Sofja Tolstaja

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Re: Sofja Tolstaja: Eine Frage der Schuld

Beitragvon Rachel » Sa 3. Jan 2009, 14:58

Hallo zusammen,

vielleicht in diesem Thread von Interesse:

Im aktuellen SPIEGEL war ein Artikel über die Ehe der Tolstois, unter anderem mit Hinweis auf "Tolstois letzte Tage" von Jay Parini, ein Buch, das sich in meinen Augen sehr reizvoll anhört:

http://www.amazon.de/Tolstois-letztes-J ... 951&sr=1-1

Aktuell wird das Buch auch verfilmt, mit Helen Mirren als Sofja Tolstaja und Christopher Plummer als Leo Tolstoi.
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Re: Sofja Tolstaja: Eine Frage der Schuld

Beitragvon JMaria » Sa 3. Jan 2009, 17:00

Rachel hat geschrieben:Hallo zusammen,

vielleicht in diesem Thread von Interesse:

Im aktuellen SPIEGEL war ein Artikel über die Ehe der Tolstois, unter anderem mit Hinweis auf "Tolstois letzte Tage" von Jay Parini, ein Buch, das sich in meinen Augen sehr reizvoll anhört:

http://www.amazon.de/Tolstois-letztes-J ... 951&sr=1-1

Aktuell wird das Buch auch verfilmt, mit Helen Mirren als Sofja Tolstaja und Christopher Plummer als Leo Tolstoi.


Hallo Rachel,
das las ich heute auch in der NUZ, dass es eine Verfilmung geben wird. Helen Mirren und Christopher Plummer sind eine sehr gute Besetzung. Toll.

Liebe Grüße
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Re: Sofja Tolstaja: Eine Frage der Schuld

Beitragvon Petra » Di 6. Jan 2009, 15:46

Hallo Rachel,

Danke für die interessanten Infos! Eine Verfilmung mit Helen Mirren... das hört sich wirklich interessant an! Danke! :-)

Wenn hier wer näheres zur Verfilmung (besonders den Kinostart) erfährt, bitte mitteilen, ja? :-)
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Re: Sofja Tolstaja: Eine Frage der Schuld

Beitragvon JMaria » So 21. Jun 2009, 12:02

Hallo zusammen,

in der NZZ gibt es eine Buchbesprechung zur neuen Biographie über Sofja Tolstaja:

Ursula Keller, Natalja Sharandak: Sofja Andrejewna Tolstaja. Ein Leben an der Seite Tolstois. Insel-Verlag


Sekretärin, Mutter, Rebellin

der Untertitel besagt schon, dass die Biographie lesenswert ist. Hier noch ein kurzer Auszug aus dem Artikel:

Die Berliner Slawistinnen Ursula Keller und Natalja Sharandak, die bereits gemeinsam eine Untersuchung über die russische Salonkultur um 1900 verfasst haben, porträtieren nun in einem sehr lesenswerten Buch Sofja Andrejewna Tolstaja, die zeitlebens im Schatten ihres Mannes stand und auch selbst mutmasste, als eine Art Xanthippe in die russische Literaturgeschichte einzugehen. Die beiden Autorinnen haben die unveröffentlichte achtbändige Autobiografie von Sofja Andrejewna ausgewertet und zeichnen ein sehr ausgewogenes Bild dieser mutigen und klugen Frau. In dieser neuen Darstellung wird deutlich, dass das Zusammenleben von Ehegatten die schwierigere Kunst ist als das Verfassen von Romanen, die bis heute den innersten Kern der Weltliteratur bilden.


Viele Grüße
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Re: Sofja Tolstaja

Beitragvon JMaria » Fr 26. Mär 2010, 15:21

Hallo zusammen,

ich habe mir heute die Neuerscheinung "Lied ohne Worte" gekauft.

Der Tod ihrer Mutter stürzt die junge Sascha in eine tiefe Krise. Ihr gutmütiger, aber plumper und wenig sensibler Ehemann, der Versicherungsbeamte Pjotr, kann sie nicht trösten; ein drückendes Gefühl der Leere und Sehnsucht quält sie. Da stellt die Begegnung mit dem Musiker Iwan Iljitsch ihr Leben auf den Kopf: Mit Mendelssohn-Bartholdys «Liedern ohne Worte» schenkt er ihr ungeahntes, rauschhaftes Glück. Ohne dass Sascha es sich zunächst eingestehen will, gilt ihre Begeisterung bald nicht mehr nur der Musik, sondern zunehmend auch dem begnadeten Pianisten.




Gruß,
Maria
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Re: Sofja Tolstaja

Beitragvon Petra » Fr 23. Mär 2012, 14:52

Hallo zusammen,

ich habe heute mit "Eine Frage der Schuld" begonnen, und habe dazu auch schon einiges im Tolstoi-Thread geschrieben, da ich die Doppel-Band-Ausgabe lese, in der auch Tolstois "Kreutzersonate" enthalten ist. Es geht in diesen Beiträgen um diese Doppel-Band-Ausgabe, und auch später um die Einzelband-Ausgabe, und die Unterschiede dieser beiden Ausgaben. Ich werde die entsprechenden Postings deshalb im nachfolgenden zitieren, da sie auch für die Leser dieses Threads von Interesse sind.

Petra hat geschrieben:Heute beginne ich mit “Eine Frage der Schuld“ von Sofja Tolstaja. Bevor ich mich dieser Gegennovelle zu Leo Tolstois „Kreutzersonate“ zuwende, die ich kürzlich zur Auffrischung noch mal als Hörbuch (ungekürzte Lesung) gehört habe, wollte ich noch das Nachwort zur „Kreutzersonate“ lesen, das dem Janus-Band von Manesse angefügt ist. Ebenso die Anmerkungen zur Neuübersetzung von Olga Radetzkaja, die es erfreulicher Weise auch gibt.

Diese Ausgabe ist übrigens nicht nur wegen der beiden gegensätzlichen Novellen und wegen der beiden Porträts (von Leo Tolstoi und Sofja Tolstaja) auf dem Cover als Doppelkopfband zu betrachten, sondern auch wegen der Nachworte zu beiden Novellen. Zur „Kreutzersonate“ gibt es ein Nachwort von Olga Martynova, zu „Eine Frage der Schuld“ ein Nachwort von Oleg Jurjew. Olga Martynova und Oleg Jurjew sind ein Ehepaar. Schön finde ich auch, dass sie zur Novelle des Mannes Stellung nimmt, und er zur Gegenovelle der Frau. Besonders passend scheint es mir, weil man Tolstois „Kreutzersonate“ auch aus dem Gesichtspunkt des Feminismus lesen kann. Diese Worte von einem Mann wären leichter wegzuwischen, als die einer Frau. Geschickt gewählt. (Gesamtes Posting - es geht im Weiteren um Tolstois "Kreutzersonate" - kann man :arrow: hier nachlesen)


Petra hat geschrieben: Meine Ausführungen zu der Janus-Ausgabe von eben möchte ich ergänzen. Eben musste ich feststellen, dass es leider Unterschiede zwischen der Einzelausgabe (Manesse) von Sofja Tolstajas „Eine Frage der Schuld“ und der Janus-Band-Ausgabe (Manesse) gibt, in der auch „Die Kreutzersonate“ enthalten ist. In der Einzelausgabe ist das Nachwort von Ursula Keller, und nicht von Oleg Jurjew.

Einen (gar nicht mal so kurzen) :arrow: Auszug von Ursula Kellers Nachwort kann man bei Amazon in als PDF aufrufen. Maria, Du hast doch diese Einzelausgabe. Könntest Du mal nachschauen, wie viel von dem Nachwort hierin enthalten ist?

Zudem ist in der Einzelausgabe auch eine „Kurze Autobiografie der Gräfin Sofja Tolstaja Andrejewna Tolstaja“ enthalten, die im Doppelband nicht enthalten ist.

Schade, dass nicht wenigstens die kurze Autobiografie mit abgedruckt wurde, sie hätte ich sehr interessiert. Dass es im Doppelband ein anderes Nachwort ist, finde ich verständlich, da man dem das Nachwort der Ehefrau des Verfassers des Nachworts in „Die Kreutzersonate“ entgegengestellt hat. Interessieren würde mich das vollständige Nachwort von Ursula Keller natürlich trotzdem. Schön aber, dass man diesen doch recht umfangreichen Auszug bei Amazon nachlesen kann.


Maria hat geschrieben:Ich habe den Text (obiger Link) verglichen und er ist vollständig !

Ja, die Autobiographie ist sehr aufschlußreich und immerhin beachtliche 72 Seiten.


Petra hat geschrieben:Danke fürs nachschauen. Dann ist das Nachwort also komplett in dieser PDF-Datei enthalten. Das ist ja erfreulich, und vielleicht auch für andere hier noch hilfreich!

Dass die kurze Autobiografie so aufschlussreich ist, und zudem nicht von geringem Umfang, habe ich befürchtet. Es ist ärgerlich, dass Manesse diese nicht auch im Janus-Band angehängt hat.

Ich möchte diese kurze Autobiografie (gerade weil es eine Autobiografie ist, somit ihre ureigendsten Gedanken zu dem Thema) nicht versäumen, und habe nun die Möglichkeiten durchgespielt: Ich hätte mir das TB (9,99 €) kaufen oder aber das Kindle-ebook (8,99 €) herunterladen können. Oder aber die Einzel-Ausgabe von Manesse zusätzlich kaufen. Ich habe mich für die letzte Variante entschieden, da ich ein Exemplar ("wie neu") für 10,- € (inkl. Porto) bekommen habe. Das hat den Vorteil, dass ich es nach dem lesen wieder verkaufen kann, und wahrscheinlich Null auf Null herauskomme. Zudem hat Random House (Manesse) nichts davon, dass ich das Buch nun ein zweites mal kaufe. Das ist mir nur recht so, denn in meinen Augen ist das unnötig und sieht nach Geldmacherei aus.

Mit der Entscheidung fühle ich mich nun wohl, und kann dann in Ruhe noch die kurze Autobiografie im Anschluss an die Novelle lesen.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Sofja Tolstaja

Beitragvon Petra » Di 27. Mär 2012, 10:36

Hallo zusammen,

von "Eine Frage der Schuld" von Sofja Tolstaja bin ich überrascht. Eigentlich dachte ich, birgt ihre Erzählung keine Überraschungen. Die Handlung ist klar, da sie „Die Kreutzersonate“ noch einmal erzählt, aus ihrer weiblichen Sicht. Und da die Novelle ihres Mannes Wut und den Wunsch nach Richtigstellung in ihr ausgelöst haben muss, und auch tatsächlich ausgelöst haben soll, hatte ich mit einer zornigeren Gegendarstellung gerechnet. Mit einer Abrechnung. Doch bis jetzt ist ihre Gegendarstellung gar nicht angriffslustig, sondern lediglich die zweite Seite derselben Medaille, die Tolstoi in seiner „Kreutzersonate“ beschrieb.

Beide Novellen zusammen ergeben für mich erst ein richtiges Bild. Umso unverständlicher ist mir, dass man sich in Russland scheut, das Buch zu veröffentlichen. Als würde man damit Tolstois Andenken und Werk beschmutzen. Dabei untermauert Sofja Tolstaja seine Novelle. Zeigt nur die fehlenden Teile auf.

Beide zusammen zeigen die Problematik der Ehe auf, die sich zu Zeiten Tolstois und Tolstajas zumeist stellte. Durch die Gegen-Novelle bekommt man einen klareren Blick darauf. Begreift „Die Kreutzersonate“ besser. Mit dem Blick eines modernen Menschen auf diese Konflikte kommt in mir besonders der Gedanke auf, dass ich dankbar bin, in einer freieren Zeit zu leben. Einer Zeit, in der die Partner sich gegenseitig aussuchen, und sich (auch körperlich) vor der Ehe kennenlernen können. Eine Zeit, in der – zumindest hierzulande – weitestgehend Gleichberechtigung herrscht, und die Frau nicht mehr Besitz des Mannes ist und der Mann nicht mehr freier als die Frau. Etwas, das Tolstoi ja auch in seiner Novelle einforderte. Wenn ich auch glaube, dass Tolstoi damals keinen anderen Weg gesehen hat, als absolute Enthaltsamkeit, um all diesen Zwängen und dem gegenseitig zugefügten Leiden zu entkommen, und unsere heutige freizügige Lebensweise nicht gutheißen würde, so denke ich doch, dass er in der Lockerung der Konventionen Linderung gefunden hätte. Denn der Widerstreit seiner körperlichen Bedürfnisse mit den moralischen Überzeugungen war es ja, der so an ihm gezerrt hat. Und die Unterdrückung der körperlichen Bedürfnisse ist gewiss keine haltbare Theorie, da sie die Biologie vollständig ausklammert. Etwas, das man aber nicht ausschließen kann. Das ist ungesund und unnatürlich und würde die menschliche Art gefährden. Der richtigere Weg ist der der sexuellen Befreiung. Das ist etwas, das ich aus diesen beiden Novellen – im Gesamtbild – erkenne. „Die Kreutzersonate“ im Einzelnen vermag mir das nicht so zu vermitteln. Zu zerrissen ist Tolstoi in seinen Gedanken darin. Erst die fehlende weibliche Sicht setzt dieses Bild gänzlich zusammen.

Ich bin noch nicht fertig mit „Eine Frage der Schuld“, bin aber bereits voll und ganz begeistert über diesen Blick auf die andere Seite der Medaille.

In Betrachtung der beiden Novellen wird auch das Wesen von Mann und Frau sehr deutlich. Der Mann, für den die Liebe körperlich motiviert ist. Die Frau, für die die Liebe seelischen Ursprungs ist. Und dass sie nur funktionieren kann, wenn auch die Frau aufgeklärt ist, und somit nicht gehemmt. Wie unbefriedigend muss es sonst nicht nur für die Frau, sondern auch für den Mann sein. Welch unguten Gefühle müssen die Beziehung ansonsten belasten, wenn der Mann ständig das Gefühl haben muss, seine Frau zu beschmutzen, und selbst widerwärtig zu sein. Und dass die Frau es nur über sich ergehen lässt, weil es so sein muss, und weil sie den Mann sonst zu verlieren droht. Selbst wenn anfangs zarte und aufrichtige Gefühle vorhanden waren, kann eine Liebe daran nur sterben.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte gedacht, dass das eine Abrechnung mit den wahnhaften Aussagen Tolstois sei. Dabei ist es eine geistreiche und sinnvolle Gegendarstellung, die „Die Kreutzersonate“ ergänzt und vervollständigt um die weibliche Sicht auf die Problematik. Natürlich greift sie auch Verletzungen aus ihrer eigenen Ehe (und hervorgebracht durch die Äußerungen Tolstois in der "Kreutzersonate") auf (z. B. der Grund für die Eile mit der Heirat - der Fürst will seine körperlichen Bedürfnisse so schnell wie möglich befriedigt sehen, ihr vorzeitiges verwelken durch die Kinder, das Gefühl alleingelassen zu sein mit den Kindern, der wirkliche Grund, warum sich eine Frau plötzlich wieder herausputzt, warum sie zu dem Mittel greift, Macht über den Mann auszuübern mit den ihr gegebenen Waffen - ihrem Körper, etc.), aber immer im sinnvollen Kontext zur „Kreutzersonate“, und somit zum Zweck ihrer Gegen-Novelle.

Außerdem lese ich Sofja Tolstajas Erzählung sehr gern. Wie sie die zarte Verbindung zwischen Anna und dem Fürsten beschreibt, die Eile, die der Fürst hat, um zu heiraten, das Abschied nehmen Annas (die ja noch fast ein Kind ist) von ihrer Familie, die fremde Umgebung, das neue Leben, die Flitterwochen, die Geburt und das großziehen der Kinder, und schließlich die Entfremdung zwischen ihr und dem Fürsten. Und den Trost, den sie in dem Freund des Fürsten findet. Ich fühle mit Anna mit. Hoffte anfangs mit ihr auf die Liebe des Fürsten, litt mit ihr während der ersten Zeit, werde wütend auf den Fürsten, der sich seinen Zuspruch bei anderen weiblichen Wesen sucht, während er eifersüchtig über seine Frau wacht, die er ja doch nicht liebt, sondern lediglich besitzt. Auch dieses mitfiebern überrascht mich, denn eigentlich weiß ich doch welchen Verlauf die Geschichte nehmen wird. Das spricht allerdings für Sofja Tolstajas Können, dass sie mich trotzdem zu fesseln und zu berühren vermag.
Liebe Grüße,
Petra


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Re: Sofja Tolstaja

Beitragvon Petra » Mi 28. Mär 2012, 11:42

Hallo zusammen,

ich „Eine Frage der Schuld“ habe ich heute morgen beendet. Ein berührendes Leseerlebnis.

Abschließend kann ich sagen, dass Sofja Tolstaja darin zweierlei vermochte: Den Anklagen in Tolstois „Kreutzersonate“ ihre Sichtweise entgegensetzen, und Tolstois „Kreutzersonate“ um die weibliche Sicht auf die Dinge.

Da ich in meinem vorherigen Posting schon ausführlich darauf eingegangen bin, wie überrascht und erfreut ich war, das Sofja Tolstaja in ihrer Gegen-Novelle die „Kreutzersonate“ ergänzt und somit verständlich macht, möchte ich auf das Thema hier nicht noch mal eingehen. Wohl aber auf den anderen Aspekt ihrer Erzählung: Ihre Gegenwehr.

Dass sie zutiefst getroffen war, von den Einblicken, die Tolstoi in seiner „Kreutzersonate“ in ihr Eheleben gewährt hat, ist bekannt. Und auch nicht verwunderlich. Umso interessanter ist es, die Parallelen zwischen Fiktion und Wirklichkeit in ihrer Gegendarstellung aufzuspüren. Sie sind offenkundig in vielen Punkten zu finden. Der Fürst Mitte dreißig, der die 18-jährige Anna heiratet, die Ernüchterung in der Hochzeitsnacht und den Flitterwochen (auf diese Enttäuschung geht Tolstoi übrigens auch in „Anna Karenina“ in der Figur des Lewin schon ein), sein Desinteresse an den Kindern, seine Abneigung gegen Ärzte (aus der er in der „Kreutzersonate“ ebenfalls keinen Hehl macht), das verwerfliche Vorleben des Mannes, das Wissen um die nahe wohnende Frau, mit der er eine Affäre hatte bevor er sie heiratete, die Eifersucht, das vorzeitige welken ihrer Schönheit (durch die Geburt der Kinder – Anna weist einen gelben Zahn auf, Sofja soll früh einer ausgegangen sein). Sie hat ihm damit die Schmach heimgezahlt, vor der Leserschaft bloßgestellt worden zu sein. Und sie verwehrt sich gegen die indirekten Vorwürfe in der „Kreutzersonate“, die Tolstoi ihr (und den Frauen) gemacht hat.

Am Ende der Novelle wirft die sterbende Anna ihrem Mann vor, dass er nicht hat verstehen können, wie sie sich die Liebe vorgestellt hat. Der Leser hingegen hat verstanden. Denn im Verlauf der Erzählung wird spätestens durch Annas Gefühle für Bechmetew klar, wie sie sich die Liebe vorstellt. Die Liebe sollte von der Seele empfunden und vermittelt werden. Von allein stellt sich dann auch vielleicht die körperliche Liebe ein. Die Liebe des Mannes (des Fürsten) entsprang jedoch dem Körperlichen. Er hat nie versucht seine Frau zu verstehen, ihre Seele kennen und lieben zu lernen. Sie klagt an, dass ihr Mann die beste Seite in ihr getötet hat, als sie sich für ihn zurecht macht, um ihn nicht an andere Frauen zu verlieren, und widerspricht damit Tolstoi, der den Frauen (auch den Ehefrauen) vorwirft, dass sie sich herausputzen, um den Mann zu verführen und damit zu beherrschen.

Starke Argumente gegen die Seinen. Beeindruckend, wie es Sofja Tolstaja geschafft hat, ihre weibliche Sicht auf die Dinge darzustellen. Sehr schlüssig, sehr nachvollziehbar, und in direktem Widerstreit mit den Gedanken Tolstois in „Die Kreutzersonate“.

Ich habe einen :arrow: Artikel im Spiegel entdeckt, der sowohl „Die Kreutzersonate“, als auch „Eine Frage der Schuld“ und das Eheleben der Tolstois beleuchtet. Sehr lesenswert für das bessere Verständnis, auch für diejenigen, die bisher nur eine von beiden Novellen gelesen haben. So wird dort die „Kreutzersonate“ richtig als Wutschrei und Selbstanklage zugleich beschrieben, verkleidet als fiktive Beichte eines Mannes, der zum Mörder seiner eigenen Frau geworden ist. Auch wird auf das Frauenbild in der „Kreutzersonate“ eingegangen, das zur Zeit der Niederschrift auch in der russischen Gesellschaft schon obsolet war. Auch von der Selbstanklage Psodnyschews, dass er seiner jungen Frau das "Laster erst angewöhnen musste, ist in dem Artikel die Rede. Damit werden viele wichtige Aspekte aufgegriffen, die sich auch – in der Gegenform – in der Novelle Sofja Tolstajas wiederfinden. Ein interessanter, umfassender Artikel.

Nachher lese ich noch das Nachwort von Oleg Jurjew. Dazu werde ich mich bestimmt auch noch mal äußern. Ebenso zur kurzen Autobiografie, die in der anderen Ausgabe enthalten ist, und die ich extra noch bestellt habe.
Liebe Grüße,
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Re: Sofja Tolstaja

Beitragvon JMaria » Do 29. Mär 2012, 13:35

Hallo Petra,

du hast die entscheidenden Gesichtspunkte um die es Sofja Tolstaja in "Eine Frage der Schuld" ging toll erfasst. Ich weiß noch, als ich die Geschichte las, habe ich mit einem resoluten Gegenschlag zur "Kreutzersonate" gerechnet, aber wie angenehm überrascht war ich, als ich las wie zart, fast schon naiv, Tolstaja sich an ihren Roman wagte. Sehr raffiniert baut sie auch Musik ein (die Protagonistin spielt Chopin, soviel ich weiß), das indirekt eine Brücke zur Kreutzersonate baut, so meine Ansicht. Tolstaja geht Schritt für Schritt die Entwicklung der jungen Frau durch, das eigentlich noch ein Mädchen ist mit ihren unerfahrenen 17 Jahre. Von der Werbung durch den älteren Mann bis zu ihrem Tod.

Ich fand ihren Roman bewundernswert.
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Re: Sofja Tolstaja

Beitragvon Petra » Do 29. Mär 2012, 15:37

Hallo zusammen,
Hallo Maria,

bevor ich zu den beiden unterschiedlichen Nachworten zu den verschiedenen Ausgabe von „Eine Frage der Schuld komme“, erst noch ein paar Wort an Dich, Maria.

Mich freut, dass ich meine Eindrücke in Deinen wiederfinde. So kann ich mir sicher sein, dass es kein rein subjektives Empfinden ist, das Sofja Tolstaja mit ihrer Art der Gegendarstellung ausgelöst hat. Wie Du sagst, erzählt sie ganz unaufgeregt und beinahe naiv die ganz natürliche Geschichte eines 18-jährigen Mädchens, das sich verliebt, in die Ehe geht, und auf welche Probleme sie darin stößt. Diese sanfte Art widerlegt in ruhigem Ton die Vorwürfe, die in der „Kreutzersonate“ enthalten sind, und ist deshalb vollkommen glaubwürdig. Sie hat dafür meine absolute Bewunderung! Dass Du auch einen resoluten Gegenschlag erwartet hattest, zeigt mir, dass nicht nur ich (sehr angenehm) überrascht war.

Die raffiniert eingebauten Szenen mit der Musik ist mir auch aufgefallen. Das hat sie sehr schön gemacht.

Danke für Deine Gedanken dazu. :-)

Nun zu den Nachworten: Das Nachwort in der Doppelband-Ausgabe von Oleg Jurjew war sehr interessant. Sehr richtig spricht er dort von Tolstoi und seiner Selbstverbesserungsmanie. Die kann man bei ihm sicher getrost diagnostizieren, und man darf sie nicht außer acht lassen, wenn man seine Gedanken in „Die Kreutzersonate“ gerecht beurteilen möchte. Er verzweifelte an seinem Unvermögen, seinen eigenen hohen moralischen Ansprüchen gerecht zu werden, und verfluchte die fleischliche Lust, und suchte besonders im weiblichen Geschlecht die Schuld. Interessant auch die wörtliche Übertragung des Originaltitels von Sofja Tolstajas Gegen-Novelle: „Wessen Fehl?“ Und die Hinterfragung, welche Schuld hier gemeint ist. Die Schuld am Tod der Ehefrau? Nein, eher die Schuld am Scheitern der Ehe, an der Tötung der Liebe.

Wenn man seine Selbstverbesserungsmanie berücksichtigt, mit der er ja Zeit seines Lebens kämpfte, wird glaubhafter was Tolstoi selbst darüber aussagt, welche Absicht er mit der „Kreutzersonate“ verfolgte. Demnach wollte er kein Pamphlet gegen seine Frau oder die Frauen im Allgemeinen verfassen, sondern eine Warnschrift, wie man zu leben habe. Enthaltsam – auch oder besonders in der Ehe, da die körperliche Liebe zerstörerisch ist.

Doch Oleg Jurjew nimmt Tolstoi nicht in Schutz. Im Gegenteil, er bezieht Stellung für Sofja Tolstaja.

Sehr interessant fand ich, dass Oleg Jurjew nicht nur die Verbindung zur „Kreutzersonate“ und zum Tolstoischen Eheleben zieht – beides offenkundig in „Eine Frage der Schuld“ enthalten. Sondern auch zu Tolstois frühem Roman „Familienglück“. Jurjew bezeichnet diesen Roman als Tolstois Eheprogramm. Tolstois damaliger Ansicht nach, war die Ehe ja die „richtige Lebensweise“ (nach der „richtigen Lebensweise“ suchte er ja stets, und meinte sie oft zu finden, nur um sie kurz drauf wieder zu hinterfragen und schließlich zu verwerfen). Und wie die Ehe zu sein hat, darüber hatte er auch wohl feste Vorstellungen. Diese legte er wohl in „Familienglück“ dar. Spannend ist, dass Sofja Tolstaja sich wohl des Protagonisten (Sergej Michajlowitsch) aus „Familienglück“ bedient hat. Sergej Michajlowitsch soll in „Familienglück“ Tolstois Alter Ego gewesen sein. Und diese Figur ähnelt der des Fürsten Prosorski in „Eine Frage der Schuld“ wohl ungemein. So schildert sie einerseits durch die Figur des Fürsten Prosorski Teile Tolstois, aber andererseits auch Teile Sergej Michajlowitschs, der Tolstois Ideal damals verkörperte. Dadurch, dass sie ihn lächerlich (in seiner Eifersucht), oberflächlich (in seiner Fixierung auf die körperliche Liebe) und unfähig (in Liebesdingen) wirken lässt, verspottet sie diese Figur (also auch die Figur des Sergej Michajlowitsch aus „Familienglück“).

Nach wie vor freut mich, dass man für diesen Doppelband für das Nachwort von „Die Kreutzersonate“ und „Eine Frage der Schuld“ ein Ehepaar (Olga Martynova und Oleg Jurjew) bemüht hat. Und dass man die Frau über die Novelle des Mannes zu Wort kommen ließ, und den Mann über die der Frau. Das gibt schöne Kontraste.

Im Anschluss las ich auch noch online das :arrow: Nachwort der anderen Ausgabe von Ursula Keller. Auch das war aufschlussreich. Es bezieht deutlicher Stellung für Sofja Tolstaja. Das macht es einerseits einseitiger, andererseits geht es aber ja in dieser Einzelausgabe einzig um Sofja Tostajas Roman. Und der wird hier gewürdigt – das ist auch gut und richtig so. Und gibt interessante Einblicke in Sofja Tolstajas Leben, Gedanken und Gefühle. Nun fehlt mir nur noch die kurze Autobiografie, die auch in der Einzel-Ausgabe enthalten ist. Ich hoffe, dass das Buch bald bei mir ist.
Liebe Grüße,
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