Ich glaube, es wird Zeit, einen eigenen Doderer-Ordner aufzumachen !
Ich muss euch doch ein bißchen vorschwärmen Mit Doderer habe ich zum ersten Mal Bekannschaft über das Hörbuch "Die Strudlhofstiege" gemacht und schon da war ich fasziniert. Von der ganz eigenen Art, wie er schreibt, wie er einen ganzen Kosmos erschaffen kann und dabei eine spannende Geschichte geradezu beiläufig erzählt.
Danach habe ich die Strudlhofstiege gelesen, was nochmal ein ganz neues Erlebnis war, obwohl ich ja schon wusste, was mich erwartet. Die Bilder, die er im Kopf des Lesers entstehen lässt, gefallen mir ganz besonders.
In diesem Jahr habe ich dann Ein Mord den jeder begeht gelesen und war, wie erwartet, begeistert. Nein, eigentlich hatte ich zuerst befürchtet, dass Doderer sein Niveau der Strudlhofstiege nicht halten kann - zumal er auch ein nicht so bekannter Autor ist. Müsste er nicht da nur ein wirklich gutes Buch geschrieben haben ? Nein, der Mord ... war wieder ganz in dem ihm eigenen Stil - eine Atmosphäre, von der ich meinen könnte, ich hätte sie schon selbst erlebt, wunderbare Sätze und Charaktere. Und wieder diese tollen Bilder im Kopf !
Jetzt bin ich mitten in Die Wasserfälle von Slunj. Es ist der erste Teil des unvollendet gebliebenen Roman No 7. Der Roman beginnt mit der Familie Clayton, deren Sohn Donald nach dem Besuch der Wasserfälle gezeugt wurde. Die Claytons leben in Wien, da sie dort eine Fabrik aufbauen. In diesem Umfeld treten nun eine ganze Reihe von Personen auf, allesamt sehr sorgfältig und genau charakterisiert, von der Hausmeisterin über zwei Prostituierte, der ehrgeizige Buchhalter der Firma, eine Zahnarztgattin usw. Bisher kann ich nicht erkennen, wer davon eine Hauptperson und wer eine Nebenperson ist. So umfangreich erscheint jeder Lebenslauf erzählt zu sein, so spannend sind die einzelnen Lebensgeschichten. Dieser ganze Kosmos ist ziemlich faszinierend, denn man weiß nie, was sich auf der nächsten Seite verbirgt. Natürlich gibt es auch wieder die tolle Atmosphäre, die Doderer über Beschreibungen von Gerüchen und Umgebung schafft, selbst möblierte Zimmer lässt er dadurch zum Greifen nah erscheinen. Eigentlich ist es ganz seltsam - immer mal denke ich, jetzt, jetzt zieht die Geschichte an (ich bin ja eigentlich ein Leser, der gerne auf ein bestimmtes Ziel gesteuert wird), doch dann drängen sich wieder neue Figuren oder Neues über alte Figuren hervor und man liest genüsslich, neugierig, und wird vom Fortgang der Geschichte abgelenkt.
Inzwischen bin ich wieder bei Donald angelangt, der nach erfolgtem Studium nach Wien übergesiedelt ist. Dieser ist zusammen mit seinem Vater (die Clayton bros. genannt) auf dem Weg zu einer Einladung bei den Harbachs. Ein Grund für Doderer, uns die Harbachs und speziell deren Sohn Paul vorzustellen, der sich von der Familie losgesagt hat und ein erfolgreicher Arzt in München ist. Der Grund scheint die etwas ältere Frau, Emilia Ergoletti zu sein ... hmm, was ist da vorgefallen ...
Im Gegensatz zur Strudlhofstiege hat Die Wasserfälle von Slunj eine ganz heitere Leichtigkeit, die mir sehr, sehr gut gefällt. Es gibt darin wunderbare Sätze wie
Jene Renitenz jugendlicher Geschöpfe, unter welcher alle jene leiden, die es nicht haben lassen können, mit solchen die Welt zu bereichern, ließ nach, ja, sie schien zuletzt verschwunden.
oder nach einem nicht sehr intellektuellen Dialog der zwei Prostituierten Finy und Feverl:
Uns aber, soweit da von Poesie noch die Rede sein kann, geht, angesichts der beiden harmlosen Idiotinnen, die Pathologie und jegliches Pathos überhaupt aus; und worauf sollen wir dann gründen ? Solche Figuren kann man nur aus der Komposition herauswerfen, weil der Grad ihrer Simplizität unterträglich geworden ist ...
und das tut Doderer dann auch eine halbe Seite später
Hier mal Bilder von den Wasserfällen:
http://davidramirer.twoday.net/stories/4907794/