Romane von Mario Vargas Llosa

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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon steffi » Di 12. Jun 2012, 08:45

Hallo JMaria,

mir hat Wer hat Palomino Molero umgebracht? auch super gut gefallen ! Wie du schreibst, ist der Mordfall eher simpel, aber alles was so drumherum stattfindet entlarvt die Gesellschaft. Mich fasziniert auch, wie Llosa das Land immer wieder miteinbringt.
Gruss von Steffi

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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon Petra » Mo 18. Feb 2013, 16:28

Hallo zusammen,

ich habe vor ein paar Tagen mit “Tod in den Anden“ begonnen. Das einfinden fiel mir nicht ganz so leicht, denn eigentlich suchte ich gerade einen dichten Roman mit komplexen Figuren und einer geradlinigen Handlung. All das ist „Tod in den Anden“ eher nicht. Die beiden Hauptfiguren (Korporal Lituma und sein Gehilfe Tomasito) wirken zwar durch und durch authentisch und auch lebendig, aber eigentlich dienen sie dazu, die einzelnen Geflechte der Geschichte miteinander zu verknüpfen. Durch ihre Ermittlungen im Fall der drei Vermissten treten sie zwar häufig in Aktion, aber über ihre eigene Persönlichkeit wird hier nicht viel offenbart. Muss für diese Geschichte gewiss auch nicht, denn das würde vom eigentlichen ablenken: Ihrer Angst, dass ihnen jederzeit von den Terroristen aufgelauert werden könnte und das ihr Ende bedeuten würde. Weiter wichtig für den Roman ist Tomasitos Geschichte von seiner Liebe zu Mercedes, von der er Lituma während der langen einsamen Nächte am Wachposten erzählt. Hierdurch bekommt der Leser einen weiteren Blick auf das Leben der Menschen dort.

Llosa springt von einem Handlungsstrang zum nächsten und eröffnet laufend neue Schauplätze, die ein Kapitel (eher ein langer Absatz, denn das Buch ist nur in wenige Kapitel unterteilt, alles greift in alles über, verschwimmt, verläuft, und doch ergibt sich ein Gesamtbild) lang die Aufmerksamkeit des Lesers fordern. Und durch jeden dieser Stränge verdichtet sich das Bild der Menschen dort, ihrer Ängste vor den Revolutionären und vor terroristischen Angriffen, und nicht zuletzt auch vor dem Hütern des Gesetzes.

Ein Bild der Gewalt, das schwer zu ertragen ist. Hier ist dann wiederum gut, dass Llosa eine gewisse Distanz hält, und dem Leser damit ermöglicht hinzuschauen. Kunstvoll verwoben ist dieses Bild. So verwirrend der Sprung von einem Schauplatz zum nächsten ist, so faszinierend ist, wie diese losen Episoden die Schrecken und die Angst einfangen, aber auch z. B. erklären, wieso Menschen zu Mittätern und Mitläufern werden, unter dem Druck des Terrors. Angst regiert hier im wahrsten Sinne des Wortes, und ich vermag mir gar nicht vorzustellen, wie es sein muss, unter solch einer Angst leben zu müssen. Nicht nur Angst vor dem Tod, sondern auch vor furchtbarer Brutalität und Folter.

Langsam erfahre ich, welche Idee hinter dieser Revolution und dem Terror steckt. Aber auch wie sinnlos es ist, auf Ungerechtigkeiten im Land (Kluft arm und reich, Ausbeutung des kleinen Mannes etc.) mit solch einer Gewalt zu reagieren, und auch nur Unterdrückung (im Namen der Befreiung) auszuüben, und zudem auf so perfide Art das Volk gegeneinander aufzubringen, und sie selbst die Drecksarbeit machen zu lassen. Ich weiß über die Situation dort im Grunde nichts, werde mich aber entweder parallel zum Buch oder im Anschluss ein wenig darüber informieren.

Somit fällt mir das lesen nicht leicht, denn eigentlich ist es nicht der absolut passende Zeitpunkt für mich, aber trotzdem weil Llosa mich für seine Themen zu interessieren und durch seine Art zu erzählen auch zu faszinieren. Auffällig ist, was Maria hier auch schon mal zu dem Buch schrieb, wie hier Mensch und Natur ineinandergreifen. Eine Frau löst sich z. B. scheinbar im Nebel auf. Dieses Bild greift das Rätselhafte auf, das über dem ganzen Roman schwebt, und vielleicht auch das Thema des scheinbar spurlosen Verschwindens der drei Vermissten.

Die Sprache Llosas finde ich in einem Zitat von Gustav Seibt in der FAZ sehr gut beschrieben: »Der Tod in den Anden ist ein strenges und lehrhaftes Buch, seine Sprache und Erzählweise sind so klar, hart und rätselhaft wie die Landschaft, in der er spielt.«
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon JMaria » Di 19. Feb 2013, 11:38

Hallo Petra,

mit "Tod in den Anden" hast du nicht gerade seinen einfachsten Roman, aber doch einen seiner besten ausgesucht. Trotz manch beschwerlichen Passagen, besitzt Vargas Llosa einen leichten Erzählton, auch wenn in dem Roman die Perspektiven schnell wechseln. Und Lituma ist schon ein ganz besonderer Held in Vargas Llosas Romanwelt. (Vielleicht wäre in deiner jetzigen Lesephase "Wer hat Palomino Molero umgebracht?" - ebenfalls mit Lituma, einfacher zu lesen gewesen) Doch ich wünsche dir und dem Roman, daß die Faszination bis zum Schluß anhält. Mir hat auch die Einflechtung griechischer und peruanischer Mythologie gut gefallen, obwohl ich sicherlich nicht alles herauslesen konnte was darin versteckt ist, doch es vermittelt insgesamt ein starkes archaisches Bild.
Schöne Grüße, Maria
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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon Petra » Di 19. Feb 2013, 12:46

Hallo Maria,

ich war auch tatsächlich am überlegen, vorerst mit "Wer hat Palomino Molero umgebracht?" zu beginnen, zumal der zeitlich vor "Tod in den Anden" liegt, und ich somit Lituma chronologisch hätte kennenlernen können. Aber das schien mir bei Llosa nicht so wichtig, und so entschied ich mich für "Tod in den Anden", da das das Buch von Llosa ist, das mich am meisten reizt, eben weil er darin so viel zu erzählen hat. Wäre zu schade gewesen, wenn mir meine momentane Lesephase da ein Bein gestellt hätte. Ich bin froh, dass ich dran geblieben bin. Wie es scheint habe ich mich wirklich eingelesen, und ich versinke in der Handlung jedes Mal wenn ich das Buch zur Hand nehme, trotz der Sprünge und der teilweise nicht einfach zu verfolgenden Handlung.

Ich finde auch, dass er den Roman großartig komponiert hat. Durch seine einzelnen Fragmente, die dieses archaische Gesamtbild ergeben. Und wegen des Rahmens in den er das ganze gebettet hat, nämlich die griechische und peruanische Mythologie. Ich kann da leider noch viel weniger von herauslesen als Du, aber ich versuche mich parallel ein wenig schlau zu machen, und finde das am Rande schon auch begeisternd. Zumal es auch nicht stört, wenn man die Zusammenhänge nicht erkennt. Toll gemacht!
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon steffi » Di 19. Feb 2013, 13:02

Hallo Petra, meine Gedanken von letztem Jahr zu Tod in den Anden bzw. Vargas Llosa:
Was mir aber auch auffällt, nun nach dem 2. Buch von ihm, ist, dass er mich nicht in die Geschichte hereinzieht; ich fühlte mich wie ein Zuschauer, der gespannt und fasziniert das ganze von außen beobachtet. Ich fühlte mich allerdings nicht unwohl dabei oder vermisste etwas, aber diese Distanz ist es, glaube ich, warum ich nicht in euphorische Begeisterung ausbreche.


Diese Distanz ist dir ja auch aufgefallen und doch hat das Buch bzw. sein Stil etwas ganz eigenes, das wunderbar mit den Themen des Buches harmoniert. Ich wünsche dir noch viel Spaß dabei !
Gruss von Steffi

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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon Petra » Mi 20. Feb 2013, 17:22

Hallo Steffi und Maria,

dass Deine Eindrücke sich da mit meinen decken fiel mir auch direkt auf. Interessant immer, wenn es anderen auch so geht, nicht wahr? Ich finde auch, dass die Distanziertheit zu den Themen ausgezeichnet passt. Hätte auch für mich nicht anders sein dürfen.

Und zum Glück kann ich mich inzwischen auch ganz drauf einlassen, und mehr noch: inzwischen lese ich es mit viel Freude und einer gewissen Faszination.

Unter die Haut ging mir neben der Geschichte des Stummen auch die Geschichte der Umweltaktivistin Señora d'Harcourt. Zeigt ihre Geschichte doch auf, dass man in Zeiten wie dieser nicht als unpolitisch gelten kann. In all seinem handeln wird man von terroristischen Vereinigungen (gilt auch für Diktaturen) beurteilt. Ob man selbst nun politisch ist oder nicht, und ob man selbst denkt, im Vordergrund steht, dass man der Allgemeinheit dient und somit den Terroisten gar nicht entgegenwirkt, ist völlig unerheblich. Schlimm fand ich daran auch zu beobachten, wie Señora d'Harcourt stundenlang erklärt, wie sie ihre Arbeit (ja auch aus voller Überzeugung!) sieht, und die Terroristen ihr zwar zuhören, aber nicht verstehen konnten/wollten. Als spräche man zwei verschiedene Sprachen, sagt sie, und genauso habe ich es auch empfunden. Schlimm! Und eindrücklich geschildert, in eigentlich ja ganz simplen Szenen. Toll gemacht von Llosa! Ihr seht, meine Begeisterung wächst! Hätte ich anfangs gar nicht gedacht.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Romane von Mario Vargas Llosa

Beitragvon Petra » Sa 9. Mär 2013, 13:48

Hallo zusammen,

meine abschließenden Gedanken zu "Tod in den Anden" möchte ich noch mitteilen.

Abschließend imponiert mir an Llosas Stil besonders seine kraftvolle Sprache, die so klar wie die Bergluft in den Anden ist. Die Naturgewalten, die keine Schonung kennen, greift auf die Menschen über, die ebenfalls gnadenlos in ihrer Gewaltausübung sind. Seien es die Terroristen, oder die Menschen, die die Götter besänftigen wollen. Und die Gewalt (ausgeübt durch Mensch und Natur) spiegelt sich wierderum genau im Stil Llosas wider. Beeindruckend eingesetzt!

Lituma sagt etwas Wahres. Jeder dort hat seinen eigenen Tick, seinen eigenen Wahnsinn. Warum soll Tomasito nicht seiner wahnhaften Liebe nachhängen, wenn der Wahn anderer viel gefährlicher ist, weil er anderen schadet. Z. B. die Terroristen oder die Bewohner der Anden, die die Götter besänftigen wollen. Auch fand ich Tomasitos Geschichte einen sehr guten Kontrast zu den anderen Geschehnissen im Buch. Denn auch (oder besonders) in Zeiten, in denen es so rau und schonungslos zugeht, flüchtet man sich doch gern in die Liebe. Und wenn es schon keine Flucht ist (bei Tomasito ist es ja keine), findet die Liebe doch immer statt, und überschattet alles Schreckliche. Dass man in einer Umgebung wie dem Posten, in dem Tomasito mit Lituma feststeckt, am schlimmsten den Verlust der Geliebten empfinden kann zeigt, dass es wirklich so ist: Die Liebe ist stärker als alles.

So fand ich auch den Ausgang des Buches sehr schön gewählt.

Was mir auch aufgefallen ist: Es hat mich nicht gestört, dass Lituma Meche kennt. Dass sie wirklich diejenige ist, die ihm früher (in einem anderen Buch – wie reizvoll!) begegnet ist. In den meisten Büchern hätte ich es als unglaubwürdig betrachtet und bemängelt, dass ein Autor so sehr den Zufall bemühen muss. Doch hier liegt es anders. Llosa hätte diesen Zufall nicht bemühen müssen, denn es war für die Handlung überhaupt nicht notwendig, dass Lituma die Frau kennt. Dadurch wirkt dieser Zufall ausgesprochen glaubhaft, und löste in mir Zustimmung aus: Ja, es mag verrückt sein, dass er die Frau kennt, und ihr auf diesem Weg erneut begegnet. Aber so ist das Leben! Solche Zufälle gibt es. Und sie zeigen einem, das alles mit allem verbunden ist. Seelen verbunden sind, und sich wieder begegnen. In diesem oder in anderen Leben (oder Büchern).

Ich freue mich auf weitere Begegnungen mit Lituma. Ich habe die beiden anderen Bände ja bereits zu Hause. Aber auch "Das Fest des Ziegenbocks" interessiert mich nun. Ich habe mir das Buch auf den Wunschzettel gesetzt.
Liebe Grüße,
Petra


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