazu gleich mehr. Aber vorweg: Es gibt sicher aber auch Leser, bei denen sich der Lesegeschmack nicht entwickelt oder verändert. Die lesen ihr Leben lang „nur“ Krimis, nur Liebesromane... was auch immer. Das finde ich, sollte man aber nicht werten oder als „im Leben/Lesen stehen geblieben“ betrachten! Denn Lesen ist ja auch Entspannung! Und wenn man bei Diesem oder Jenem z. B. am besten entspannen kann, dann dient das Lesen einem etwas anderem Zweck, als den Zweck den einige andere mit dem Lesen verfolgen – wie z. B. Horizont erweitern, sich mit Dingen auseinander setzen... was auch immer! Das ist nicht weniger gut oder schlecht, als das Lesen zur Entspannung! Wollte ich nur sagen, weil ich denke, dass Lesen nicht zwingend eine Entwicklung oder Veränderung mit sich bringen muss. Und das ist auch völlig o.k. so!
Aber bei vielen – denke ich – entwickelt oder verändert der Lesegeschmack sich. Ich bin so jemand.
Die Gründe dafür möchte ich mal splitten. Wie oben angemerkt in
ENTWICKLUNG und
VERÄNDERUNG.
ENTWICKLUNG des Lesegeschmacks: Aus meinem eigenen Erfahrungsbereich kann ich sagen, dass sich mein Lesegeschmack entwickelt hat. War es früher ausschließlich Unterhaltungsliteratur (Schmöker und Krimis/Thriller), so weitete sich mit der Zeit mein Autorenspektrum auf diesem Gebiet. Mary Higgins Clark wurde von z. B. Patricia Highsmith abgelöst. Sidney Sheldon durch Leon de Winter… Diese Entwicklung kam durch Empfehlungen anderer Lesebegeisterten. Dies ist also schon mal eine Entwicklung innerhalb der Unterhaltungsliteratur gewesen. Wenn man sich dann in Diskussionsforen über Bücher herumtreibt, bekommt man ja zwangsläufig mit, was andere so lesen. Und da man erste Sprünge in unbekannte Gefilde nicht nur überlebt sonder für sehr, sehr gut befunden hat, traut man sich auch mehr zu. Man wird neugieriger, offener. Und lässt sich gern verführen. Und schon strecken sich die Lese-Fühler in verschiedene Richtungen aus. Innerhalb des bevorzugten Genres. Aber irgendwann auch darüber hinaus. Wenn Person X einen Klassiker liest, obwohl Person X sonst wie man selbst gern Unterhaltungsliteratur mag, dann kann der Klassiker vielleicht gar nicht so furchtbar sein?? Und schwupps, liest man ihn auch. Ein anderer schwärmt von einem Reisebericht. Man lässt sich anstecken und sieht: Auch dieses Genre kann total packend sein! Dann kommen Sachbücher hinzu oder was auch immer. Und irgendwann ist der Lesegeschmack sehr breit gefächert. Im Gegensatz zu früher, wo man einen sehr eingeschränkten Lesebereich hatte. Und in solch einer Entwicklung, entwickelt sich der Lesegeschmack wohl – sagen wir mal – nach oben! Bitte: Das soll niemand falsch verstehen, denn es ist rein sachlich gemeint! Man wird – anders ausgedrückt – vom Hungrigen zum Feinschmecker. Man entwickelt ein Gespür für schöne Sprache und für gute Autoren (denn auch das Vermögen eine Geschichte zu erzählen gehört dazu... da hat so mancher Autor der Unterhaltungsliteratur einem großen Literaten was voraus! Beides muss schon passen: Sprache und die Kunst zu erzählen). Was einen früher begeistert hat, ist dann oft nicht mehr genug. So viel zum Thema Entwicklung des Lesegeschmacks. Auf mich persönlich trifft das so zu! Mir ist das so passiert. Ich fand das teils sogar schade, denn ich konnte mich bei den Autoren reinster Unterhaltungsliteratur früher so gut entspannen und fallen lassen. Dieses Vergnügen schien mir auf immer verwehrt, weil mein Lesegeschmack sich „nach oben“ entwickelt hatte. (Wie gesagt, „nach oben“ nicht falsch verstehen!! Es ist sowieso nur eine individuelle Betrachtung, was genau „oben“ angesiedelt ist in der Literatur! Und es gäbe auch für meinen entwickelten Lesegeschmack noch unzählige Leute, die darauf herabschauen, weil ihr eigener Lesegeschmack noch viel, viel, viel weiter „oben“ angesiedelt ist! Aber so meine ich es eben halt auch nicht... ich schaue auf NIEMANDEM herab, der ausschließlich reine Unterhaltung liest!! Das möchte ich betonen! Und ich müsste dann zur Zeit auch auf mich selbst herabschauen... warum?? Nun, jetzt komme ich zum zweiten Punkt, der genauso wichtig ist, wie der Punkt Entwicklung!
VERÄNDERUNG des Lesegeschmacks: Warum sich ein Lesegeschmack zeitweilig (oder auch für immer – wer weiß?) verändert, kann viele Gründe haben! Nachdem ich meine persönliche Leseentwicklung mitgemacht habe, begann in meinem Privatleben ein großer Umbruch. Alles veränderte sich. Zudem viel zu viel Arbeit (auch z. B. mit den Internetseiten)! Mein Kopf ist seither nicht frei gewesen. Und weitere Anstrengung (anspruchsvoller Schreibstil, problematische Themen) konnte ich nicht gebrauchen... schlimmer noch: Gar nicht ertragen! Und so kam es, dass ich plötzlich wieder mit Vorliebe zur reinen Unterhaltung griff. Mein bevorzugtes Gebiet die letzten Monate: Thriller! Spannend, leicht zu lesen, nichts zu denken, mitreißend... genau das brauche ich zur Zeit! Bloß kein gemächliches Tempo in der Geschichte, sonst schweifen meine Gedanken zu den eigenen Problemen und Sorgen ab! Es sollte etwas sein, was mich aus meiner derzeitigen Welt rausreißt. Mich entspannt, allein dadurch, dass ich entfliehen kann. Und da kann eine P. J. Tracy größeres Vollbringen als ein Tolstoi.
RESÜMEE: Ist diese Veränderung aus dem Gesichtspunkt der Entwicklung her gesehen nun ein „Abstieg“? Nein! Finde ich eben nicht! Denn jede Entwicklung, aber auch jede Veränderung hat ihren Sinn und ihr Für und Wider! Ich habe z. B. während meiner Leseentwicklung wirklich oft bedauert, dass ich an einen „einfachen“ Thriller nicht mehr herankomme! Denn dieses Gefühl des einfach unterhalten Werdens, ohne nachdenken zu müssen, hatte auch seinen Reiz! Und das würde ich – dachte und fürchtete ich damals (!) – nie mehr bekommen! Weil meine Entwicklung mich von diesem Genre ganz abgebracht hat. Und eine Rückentwicklung gibt es in den meisten Lebenslagen ja eher nicht. Man entwickelt sich eigentlich ja immer weiter... und nicht zurück. Zum Glück muss das beim Lesen nicht zutreffen! Da es auch die Veränderung gibt! Und die Veränderung hängt m. E. nach von den eigenen Lebensumständen ab und somit von den eigenen aktuellen Bedürfnissen ab! Was ist in meinem eigenen Leben gerade los? Möchte ich lernen? Möchte ich entspannen? Der Lesegeschmack fügt sich dem gewiss ein bisschen – oder wie bei mir: nicht nur ein bisschen, sondern sogar völlig!
Auch ein Punkt ist: Welche Themen beschäftigen mich in meinem eigenen Leben gerade? Gewiss werden für mich in Zukunft Bücher interessanter, die Inhalte bearbeiten wie Verlust der Eltern. Oder aber habe ich in Beziehungskonstellationen einiges was mich beschäftigt. Und da werde ich sicher mal zu Büchern greifen, die meine Situation ein wenig wiederspiegeln, die ich bis vor kurzem selbst erlebt habe. Auch dass ich kein Single mehr bin wird mich in meiner Leseauswahl beeinflussen. Und durch diese eigenen Lebensumstände können sich die
LESEINTERESSEN (so haben wir jetzt auch dieses Wort aufgegriffen, das hier keinesfalls fehlen darf und das Du so schön in Deiner Überschrift eingebaut hast!) auch kurzzeitig oder langfristig verändern. Denke ich!
Meine eigene Einschätzung zu meiner künftigen Leseauswahl: Werden es immer Thriller bleiben? Nein! Das denke ich nicht! So langsam aber sicher kommt das Interesse an anderer Literatur wieder hoch. Demnächst könnte ich mir wieder einen Klassiker vorstellen. Aber den als Parallelbuch für zu Hause! Denn da habe ich dann mehr Muße und Ruhe dafür, um mich voll und ganz darauf einzulassen und Freude dabei zu empfinden. Und diese Zeit zu Hause werde ich – hoffentlich (!!!) – bald wieder haben! Mehr noch als zuvor, denn ich habe in meinem Leben ORDENTLICH abgespeckt! Nicht zuletzt dadurch, dass jetzt hier jeder Rezensionen selbst schreiben kann... diese Einbauarbeiten haben mich fast kaputt gemacht!! Und dieser Druck, Stress und Zeitfaktor fällt nun nicht nur weg, sondern auch das ungute Gefühl dass dann alles den Bach runter geht, ist mir genommen! (An der Stelle gebührt Arno *liebwink* zum 100.000sten Mal Dank!)
Und ich denke – zumindest für mich – dass das Leben und das Lesen ständigem Wandel unterliegt! Und das ist sicher auch gut so! Stehen bleiben fände ich nicht schön! Aber eine Zeit lang verweilen, doch, das gern! So genieße ich ohne schlechtes Gewissen meine Thriller-Phase! Und werde zu gegebener Zeit mich wieder anderen Büchern widmen, wenn mir nach diesen verlangt. Immer auf die innere Stimme und auf die aktuellen Bedürfnisse hören – dann liegt man richtig! Und da sich meine Bedürfnisse auch verändern (weil das Leben sich halt verändert), wird sich auch mein Lesegeschmack immer wieder verändern! Ich bin gespannt darauf – denn so ein Lese-Leben ist genauso wenig vorhersehbar, wie das richtige Leben. Ein schöner Gedanke, nicht wahr?
Ich bin gespannt, ob ich einige hier mit meinen Gedanken zu Diskussionen über das Thema anregen konnte. Denn ich finde, dass Binchen *liebwink* und Barbara *liebwink* damit ein sehr interessantes, wenn auch weitschweifiges Thema angeschnitten haben.
Eure eigenen Erfahrungen, Entwicklungen und Veränderungen und die Gründe dafür interessieren mich brennend! Gerade jetzt, wo ich mir meine durchs Niederschreiben so bewusst gemacht habe.